Das Ghetto Theresienstadt

Die Rolle Theresienstadts

Unter dem Vorsitz von SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich, der am 27. September 1941 als Stellvertretender Reichsprotektor für Böhmen und Mähren Konstantin von Neurath abgelöst hatte, fand am 10. Oktober 1941 auf dem Prager Hradschin eine Konferenz statt. An dieser nahmen neben dem Organisator der Judenverfolgung, SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann, SS-Gruppenführer K. H. Frank, SS-Obersturmbannführer Böhme und weitere SS-Funktionäre teil. Auf dieser Konferenz und einem weiteren Zusammentreffen am 17. Oktober 1941 wurde die Errichtung eines Ghettos in Theresienstadt beschlossen. In den erhalten gebliebenen Protokollen dieser beiden geheimen Konferenzen wird die Funktion Theresienstadts als Sammellager und Durchgangsstation für die Vernichtungslager im Osten deutlich beschrieben.

Die SS sah sehr wohl die Vorteile, die diese alte Festungsstadt an der Eger für ihr Vorhaben hatte: Die Festung war streng symmetrisch gebaut, ließ sich leicht kontrollieren und aufgrund der Festungsbauweise gut von der Außenwelt abschirmen. Von Vorteil waren weiterhin die vielen Kasernen, in denen sich große Menschenmassen unterbringen ließen.

In der Kleinen Festung gab es bereits ein Gestapogefängnis. Die Soldaten der SS-Garnison in der Kleinen Festung konnte – wenn nötig – auch für das Ghetto verwendet werden. SS-Einheiten und Wehrmachtstruppen waren in der nahe gelegenen Stadt Leitmeritz vorhanden. Die nächsten tschechischen Siedlungen waren weit entfernt und so konnte man davon ausgehen, dass den Ghettoinsassen keine Hilfe durch die einheimische Bevölkerung zuteil werden konnte. Eine Ausnahme bildete die Gemeinde Bohušovice an der Eger, damals Grenzstation. Theresienstadt lag zentral, war über Bohušovice mit dem Eisenbahnnetz verbunden und es war gut möglich, von hier aus Transporte in die Vernichtungslager im Osten zu schicken. Theresienstadt war von der SS von vorneherein als Durchgangslager bestimmt worden: eine Warteschleife, die solange benötigt wurde, bis die notwendigen Vernichtungskapazitäten im Osten vorhanden waren.

Dies waren die wesentlichen Gründe dafür, dass unter den 20 vorgeschlagenen Orten Theresienstadt für die Errichtung eines jüdischen Sammellagers in Böhmen ausgesucht wurde.

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Die ersten Transporte

Am 16., 21. und 31. Oktober und am 3. November 1941 verließen die ersten Transporte Prag in Richtung Litzmannstadt (Łódź), am 26. November wurde ein weiterer Transport von Brünn aus nach Minsk geschickt. Jeder dieser Transporte umfasste etwa 1.000 Personen.

Inzwischen war bei der Prager Kultusgemeinde die Abteilung „G“ errichtet worden, die fieberhaft an den Plänen eines angeblich selbst verwaltenden jüdischen Ghettos in Theresienstadt arbeitete. Der für das Amt des Kommandanten vorgesehene SS-Obersturmführer Dr. Siegfried Seidl amtierte bereits in der Prager Zentralstelle. An ihn mussten sich die zu „Judenältesten“ bestellten Jakub Edelstein und dessen Stellvertreter Otto Zucker um Weisungen wenden. Die Leitung der jüdischen Kultusgemeinde glaubte zu diesem Zeitpunkt noch, dass durch eine rasche Errichtung des Ghettos Theresienstadt weitere Transporte in den Osten vermieden werden könnten. Viele meinten, dass die Juden in Theresienstadt das Ende des Krieges abwarten könnten.

Am 24. November 1941 wurde ein aus 342 jungen Männern bestehendes Aufbaukommando nach Theresienstadt deportiert. Kommandant Seidl hatte persönlich einen Großteil der Personen dieses Transportes bestimmt. Am 4. Dezember 1941 folgte ein zweites aus etwa 1.000 Personen bestehendes Aufbaukommando. Mit ihm trafen Jakub Edelstein und Otto Zucker im Lager ein. Die Mitglieder dieser Kommandos bewohnten zunächst die Sudetenkaserne. Dann begannen die Deportationen der Jüdischen Bevölkerung Böhmen und Mährens. Ein Transport kam nach dem anderen.

Die Transporte wurden von Sammelstellen abgefertigt. Die größte Sammelstelle des Protektorates befand sich in Prag auf dem Areal der Radioabteilung der Prager Mustermesse. Die Abfertigung eines Transportes auf der Sammelstelle dauerte gewöhnlich drei Tage. Sobald ein Jude die Sammelstelle betrat, wurde er zur bloßen Nummer. Den Nummern nach lagen die Leute auf dem Boden – Männer, Frauen, Kinder – alle zusammen. Den Nummern nach wurden sie zu den verschiedenen Tischen gerufen. Bei einem wurden die Wohnungsschlüssel abgegeben, beim nächsten die Lebensmittelkarten, beim dritten das restliche Geld, beim vierten Wertsachen, beim fünften Personaldokumente und beim sechsten mussten verschiedene Fragebögen und Dokumente ausgefüllt werden. Die SS-Leute kontrollierten wieder alles, nahmen bei Tag und Nacht überfallartig Durchsuchungen vor, und dies alles war von Herumlaufen, Herumschreien, Beschimpfungen und Schlägen begleitet.

Die Wohnungen der deportierten Juden blieben leer zurück und wurden von einer bei der Kultusgemeinde eingerichteten Treuhandstelle verwaltet. Diese Treuhandstelle sortierte die in den Wohnungen zurückgebliebenen Gegenstände, entfernte aus Wäschestücken, Büchern und sonstigen Gegenständen alle Hinweise, die auf den ursprünglichen Besitzer hinwiesen und transportierte dann alles in die Lagerräume der Synagogen und Betstuben, in denen die verschiedenen Güter sortiert und gespeichert wurden.

Die Wohnung wurden von der Zentralstelle später vor allem an reichsdeutsche Bürger abgegeben.

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Die Große Festung

Als im Juni 1940 in der Kleinen Festung das Gestapogefängnis eingerichtet wurde, war die Große Festung noch von tschechischer Zivilbevölkerung bewohnt, die meisten Kasernen von Einheiten der Wehrmacht belegt.

Im Jahre 1941 bestand die Große Festung aus 219 Häusern und 11 Kasernen, die sich über die ganze Stadt verteilten und denen von der Wehrmacht deutsche Namen geben worden waren: „Sudetenkaserne“, „Hohenelber Kaserne“, „Bodenbacher Kaserne“, „ Dresdener Kaserne“, „Hamburger Kaserne“, „ Hannoversche Kaserne“, „Magdeburger Kaserne“ usw. Dazu kamen Verwaltungsgebäude, Depots, kleinere Handwerksbetriebe, Geschäfte, Restaurants, eine Reithalle, eine Heeresbäckerei , eine Brauerei, eine Garnisonskirche, ein großer Paradeplatz inmitten des schachbrettmäßig angelegten Straßensystems und rund 25 Kilometer unterirdische Wehrgänge, sogenannte Kasematten. Einschließlich der Soldaten der Garnison, die schlafsaalmäßig in den Kasernen untergebracht waren, lebten in der Stadt vor Beginn des Krieges etwa 7.500 Menschen.

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Ghetto-Pläne der Deutschen in Böhmen

Nachdem die Deutschen grundsätzlich beschlossen hatten, auf dem Gebiet des Protektorats ein Sammellager (Ghetto) für Juden einzurichten, ging es eine zeitlang um die Frage, an welchem Ort dieses Ghetto eingerichtet werden sollte. Neben Theresienstadt zogen sie zwei weitere Orte in Betracht: Josefstadt und der alte Teil Tabors. Josefstadt wurde wieder fallen gelassen, gegen Tabor erhob die jüdische Kultusgemeinde Einspruch und brachte hauptsächlich technische Gründe vor. Die Nationalsozialisten aber entschieden sich (gegen den Willen der jüdischen Kultusgemeinde) für Theresienstadt. Mit Tabor, dieser alten Hussitenstadt, hätten sie die nationalen tschechischen Gefühle verletzt und Tabor hätte sich lange nicht so gut wie Theresienstadt von der Außenwelt abschirmen lassen.

Grundsätzlich war die Jüdische Kultusgemeinde mit dem Plan der Errichtung eines Ghettos auf dem Protektoratsgebiet sehr zufrieden, denn man glaubte, so weitere Deportationen in den Osten verhindern zu können. Quelle: 390) 391)

Das Ghetto Theresienstadt

Während die Deportation tschechischer Juden nach Theresienstadt im vollen Gange waren, wurde im Reichssicherheitshauptamt (RSHA) in Berlin der Plan der „Endlösung der Judenfrage“ in konkreter Form ausgearbeitet. Während der als „Wannseekonferenz“ in die Geschichte eingegangenen Beratung hoher SS- und Reichsfunktionäre am 20. Januar 1942 wurde die Realisierung der „Endlösung“ behandelt und u.a. beschlossen, aus Theresienstadt ein „Ghetto der Alten“ zu machen. Juden über 65 Jahre, Träger hoher Auszeichnungen, Kriegsversehrte und Prominente sollten vorrangig ins Ghetto Theresienstadt deportiert werden. Die SS hoffte, durch diese neue Konzeption das eigentliche Ziel und das Ausmaß der „Endlösung“ verschleiern zu können.

In der Mitte des Jahres 1942 begannen die Transporte reichsdeutscher Juden nach Theresienstadt. Später trafen Transporte aus anderen von den Deutschen besetzten Länder ein. Aus Deutschland waren es rund 43.000 Personen, aus Österreich 15.000, 5.000 Juden aus den Niederlanden und 466 aus Dänemark kamen hinzu. In den letzten Kriegsmonaten kamen 1.500 Bürger jüdischer Herkunft aus der Slowakei und etwa 1.000 aus Ungarn in Theresienstadt an. Gegen Ende des Krieges nahm das Lager etwa 13.000 Menschen auf, die mit sogenannten Evakuierungstransporten aus dem Osten in Theresienstadt eintrafen.

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Die Verwaltung des Ghettos

In Theresienstadt amtierten nacheinander drei Vorsitzende des Ältestenrates: Dr. Jakub Edelstein, Dr. Paul Eppstein und Dr. Benjamin Murmelstein. Ersterer wurde mit seiner Familie nach Auschwitz deportiert und ermordet, Paul Eppstein in die Kleine Festung überstellt und dort erschossen. Dr. Benjamin Murmelstein überlebte.

Mitglieder des Ältestenrates waren weiter die Leiter der wichtigsten Abteilungen der sogenannten Selbstverwaltung, durch die praktisch die gesamte Tätigkeit im Ghetto organisiert wurde. Außer dem Zentralsekretariat waren es folgende Abteilungen:
Abteilung Verwaltung: Evidenz der Häftlinge, Statistik, Verkehr u.a..
Abteilung Wirtschaft: Arbeitseinsatz, Lagerräume, Verpflegung, Wäscherei, Entwesung, Produktion, Wohnraumbewirtschaftung.
Abteilung Finanzen: Gesamte Buchhaltung.
Abteilung Technik: Wasser- und Stromversorgung, Projektion, Bauwesen, Instandhaltung, Feuerwehr usw..
Abteilung Gesundheit und Sozialfürsorge: Gesundheitswesen, Jugendheime, Altersheime, Beerdigungen usw..

Der Ältestenrat hatte seinen Sitz in der Magdeburger Kaserne. Er bekam seine Anweisungen direkt von der SS-Kommandantur, vielfach nur in mündlicher Form. Die Vorsitzenden des Ältestenrates hafteten dafür, daß die Anweisungen des Kommandanten umgesetzt wurden. Der SS-Kommandant wiederum erhielt von der „Zentralstelle“ in Prag seine Anweisungen. Die Zentralstelle ordnete auf Weisung aus Berlin auch die Transporte an, legte die Anzahl der Personen und die Transportziele fest.

Die Kommandantur befand sich in einem Eckgebäude des Marktplatzes, der von den Häftlingen nicht betreten werden durfte. Außerhalb des Ghettobezirkes, im Hotel Viktoria (dem heutigen Parkhotel) befand sich das Kameradschaftsheim der SS und die Wohnungen der Offiziere.

Das Lager wurde von Einheiten der Protektoratsgendarmerie bewacht, die sich, 100 - 150 Mann stark, den Häftlingen gegenüber in der Regel anständig verhielten, ihnen halfen, Kontakte herzustellen. Seltene Ausnahmen bildeten der Kommandant der Gendarmerie und einige der Offiziere.

Die unbewaffnete Ghettowache sollte helfen, Disziplin und Ordnung im Ghetto selbst zu wahren.

Die Aufbaukommandos hatten gerade erst mit ihrer Arbeit begonnen, da trafen die ersten Transporte mit Frauen und Kindern im Ghetto ein – in rascher Reihenfolge. Die in Theresienstadt lebenden Zivilisten wurden umgesiedelt, mußten die Stadt bis Ende 1942 verlassen.

Immer mehr Transporte kamen, immer mehr Platz wurde gebraucht. Die Zahl der Ghettobewohner stieg schnell an. Dr. Karl Lagus vom Verband der antifaschistischen Widerstandskämpfer berichtet über diese Zeit: „ Zunächst kamen nur tschechische Juden. Im Januar 1942 waren schon einige tausend Menschen im Ghetto. Noch war nichts fertig, für die Aufnahme dieser vielen Menschen bereit. Niemand war darauf vorbereitet. Doch die SS kümmerte sich nicht darum. Ihr war es egal, wie viele Menschen im Lager hausten. Die Kasernen waren vorher von der Wehrmacht belegt gewesen : Bei ihrem Abzug hatten sie nur kahle Wände zurückgelassen. Die Häftlinge lagen auf Strohsäcken und kalten Betonfußböden. Sie lebten von dem mitgebrachten Proviant, denn eine Lebensmittelversorgung gab es im Ghetto noch nicht.

Es gab auch keine Möglichkeit, zu kochen. Schon jetzt – nach wenigen Transporten - fehlte es überall an Platz. In einem Raum, der für 10 Soldaten gedacht war, wohnten 50 Häftlinge. Die Kasernen wurden von den tschechischen Gendarmen bewacht. Solange noch tschechische Zivilbevölkerung in der Stadt lebte, galt ein strenges Ausgehverbot. Täglich wurden neue, zum Teil sich widersprechende Verordnungen erlassen. Die Männer durften nicht mit ihren in anderen Kasernen untergebrachten Frauen sprechen. Nur einigen ausgewählten Häftlingen war es erlaubt, zusammenzuwohnen.

Der Briefverkehr nach draußen war untersagt. Für Verstöße gegen die Vorschriften wurde die Todesstrafe angedroht. Das Rauchen war verboten, alle Häftlinge mußten sich die Haare schneiden lassen. Niemand durfte auf dem Bürgersteig gehen, alle Uniformträger mußten gegrüßt werden. Es war verboten, das Haus nach Einbruch der Dunkelheit zu verlassen. Alles Geld, Tabak, Zigaretten, Konserven, Briefpapier, Medikamente, Schmuck usw. mußten abgeliefert werden. Auf der Straße durfte nicht gesungen, die jüdischen Kinder nicht unterrichtet werden. Schon kleine Vergehen wurden mit Prügel bestraft. Häftlinge wurden auf der Straße von SS-Leuten zusammengeprügelt oder in den Kellern unter der Kommandantur gefoltert, nur weil sie nicht vorschriftsmäßig gegrüßt hatten.

Am 10. Januar 1942 wurden auf Befehl des ersten Lagerkommandanten, des Wiener Ober-Sturmbannführers Dr. Siegfried Seidel, 16 Häftlinge wegen des Verstoßes gegen die oben genannten Vorschriften in der Großen Festung am Galgen hingerichtet. Diese Hinrichtungen sollten der Abschreckung dienen. Danach fanden Hinrichtungen nur noch in der Kleinen Festung statt.

Diese Hinrichtungen hatten zur Folge, daß die Ghettobewohner ihre Situation realistischer einschätzten. Viele verloren die Hoffnung, das Kriegsende zu erleben. Sie spürten instinktiv, daß es noch schlimmer kommen sollte. Am 9. Januar 1942 verließ der erste Transport das Ghetto, am 15. Januar folgt der zweite, jeder mit etwa 1.000 Personen. Diese Transporte, deren Ziel Riga ist, veränderten die Situation im Lager grundlegend.

Theresienstadt war für die vielen Menschen aus Böhmen und Mähren, aus Österreich, Deutschland und Dänemark nun keine Zuflucht mehr. Theresienstadt wurde jetzt zu einem Ort, wo Todesurteile verhängt wurden, indem man Namen auf die Transportlisten schrieb. Vollzogen wurde das Urteil dann in einem Vernichtungslager. Von diesem 9. Januar 1942 an hing die Deportation in den Osten als ständige Drohung über den Häftlingen, die nicht mehr zur Ruhe kamen, in ständiger Angst vor dem nächsten Transport lebten.

Es ist nur natürlich, daß sich durch diese psychische Belastung die Beziehungen der Häftlinge untereinander veränderten.

Im März verließen 2.000 Menschen das Lager, im April waren es 7.000. Kleinere Gruppen von Häftlingen verließen das Lager und wurden für Arbeiten im Bergwerk eingesetzt. Auch 1.000 Frauen verließen das Ghetto und mußten in der Nähe von Krivoklat Bäume pflanzen. Das Lager lebte in dauernder Aufregung und Spannung.

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Das Leben im Ghetto

Die Häftlinge bewohnten die großen Kasernen und die anderen Gebäude der Stadt. Sie wohnten auf Dachböden, in Hauseingängen und Kellern, auf den Höfen, in den Verschlägen und in den Kasematten in unerträglicher Enge. In den mit Matratzen, dreistöckigen Betten, Koffern und mit persönlichen Dingen gefüllten Räumen konnte man sich kaum bewegen. Es herrschte ständiger Lärm. Eine Privatsphäre fehlte völlig. Bei dieser Konzentration von Menschen herrschten im Lager katastrophale hygienische Verhältnisse. Nicht nur in den Bodenräumen der Häuser, wo über 6.000 Menschen hausten, sondern auch überall anderswo bestand völliger Mangel an Wasserleitungen und sanitären Einrichtungen. Und so tauchten vor allem bei den älteren Menschen Darmkatarrhe und andere, mit Durchfällen verbundene Infektionen auf. Das war die Folge von schlechtem Trinkwasser, des Verzehrs von verschimmeltem Brot und kalter Speisen und natürlich auch der Unmöglichkeit, unter diesen Bedingungen die einfachsten Hygieneregeln einzuhalten. Der Mangel an Toiletten erwies sich als Katastrophe, die erst später durch den Bau von Latrinen auf den Innenhöfen etwas gelindert werden konnte. Eine weitere Geißel des Lagers waren die Insekten – Läuse, Flöhe, Wanzen – und natürlich die Ratten, die sich unverfroren in der Nähe der Lebensmittellager tummelten. Sie trugen in nicht unerheblichem Maße zu einem raschen Ausbreiten von Epidemien im Lager bei. Die Krankheiten wurden auch vom Mangel an Ernährung und Vitaminen und der daraus resultierenden Unterernährung gefördert. Am stärksten betroffen waren auch hier Menschen, die in Anbetracht ihres Alters an verschiedenen Gebrechen litten, denen jedoch, da es im Ghetto auch an Medikamenten fehlte, nicht geholfen werden konnte.

Viele dieser Alten vegetierten in sogenannten Marodenzimmern vor sich hin. Nicht wenige lösten ihre Situation durch Selbstmord. In den Jahren 1942 und 1943 wurden 430 Selbstmordversuche unternommen, von denen 252 mit dem Tode endeten.

Die häufigsten Todesursachen im Zeitraum vom 24. November 1941 und dem 31. August 1944 waren:
- Erkrankungen der Verdauungsorgane
- Altersverfall
- Erkrankungen der Atmungswege
- Erkrankungen der Kreislauforgane
- Infektionskrankheiten.

Die Jüd. Selbstverwaltung veröffentlichte die Todes- und Geburtenmeldungen in den Tagesbefehlen.

Insgesamt starben in diesem Zeitraum 33.430 Häftlinge.

Männer und Frauen lebten getrennt in den Baracken oder Kasernen. Für die Frauen war die Dresdener Kaserne, für die Männer z.B. die Hannoversche Kaserne vorbehalten. Die Kinder und Jugendlichen bis zu 15 Jahren kamen, nach Mädchen und Jungen getrennt, in Heime.

Die Arbeitspflicht war für alle arbeitsfähigen Personen ab 14 Jahre auf täglich 10 bis 12 Stunden festgesetzt. Später, als die Transporte die Bevölkerung des Lagers reduzierten, wurden auch zwölfjährige Kinder zum Arbeiten in die Landwirtschaft geschickt. Die Menschen arbeiteten in der Selbstverwaltung, in den Küchen und Bäckereien, den Abteilungen für Jugend- und Altenfürsorge. In den Festungsgräben wurden für die SS-Mannschaften Gärten angelegt und bewirtschaftet; um Theresienstadt herum gab es landwirtschaftliche Flächen, die von den Häftlingen bewirtschaftet werden mußten. Häftlinge arbeiteten auch in der Kriegsproduktion, bei der Spaltung von Glimmer, der Herstellung von Uniformen, in der Kistenproduktion. Kleinere Arbeitskommandos wurden von der SS auch außerhalb der Ghettomauern eingesetzt. Einige Arbeitskommandos wurden zu Sondereinsätzen auch ins Reich geschickt.

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Krankheit und Tod

Wegen der unzureichenden Lebensmittelzuteilungen war die schwere körperliche Arbeit für die Häftlinge mit einer weiteren Schwächung ihres körperlichen Zustandes verbunden. Sie wurden anfälliger für Krankheiten. Im überfüllten Ghetto, wo ständig Wassermangel herrschte und die sanitären Anlagen völlig unzureichend waren, vermehrte sich lästiges Ungeziefer schnell, gab es Unmengen von Ratten, die wie das Ungeziefer Ausbruch und Verbreitung von ansteckenden Krankheiten förderten. Trotz aller Fürsorge der jüdischen Ärzte und Krankenschwestern, die ihren Dienst ohne den dafür notwendigen medizinischen Apparat und Medikamente ausüben mußten, starben im Ghetto Theresienstadt rd. 33.400 Menschen. Die höchste Sterblichkeitsquote weist die Statistik für den Herbst 1942 aus, als das Lager mit 59.497 Menschen belegt war (18. September 1942) und täglich mehr als 100 Menschen starben. Ein Grund für die hohe Sterblichkeitsquote in dieser Zeit war wohl die Ankunft mehrerer Transporte aus Deutschland, die vor allem alte und vielfach kranke Menschen ins Lager brachten. Sie, die in keiner Weise auf die katastrophale Situation im Ghetto vorbereitet waren, starben innerhalb kurzer Zeit. Es waren schließlich so viele Tote, daß nicht genügend Träger und Transportmittel zur Verfügung standen.

In der Anfangsphase des Ghettos, als die Häftlinge ausschließlich in den Kasernen wohnten, fand bei Todesfällen direkt vor Ort eine kurze Zeremonie statt. Dann wurden die Toten zur Begräbnisstätte in den Bohusovicer Talkessel gefahren und dort bestattet. Den Leichenwagen durften nur ein Mitglied der Ghettowache und ein Gendarm begleiten. Die Begräbnisse fanden meist nachts statt, damit die zu dieser Zeit noch in Theresienstadt wohnende tschechische Bevölkerung davon möglichst nichts mitbekam. Noch im Juni 1942 wurden die Toten mittels Holzsärgen in Einzelgräbern bestattet, am 19. Juli begann man jedoch mit der Bestattung in Massengräbern, die bis zu sechzig verstorbene Häftlinge aufnahmen. In diesen Gräbern wurden keine Holzsärge mehr verwendet.

Am 6. Oktober 1942 fand die letzte Beisetzung in einem Massengrab statt. In 1. 250 Einzelgräbern und 270 Massengräbern des Jüdischen Friedhofes wurden im Zeitraum zwischen Dezember 1941 und Oktober 1942 8.903 erste Opfer des Ghettos begraben.

Da die Gräber das Grundwasserniveau erreichten und Wasser von der nahen Eger zufloß, befürchtete die SS eine Verseuchung des Grundwassers. Schon im Frühjahr 1942 hatte die Kommandantur beschlossen, im Bohusovicer Tal ein Krematorium zu bauen. In der Zeit vom 4. Mai bis 7. September 1942 mußten die Bauarbeiten von den Häftlingen selbst durchgeführt werden. Dann wurden die Verbrennungsanlagen schrittweise in Betrieb genommen und im Oktober arbeiteten bereits alle vier Siemens-Öfen mit einer Kapazität von 180 Einäscherungen täglich.

Zu dieser Zeit starben täglich im Durchschnitt 120 Menschen. Mit 3.941 Personen wurde im September 1942 die höchste Sterblichkeitsrate im Ghetto verzeichnet. Von der Matrikelabteilung der jüdischen Selbstverwaltung wurden im Zeitraum von September 1942 bis April 1943 19.550 Todesfälle verzeichnet.

Von den Ärzten wurden Totenscheine bzw. Beerdigungspässe ausgefüllt, die den Verstorbenen vom Lager zum Krematorium begleiteten. Sie durften den Angehörigen auf Befehl der Kommandantur nicht übergeben werden. Ein großer Teil dieser Bescheinigungen wurde bei der von der SS kurz vor Kriegsende angeordneten Vernichtung aller Dokumentationen vernichtet.

Die Hinterlassenschaft der Verstorbenen wurde vom Ghettogericht protokolliert und fiel dann der Lagerverwaltung zu. Wertgegenstände mußten bei der SS abgegeben werden.

Im Herbst 1942 hatten die Reste der tschechischen Zivilbevölkerung die Stadt verlassen und das Krematorium seine Arbeit aufgenommen. Anfang August wurde zwischen den Befestigungsanlagen am Rande des Ghettos eine Leichenhalle eingerichtet, in die die Toten nach ihrem Ableben gebracht wurden. Hier konnten die Angehörigen ihnen einen letzten Dienst erweisen, sie waschen, mit einem Leichenhemd aus Papier versehen.

Wenig später wurde in den Kasematten ein Zeremonienraum eingerichtet, wo die Angehörigen im Beisein eines Rabbiners Abschied von den Verstorbenen nehmen konnten. Diese Feiern fanden meist für größere Gruppen von Verstorbenen statt, in der Regel zweimal am Tag, vor- und nachmittags . Von einem kleinen Podest aus verlas der Rabbiner die Abschiedsworte und die Namen der Toten. Dann sprach er ein Gebet. Schließlich wurden die Särge auf ein Fuhrwerk verladen. Den Angehörigen war es gestattet, das Fuhrwerk bis zu der etwa 50 Meter entfernten Schranke, die sich an der Grenze des Ghettos befand, zu begleiten.

Im Frühjahr 1943 wurde ein zweiter Zeremonienraum eingerichtet, der es den im Ghetto lebenden Christen, Katholiken wie Protestanten, erlaubte, eine eigene Totenfeier abzuhalten. Die Nürnberger Gesetze orientierten sich in der Frage der Rassenzugehörigkeit nicht danach, welcher Konfession jemand angehörte.

Der Bau des Krematoriums oblag der Firma Ignis Hüttenbau A.G. aus Teplitz-Schönau. Die Öfen, die den Mittelraum einnahmen, wurden von der Firma Siemens geliefert. In einem Vorraum konnten die Särge abgestellt werden, ein Nebenraum stand für Obduktionen zur Verfügung, ein weiterer Anbau diente als Aufenthaltsraum für die Wachmannschaft, die hier Dienst tat. Durchschnittlich 18 Häftlinge mußten hier – teilweise in Schichten – ihren Dienst versehen, der nicht selten von dem SS-Mann Haindl oder dem Kommandanten selbst überwacht wurde.

Der Leichnam wurde ohne Sarg mittels eines Brettes und einer Lafette in den Ofen geschoben. Die Asche mußte von den Häftlingen nach Goldbruchstücken aus Zahnprothesen durchsucht werden, die dann bei der SS abgegeben werden mußten.

Über den Ablauf der Verbrennungen in den einzelnen Öfen wurde Buch geführt, die Asche der Verstorbenen in kleine Pappkartons gefüllt und im Kolumbarium, gegenüber den Zeremonienräumen, gelagert.

Im Krematorium des Ghettos wurden auch die Toten des Gestapogefängnis in der Kleinen Festung eingeäschert. Das Verbrennen dieser Leichen wurde jedoch von SS-Aufsehern überwacht, damit niemand am Zustand der Toten feststellen konnte, daß sie eines gewaltsamen Todes gestorben waren.

In den Jahren 1944-45 wurden hier auch die Toten aus dem Konzentrationslager Litoměřice („Grube Richard“) eingeäschert, bevor im April 1945 ein eigenes Krematorium bei der Grube Richard seine Arbeit aufnahm.

Die Asche der aus der Kleinen Festung und aus der Grube Richard stammenden Toten wurde in Gruben geschüttet, die man in der Nähe des Krematoriums aufgegraben hatte.

Die noch heute vorhandenen Unterlagen weisen darauf hin, daß im Krematorium des Ghettos in der Zeit von 1942 bis 1945 etwa 30.000 Leichen verbrannt worden sind.

Nach einem Besuch Eichmanns am 5. März in Theresienstadt, wurden die Verbrennungen eingestellt. Man erwartete eine weitere Kommission des Internationalen Roten Kreuzes und wollte demonstrieren, daß man die Gebräuche der jüdischen Bevölkerung akzeptierte. Die Urnen wurden im Vorraum aufbewahrt, Einzelbegräbnisse auf dem Friedhof dort vorbereitet, wo man 1942 aufgehört hatte. Die Kommission kam nicht, dennoch dauerte die Einäscherungspause bis zum 13. Mai 1945. Das Krematorium wurde wieder in Betrieb gesetzt, um auf dringendes Anraten der Ärzte die Leichname der an Flecktyphus verstorbenen Häftlinge zu verbrennen. Erst am 4. August 1945 wurde der Betrieb endgültig eingestellt.

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Neue Transporte und das Attentat auf Reinhard Heydrich

Bei einem Rundgang durch das ehemalige Ghetto im Jahre 1999 mit der Zeitzeugin Dagmar Lieblová, die als 13jähriges Mädchen nach Theresienstadt kam, Auschwitz und Bergen-Belsen überlebte, erzählte sie: „ Ich kann mir gar nicht vorstellen, daß dies Theresienstadt sein soll. Die Stadt ist so leer. Damals wimmelte es hier von Menschen wie in einem Ameisenhaufen. Nirgends war Platz, nirgendwo konnte man alleine sein, überall – dichtgedrängt – waren Menschen.“

Anfang 1942 kamen neue Transporte vor allem deutscher Juden in Theresienstadt an.

Um Platz zu schaffen, ordnete die Lagerkommandantur auf Weisung aus Berlin weitere Transporte in den Osten an. Sie wurden vom Ältestenrat zusammengestellt und von der SS auf den Weg gebracht. Die Zustellung der Transportbefehle erreichte die Menschen meist nachts. Sie wurden von der jüdischen Ghettowache geweckt und mit der Nachricht konfrontiert. Versuche des Ältestenrates, möglichst viele Juden im Ghetto zu beschäftigen und als „unabkömmlich“ zu klassifizieren, konnten auf Dauer niemanden retten, denn die Richtlinien wurden von der Lagerleitung und dem Kommandanten bestimmt, die die Anzahl und die Häftlingskategorie festlegten. Diese Richtlinien änderten sich ständig. Zeitweilig bedeutete hohes Alter Schutz vor Deportationen, dann wurden gerade die Alten in einen Transport gesteckt. Dann wieder war es die Mitarbeit in einer kulturellen Gruppe, die Schutz bedeutete. Wenig später wurden die Kunstschaffenden auf die Transportlisten gesetzt. Eine Zeit lang schützte man die Kranken, dann wurden gerade Kranke in den Transport gesteckt. Zwanzig Monate lang waren die Mitglieder des Aufbaukommandos sicher, dann wurden sie alle auf einmal deportiert. Niemand konnte wirklich sicher sein, auch nicht die Mitglieder der Ghettowache und des Ältestenrates.

Transporte nach dem Osten ordnete die SS-Lagerkommandantur auf Weisung aus Berlin oder Prag an. Sie legte die Richtlinien hinsichtlich der Zahl und der Kategorie der Häftlinge fest, die deportiert werden sollten. Die einzelnen Häftlinge wurden dann von der jüdischen Selbstverwaltung des Lagers ausgewählt. Die Richtlinien änderten sich jedoch – wie oben aufgezeigt - laufend.

Häftlinge, die zu einem Transport aufgerufen worden waren, begaben sich mit den Resten ihrer persönlichen Habe – Bettzeug und ein Bündel mit den allernotwendigsten Sachen - zum Sammelplatz, wo sie meistens noch einige Tage und Nächte zubrachten. Oft wurden noch vom Sammelplatz Häftlinge zurückgeholt und durch andere ersetzt. Dann wurden sie, das Gepäck in der Hand und die Transportnummer um den Hals, zum Zug getrieben und zu 60 bis 70 Personen in einen der Güterwaggons gepfercht.

Laufend verließen neue Transporte das Lager. Trotz der Kriegslage und der an der Front dringend benötigten Transportkapazität, stellte die Wehrmacht immer genügend Waggons und Zugmaschinen zur Verfügung. Im März 1942 waren es 2.000 Menschen, im April 1942 7.000; 3.000 gingen im Mai 1942 auf Transport. Es gab Gerüchte, aber zu dieser Zeit wußte noch niemand genau, wohin diese Transporte gingen und was mit den Menschen geschah.

Die SS schwieg sich aus oder erzählte, daß die Häftlinge in Arbeitslager kämen und es ihnen gut ginge. Was die Deportationen nach dem Osten tatsächlich bedeuteten, wird deutlich, wenn man erfährt, daß von den 97.000 aus Theresienstadt in die Vernichtungslager deportierten Menschen, nur 3.100 zurückkehrten.

Ende Mai 1942 wurde in Prag ein Attentat auf den General der Polizei und Stellvertretenden Reichsprotektor Reinhard Heydrich verübt. Die Attentäter - Mitglieder einer tschechischen Widerstandsorganisation – waren von England kommend mit dem Fallschirm abgesprungen. Sie hatten das Attentat auf Befehl der tschechischen Exilregierung unter Beneš ausgeführt. Heydrich wurde schwer verletzt und starb einige Tage später. Die Täter konnten zunächst flüchten und wurden erst später in der Krypta einer Prager Kirche gestellt. Im ganzen Land setzte eine Verhaftungswelle ein. In Terezín mußten alle Häftlinge unterschreiben, daß sie die am Tatort gefundene Aktentasche nicht kennen. Fotos der Tasche wurden allen Häftlingen auf den Kasernenhöfen gezeigt. Ein für das Ghetto Theresienstadt vorgesehener Transport Prager Juden wurde direkt nach Minsk geleitet.

Als Vergeltung für das Attentat auf Heydrich wurden am 10. Juni 1942 alle männlichen Einwohner des 20 Km nordwestlich von Prag gelegenen Dorfes Lidice erschossen. Von den 88 Kindern des Dorfes, wurden 7 „arisiert“ und in reichsdeutsche Familien aufgenommen, die restlichen Kinder in Chelmo/ Polen ermordet, die Frauen des Dorfes im KZ Ravensbrück inhaftiert. Einheiten des Reichsarbeitsdienstes zerstörten das Dorf auf Befehl Hitlers. Nichts sollte von Lidice übrig bleiben. Etwa 30 Häftlinge aus Theresienstadt wurden auf Befehl des Kommandanten nach Lidice gebracht und gezwungen, ein Massengrab für die ermordeten Männer von Lidice auszuheben. Anschließend mußten sie die Schafe des Dorfes nach Theresienstadt treiben, wo sie für die Bedürfnisse der SS gehalten wurden.

Im Juni 1942 verließen die letzten tschechischen Zivilisten die Große Festung. Die einzige Verbindung der Ghettobewohner nach draußen war nun abgebrochen.

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Das 'Ghetto der Alten'

Im Juli 1942 nahm die Bevölkerung des Ghettos schnell zu. Weitere Transporte aus Deutschland und Österreich trafen ein. Ende des Monats befanden sich 45. 000 Menschen im Ghetto. Im September waren es dann schon 60.000 Menschen. Die Lebensbedingungen wurden immer schlechter, die Lebensmittelrationen immer geringer, die Enge einfach unerträglich.

Es waren vor allem alte Menschen, die in diesen Monaten aus Deutschland nach Theresienstadt kamen. Mehr als die Hälfte war über 65 Jahre alt. Sie kamen in plombierten Waggons auf dem Bahnhof in Bohušovice an, waren bis zu 20 Stunden unterwegs gewesen und schleppten sich mit ihrem 50 Kg Gepäck mit letzter Kraft die 4 Km lange Straße entlang nach Theresienstadt. Beim Öffnen der Waggons fielen viele schon halb ohnmächtig heraus, Tote und Sterbende blieben in den Waggons zurück.

Ein Transport kam nach dem anderen. Niemand wußte, wo all diese Menschen untergebracht werden sollten, denn das Ghetto war völlig überfüllt, der Ältestenrat und die Hilfsdienste völlig überfordert. Die Lebensmittelrationen nahmen stetig ab und die Sterberate stieg. Im Juni 1942 waren alle Kasernen überfüllt, im Juli reichten die vorhandenen Gebäude nicht mehr aus. Die Menschen wurden in unterirdischen Kasematten, auf Höfen, Hauseingängen und auf Dachböden untergebracht.

Die Menschen, die in diesen Wochen nach Theresienstadt kamen, waren alte, früher meist besser gestellte Personen. Sie waren im Reich der Nazipropaganda zum Opfer gefallen, die ihnen ein „Bad Theresienstadt“ versprochen hatte, ein „Altersheim in Böhmen“ mit ärztlicher Betreuung und guter Pflege. Von der SS in Reichszeitungen aufgegebene Anzeigen priesen die guten Unterkünfte in Theresienstadt. Viele dieser alten Menschen fielen darauf rein, glaubten so, der drohenden Deportation in den Osten entgehen zu können. Sie glaubten der Nazipropaganda von einer Stadt, die „der Führer den Juden schenkte“, eine Stadt, in der sich die Juden selbst regieren und verwalten konnten, in der man sie in Ruhe ließ. Sie hatten alles zurückgelassen, hatten sich durch sogenannte „Heimeinkaufsverträge“ einen Platz im Altersghetto erkauft, oftmals ihren ganzen Besitz dafür gegeben. Viele waren glücklich, endlich nach Theresienstadt zu kommen und erwarteten, wie Helga Weissová berichtete, bei ihrer Ankunft ein Zimmer mit Blick auf den See. Sie brachten Spitzenkleider, Fotoalben, Sonnenschirme, Frack, Zylinder und Erinnerungsstücke mit. Niemand dachte an Eßbesteck, an warme Kleidung, Decken, Proviant, alles Dinge, die sie in Theresienstadt dringend benötigten.

Sie beendeten ihre Reise auf einem dreckigen Dachboden, in einem nassen Keller, in einem überfüllten Kasernenraum, dreckig, hungernd und frierend. Es war ein phantastischer Betrug, der Tausende das Leben kostete. Innerhalb weniger Tage erkrankten diese alten Menschen an Durchfall, an Lungenentzündung und anderen Infektionskrankheiten. Sie starben auf dem nackten Fußboden.

In diesen Wochen kamen auch sogenannte „privilegierte Juden“ nach Theresienstadt: Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, Ärzte, Künstler, Wissenschaftler, Weltkriegssoldaten, darunter hochdekorierte Offiziere der kaiserlichen Armee. Ihnen ging es anfangs etwas besser, dann kamen sie ebenfalls in die Transporte.

Die Überfüllung des Lagers wirkte sich auch direkt auf die Versorgung der Häftlinge mit Nahrungsmitteln aus. Es gab zu wenig Küchen, zu wenig Kessel, zu wenig Nahrungsmittel.

Die Lebensmittelrationen erreichten die Grenze des Existenzminimums.

Verfaulte Kartoffeln, Rübenstückchen und verschimmeltes Brot bildeten in dieser Zeit die Haupternährung für die Häftlinge. Besonders die älteren Menschen litten darunter, da sie als nichtarbeitende Ghettohäftlinge die kleinsten Rationen bekamen. Sie irrten im Lager umher, wühlten im Abfall, standen vor den Küchen Schlange und bettelten. Diese alten, gebeugten, zitternden Elendsgestalten schleppten sich in ihren zerrissenen, schmierigen Kleidern durch die Straßen der Stadt und starben zu Dutzenden. Im Juli 1942 starben pro Tag im Durchschnitt 32 Häftlinge, im August waren es 75, im September schon 131.

Die hohe Sterblichkeitsquote reichte der SS nicht aus. Im September und Oktober 1942 wurden 20.000 Menschen aus Theresienstadt in die Vernichtungslager des Ostens transportiert. Am 26. Oktober 1942 verläßt der erste Transport mit dem Ziel Auschwitz Theresienstadt.

Ab Juli 1942 wurden den Häftlingen bei ihrer Ankunft auf dem Bahnhof in Bohušovice oder in der sogenannten „Schleuse“ ihre mitgebrachten Sachen abgenommen. Wenig später ließ die SS am Marktplatz in Theresienstadt Geschäfte eröffnen, in denen sich die Häftlinge die Sachen kaufen konnten, die ihnen vorher von der SS abgenommen worden waren. Wer Glück hatte, bekam hier sein eigene Hose wieder.

In der Zwischenzeit breiteten sich weitere Krankheiten im Ghetto aus. Neunhundert Häftlinge erkrankten an Scharlach, sechshundert an Gelbsucht, mehr als 350 an Bauchtyphus, fünfunddreißigtausend an Enteritis (Darmentzündung). Die Zahl der täglichen Todesfälle sank nach dem Abtransport der alten Menschen zwar, doch starben in der zweiten Hälfte des Jahres 1942 fast 15.000 Häftlinge. In diesem Zeitraum trafen im Lager 31 Transporte aus dem Protektorat mit 31.000 Häftlingen ein, 11 Transporte mit 12.000 Menschen kamen aus Österreich.

Aber es gingen auch Transporte hinaus. 28.000 – meist alte Menschen - wurden deportiert.

Anfang 1943 trafen Häftlinge aus Westerbork/Holland in Theresienstadt ein. Das Lagerleben begann sich ein wenig zu normalisieren.

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Kinder und Jugendliche

Eine der größten und wichtigsten Abteilungen der jüdischen Selbstverwaltung war die Jugendfürsorge. Nicht nur Männer und Frauen waren getrennt untergebracht worden, auch die Kinder waren separat – nach Geschlechtern getrennt – in Heimen untergebracht worden. 15 bis 40 Mädchen oder Knaben bildeten sogenannte Zimmergemeinschaften Hier wurden sie in der Regel von Männern und Frauen betreut, die sich freiwillig für diese Aufgabe gemeldet hatten, vielfach eine pädagogische Ausbildung vorweisen konnten und mit großen Interesse ihrer Aufgabe nachgingen. Neben den Erziehern waren in jedem Kinderheim ein Arzt, eine Schwester, ein Fürsorger und Hilfspersonal tätig. Im Laufe der Jahre passierten mehr als 15.000 Kinder Theresienstadt. Nur wenige überlebten. Im Erdgeschoß des Ghettomuseums erinnert eine kleine Gedenkstätte an die Kinder, die im Ghetto Theresienstadt starben oder in den Gaskammern von Auschwitz ermordet wurden. Ihre Namen stehen an den Wänden, einer neben dem anderen, 7.500 an der Zahl.

Das Unterrichten der Kinder war bei Strafe verboten. Irma Lauscherova und ihre Kolleginnen unterrichteten die Kinder dennoch, erarbeiteten Fibeln, da keine Schulbücher vorhanden waren, lehrten die Grundbegriffe der Mathematik, lernten mit ihnen Gedichte und verschafften ihnen Zugang zu Literatur und begeisterten sie für Musik und Theateraufführungen. Die Betreuer kümmerten sich um ausreichende Nahrung und Bekleidung, ersetzten Geschwister oder Eltern, von denen viele schon deportiert worden waren. Ständig lebten sie in Furcht vor der Entdeckung. Entdeckung hätte zumindest Transport bedeutet.

Die Kinder zeichneten, malten das, was sie sahen, was um sie herum vor sich ging, den Teller dünner Suppe, den sie täglich bekamen, den SS-Mann mit der Knute. Sie zeichneten, woran sie sich erinnerten: den letzten Geburtstag, die letzte Sederfeier, einen Spaziergang in Prag, den Besuch in einem Circus. Sie zeichneten, was sie sich wünschten: eine große Torte, ein Brathähnchen, eine Kirmesfeier. Mit ungelenken Buchstaben stehen die Namen der Kinder unter den Bildern, die zum Teil erhalten geblieben sind.

„Hier gibt es keine Schmetterlinge“, steht unter einem der Bilder, für dessen Papier Frauen wie Irma Lauscherova Brot im Tausch gegeben haben.

Der von Rudi Freudenfeld geleitete Kinderchor brachte zur Musik von Hanuš Krása die Kinderoper „Brundibár“ („Brummbär“) zur Aufführung, und kein geringerer als der bekannte Bühnenbildner Frantisek Zelenka schuf die Szenerie. Nava Shean, später ein bedeutendes Mitglied des Ensembles des Städtischen Theaters in Haifa, dramatisierte das beliebte Kinderbuch von Karafiat „Broucci“ („Glühwürmchen“) und studierte es mit den Kindern ein. Die letzte Aufführung von „Glühwürmchen“ fand in der Sokolovna, der Turnhalle, statt. In dem Knabenheim, der alten Theresienstädter Schule (heute Ghettomuseum) wurde von den 14-16 jährigen Redakteuren die Zeitschrift „Vedem“ („Wir führen“) herausgegeben. Sie erschien jeden Freitagabend und wurde bei der wöchentlichen Vollversammlung aller Heimbewohner vorgelesen. Mit der Zeit wurde „Vedem“ ein Forum für das ganze Heim, in dem nur die Leitartikel von den Betreuern oder von der Heimleitung stammten, alle anderen Beiträge von den Jugendlichen selbst kamen.

Dagmar Lieblová berichtet, daß sie ihr Überleben wohl auch der intensiven Gemeinschaft der Kinder untereinander und den Betreuern zu verdanken habe, die – wie Irma Lauscherova – mit Mut, Liebe und Solidarität ihre Aufgabe erfüllt haben, den Kindern das Gefühl gaben, daß es eine Zukunft gibt. Viele dieser Betreuer - Männer und Frauen – überlebten nicht.

Dagmar Lieblová erzählt auch, daß viele der überlebenden Theresienstädter Kinder nach der Befreiung Schulklassen besuchen konnten, für die sie altersgemäß auch vorgesehen waren.

Dr. Leo Baeck, der große Berliner Rabbiner, war als Mitglied des Ältestenrates, letzter Leiter der Jugendfürsorge. Allen, die damit zu tun hatten, war er eine große Stütze.

Am 1. Juni 1943 kam der erste Zug auf der von den Häftlingen ab 14. August 1942 erbauten 2,8 Km langen Bahnlinie zwischen Bohušovice und Theresienstadt an. Nun konnten die Transporte weitgehend unbemerkt von der tschechischen Öffentlichkeit abgefertigt werden, denn die Bahnlinie führte bis ins Ghetto hinein. Im Juli 1943 wurde der bisherige Kommandant Seidl durch Anton Burger abgelöst, der – wie Seidl – Österreicher, aus Wien stammte und zum Mitarbeiterkreis Eichmanns gehörte. Seidl wirkte später in Bergen-Belsen und Wien. Nach dem Krieg wurde er in Wien zum Tode verurteilt und hingerichtet. Dr. Eppstein wurde als neuer Judenältester eingesetzt.

Kurz darauf wurde das Archiv des Reichssicherheitshauptamtes aus dem bombengefährdeten Berlin nach Theresienstadt verlegt (23. Juli 1943). Dafür mußten die Sudetenkaserne und die Bodenbacher Kaserne, das Zeughaus und zwei weitere Häuser geräumt werden. Allein in der Sudetenkaserne waren vor der Räumung 4.346 Personen untergebracht. In einem einzigen Gebäude der Stadt lebten also 2.000 Menschen mehr als vor dem Krieg in ganz Theresienstadt in 219 Häusern an Zivilbevölkerung lebte. Mit dem Archiv kamen Beamte und ihre Familien aus Berlin. Die Beschlagnahme dieser Gebäude für die Unterbringung des Archivs verschärfte die Raumsituation weiter.

Am 21. August 1943 mußte der jüdische Leiter des Gesundheitswesens Dr. Munk an alle Ärzte und Frauenärzte des Lagers im Auftrag des Lagerkommandanten eine Weisung erteilen: „ Bei Gelegenheit der letzten beiden Geburtsanzeigen teilt Herr SS-Obersturmführer Burger mit, daß künftig alle Väter der hier erzeugten Kinder, als auch Mutter und Kind in Transporte eingereiht werden und daß sie abgeschoben werden.“ Jede Schwangerschaft im Ghetto mußte dem Kommandanten angezeigt werden. Viele Frauen wußten um das Risiko der Deportation und wollten ihre Kinder dennoch austragen. So wurden im Laufe der Jahre 207 Kinder im Ghetto geboren, die gleich nach der Geburt eine Transportnummer erhielten. Von diesen 207 Kindern überlebten nur 25.

Immer wieder wurden Häftlinge wegen kleinerer Vergehen in die Zellen im Keller der Kommandantur gesperrt, verhört und gefoltert, bevor sie in die Kleine Festung überstellt oder in den nächsten Transport eingereiht wurden. Unterscharführer Bergel und Scharführer Rudolf Haindl taten sich bei der Bestrafung von Häftlingen besonders hervor.

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Der Kindertransport aus Bialystok

Im Sommer 1943 traf ein Transport mit 1.300 Kindern im Alter zwischen 6 und 15 Jahren in Theresienstadt ein. Niemand durfte bei ihrer Ankunft die Straße betreten, niemand mit ihnen sprechen.

Die Kinder stammten aus dem Ghetto in Bialystok, einer ostpolnischen Stadt, die ursprünglich zum sowjetisch besetzten Gebiet gehörte und nach dem Überfall Hitlers auf die Sowjetunion von der Wehrmacht besetzt wurde. Anfang August wurde der jüdischen Bevölkerung Bialystoks befohlen, in ein bestimmtes Wohngebiet zu ziehen. Wie überall in den Ghettos wurde ein Ältestenrat eingesetzt, der alle Befehle der SS und der deutschen Behörden umsetzen mußte. Spannungen zwischen dem von den Deutschen eingesetzten Ältestenrat und vor allem zionistisch und antifaschistisch eingestellten und zum Widerstand bereiten jüdischen Gruppen und die zu Beginn des Jahres 1943 in Bialystok eingehenden Nachrichten über Massenvergasungen im nicht weit entfernten Lager Treblinka, verursachten einen Aufstand (23.–26. August 1943), der von den Deutschen blutig und brutal niedergeschlagen wurde und der mit der Auflösung des Ghettos endete. Die Juden wurden aus dem Ghetto in ein Vernichtungslager abtransportiert, das Ghetto selbst ging in Flammen auf. Chaika Grossmann, die als Mitglied einer Widerstandsgruppe mit sowjetischen Partisanen zusammenarbeitete, berichtete 1993: „Gleichzeitig wurde eine aktzia durchgeführt gegen mehr als tausend Kinder, die man ihren Eltern weggenommen hatte mit der Erklärung, sie würden in die Schweiz geschickt.“ Die Kinder wurden in Viehwaggons geladen. Die Reise, die einige Tage dauerte, endete auf dem „Bahnhof“ in Theresienstadt.

Von SS-Leuten und Gendarmen bewacht, zogen die Kinder in ihren zerlumpten Kleidern zur Entlausungsstation. „Sie hielten sich an den Händen, die Älteren halfen den Jüngeren, so marschierten die kleinen Jammergestalten durch den strömenden Regen. Eine Kolonne wandelnder Geister in nassen Lumpen, die an ihren mageren Körpern klebten“ (Hanna Greenfield, 1993). Sie waren völlig verschüchtert, voller Angst, berichtet uns Dagmar Lieblová Sie wagten es nicht, zu sprechen und niemand sah sie lächeln. Als die SS-Leute die Kinder in die Entlausungsstation drängen wollten, wichen sie zurück und schrien: „Gas,Gas,Gas.“ Sie weigerten sich, in die Desinfektion zu gehen, weil sie glaubten, dort vergast zu werden. Wußten sie um die Gaskammern im Osten? Die Kinder wurden von der SS in gesonderten, streng abgeschirmten Häusern untergebracht. Der Kommandant hatte für alle eine sogenannte „Blocksperre“ verhängt. Über das vom Ghetto gestellte Pflegepersonal gelangten dann doch einige Informationen ins Ghetto. So erfuhr man, daß es sich um Kinder aus dem Ghetto in Byalistok handelte, deren Eltern und Verwandte bei einer Liquidierungsaktion im Byalistoker Ghetto ums Leben gekommen waren. Gerüchte besagten, daß die Kinder gegen deutsche Kriegsgefangene in der Schweiz ausgetauscht werden sollten. Die Kinder wurden besser ernährt, bekamen gute Kleidung, wurden ärztlich versorgt und viele erholten sich wieder. Wurde eines der Kinder gefährlich krank, brachten es SS-Männer eilig in das Gestapogefängnis der Kleinen Festung, wo es ermordet wurde. Dies bezeugten Häftlingsärzte aus der Leichenkammer.

Ende September hieß es in der Theresienstädter Flüsterpropaganda, daß die Kinder zum Austausch vorbereitet werden sollten. Ärzte und Pfleger wurden aufgefordert, die obligatorischen gelben Sterne von ihrer Kleidung zu entfernen. Alle mußten eine Erklärung unterschreiben, in der sie sich – sollte es zum Austausch kommen – zum Schweigen über das im Ghetto Erlebte und Gesehene verpflichteten.

Am Morgen des 5. Oktober 1943 waren die Holzbaracken wieder leer. An diesem Tag verließ der Kindertransport das Ghetto. 1.196 Kinder und 53 Ärzte und Schwestern verließen in den frühen Morgenstunden, als die anderen Ghettobewohner noch schliefen, mit dem Transport DN/a Theresienstadt. Er ging jedoch nicht in die Schweiz und nicht nach Palästina. Der Reichsführer SS, Heinrich Himmler, hatte es sich inzwischen anders überlegt.

Der Transport ging nach Auschwitz, wo die Kinder gemeinsam mit ihren Betreuern noch am Tage der Ankunft ( 7. Oktober 1943) in den Gaskammern ermordet wurden. Die wenigen wegen Krankheit in Theresienstadt zurückgebliebenen Kinder wurden wenige Tage später in die Kleine Festung verbracht und dort erschossen.

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Das kulturelle Leben im Ghetto

In der Anfangsphase des Ghettos hatte die Lagerkommandantur jegliche künstlerische Betätigung verboten. Später wurden den Häftlingen gewissen Freiheiten gestattet, weil dies in das SS-Konzept von der „geschenkten Stadt“ paßte, die sie der Kommission des Internationalen Roten Kreuzes präsentieren wollten. Bedeutende Künstler des tschechischen, deutschen und polnischen Kulturkreises waren als Häftlinge im Ghetto: Schriftsteller, Maler, Komponisten, Musiker, Dirigenten, Filmemacher. In Kellern, auf Dachböden, in den Gängen und Höfen der Kasernen trafen sich die Gruppen.

Maler wie Leo Haas, Bedřich Fritta, die in der technischen Zeichenstube der Selbstverwaltung tätig waren und Karel Fleischmann, Otto Ungar und Petr Kien hielten das Ghettoleben in Zeichnungen und Bildern fest und legten mit ihren Zeichnungen Zeugnis ab vom menschlichen Leiden und großer Tapferkeit. Als die SS-Kommandantur 1944 einen Teil der Zeichnungen entdeckte, bezeichnete sie die Verfasser als Verbreiter von Greuelpropaganda. Zur Strafe wurden sie mit ihren Familien in das Polizeigefängnis Kleine Festung übergeben und von dort aus nach Auschwitz deportiert, wo z.B. Bedřich Fritta ermordet wurde.

Hans Krása, Victor Ullmann, Gideon Klein, Pavel Haas und andere Komponisten arbeiteten im Ghetto, schufen Werke, von denen einige wie die Kinderoper „Brundibár“ und „Der Kaiser von Atlantis“ im Ghetto aufgeführt, andere erst vor wenigen Jahren wiederentdeckt und veröffentlicht wurden.

Der Dirigent und Chormeister Raphael Schächter studierte im Ghetto Smetanas Opern „Die verkaufte Braut“ , „Der Kuß“ und Mozarts „Die Hochzeit des Figaro“ ein. Zusammen mit Rudolf Franek machte er sich um die Aufführung der Kinderoper „Brundibár“ verdient, die nicht nur unter den Kindern, sondern auch unter den Erwachsenen großes Interesse erweckte. Ihre Melodien hat fast jeder Häftling gekannt. Zu einem einzigartigen Erlebnis wurde die Einstudierung und Aufführung von Verdis „Requiem“ . Mit einem deutschen Chor führte der Dirigent Franz E. Klein die Opern „Carmen“, „Rigoletto“ und „Tosca“ auf. Viele Konzerte wurden von den musikalischen Ensembles unter der Leitung von Karel Ančerl (dem späteren Leiter der Prager Philharmoniker), Egon Ledec, Bedřich Weiss und Karel Taube aufgeführt. Unter den Sängern ragten besonders Karel Bergmann, Heda Grab und Marion Podolier hervor.

Zu den Initiatoren der Theatertätigkeit wurden Gustav Schorsch, Vlasta Schönova, Norbert Fryd und Zdeněk Lelinek. Dankbar wurden Kabaretts und Sketche aufgenommen, die von Karel Svenk, Hans Hoffer, Kurt Gerron und Leo Strauss vorbereitet worden waren. Gespielt wurde überall, in den Unterkünften, auf Dachböden, Höhen und in Kellern. Immer wieder wurde die künstlerische Tätigkeit durch die abgehenden Transporte gestört, mußten Rollen oder Stimmen neu besetzt werden.

Für viele der Menschen im Ghetto waren diese künstlerischen Zirkel und Veranstaltungen eine Quelle der Kraft, um zu überleben und Hoffnung und Glauben nicht zu verlieren.

Ein Großteil dieser Künstler wurde im Oktober 1944 nach Auschwitz deportiert. Gemeinsam mit ihnen wurden dort viele Werke der bildenden Kunst, der Prosa, Poesie und Musik vernichtet. Diese Werke, von denen sich ihre Verfasser bis zur letzten Stunde nicht trennen wollten, gingen so für immer verloren.

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September 1943 – September 1944

Immer neue Transporte wurden zusammengestellt. Das ganze Lager lebte in ständiger Angst.

Werde ich in den nächsten Transport kommen? Werde ich von meiner Familie getrennt? Wohin gehen die Transporte? Warum gibt es kein Lebenszeichen von den Deportierten?

Stimmen die Gerüchte von den Gaskammern ?

Am 6. September 1943 wurden mit den Transporten DI und Dm 5.007 Häftlinge in das sogenannte Familienlager nach Auschwitz transportiert. Aus Propagandagründen wurden die Häftlinge 6 Monate lang in Quarantäne gehalten, bevor sie in den Gaskammern ermordet wurden.

Am 9. November 1943 wurde der Vorsitzende des Ältestenrates, Dr. Jakub Edelstein, festgenommen und in den Bunker gebracht. Man warf ihm vor, die Tagesmeldungen über die Anzahl der Häftlinge im Ghetto gefälscht und die Flucht von 55 Häftlingen begünstigt zu haben. Mit dem nächsten Transport wurde er nach Auschwitz geschickt und dort am 20. Juni 1944 erschossen.

Die SS ordnete für den 11. November eine Zählung an. Über 40.000 Menschen wurden frühmorgens aus den Häusern getrieben. Es war feucht und kalt. Bis in die späten Abendstunden hinein mußten die Häftlinge bei feinem Nieselregen auf der feuchten Wiese im sogenannten Bohusovicer Kessel stehen. Trotzdem gelang es nicht, die genaue Zahl der Häftlinge zu ermitteln. Das ganze Tal war von Gendarmen umstellt, überall waren Maschinengewehre installiert. Über dem Tal kreiste ein Flugzeug. In der hereinbrechenden Dunkelheit kam es dann zu einer Panik, da niemand den Befehl zur Rückkehr in die Häuser gab. Mütter versuchten, ihre Kinder davor zu schützen, erdrückt zu werden, alte Leute brachen vor Erschöpfung zusammen. Die Menschen stolperten hin und her und versuchten verzweifelt, wieder in das Lager zu kommen. Um Mitternacht endlich war der Talkessel leer, bis auf die vielen Menschen, die hilflos auf dem Boden zerstreut lagen. Über 300 Menschen starben wegen des sinnlosen Zählappells im Bohusovicer Kessel.

Inzwischen machte die „Stadtverschönerung“ Fortschritte. Der SS war das Lager jedoch noch zu voll. Um bei der Kommission des Internationalen Roten Kreuzes einen guten Eindruck zu machen, befahl die Lagerkommandantur am 15. und 18. Dezember 1943 den Abtransport weitere 5.007 Häftlinge ins Auschwitzer Familienlager.

Das Jahr 1943 ging zu Ende. Mehr als 15.000 Menschen waren 1943 in Theresienstadt eingetroffen, 17.000 Menschen wurden abtransportiert, fast 13.000 Menschen kamen im Lager selbst ums Leben. 14 Häftlingen war die Flucht gelungen.

Am 8. Februar 1944 wurde Kommandant Anton Burger abberufen. Später mit der Liquidierung der jüdischen Gemeinde Griechenlands beschäftigt, überlebte Burger Krieg und Nachkrieg. Er starb in den achtziger Jahren als freier Mann. Neuer Kommandant wurde SS-Obersturmführer Karl Rahm, wie seine Vorgänger ebenfalls Österreicher. Rahm behielt diese Funktion bis zum Ende des Krieges und machte sich einen Namen als ausgezeichneter „Regisseur“ der Verschönerungsaktion. Von einem außerordentlichen Volksgericht wurde Rahm in Leitmeritz (Litoměřice) zum Tode verurteilt und im April 1947 hingerichtet.

Eine der ersten Amtshandlungen Rahms war die Absetzung Dr. Eppsteins (27. September 1944) und die Ernennung Dr. Benjamin Murmelsteins (23. Dezember 1944) zum neuen Vorsitzenden des Ältestenrates. Dr. Eppstein wurde heimlich in die Kleine Festung überstellt und dort erschossen.

Das ganze Jahr 1944 hindurch gingen die Transporte, nun fast ausschließlich nach Auschwitz, weiter:
28.09.1944 Transport EK 2.499 Personen – es überlebten 371
29.09.1944 Transport EL 1.500 Personen – es überlebten 76
1.10.1944 Transport EM 1.500 Personen – es überlebten 293
4.10.1944 Transport EN 1.500 Personen – es überlebten 71
6.10.1944 Transport EO 550 Personen – es überlebten 22

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Die geschenkte Stadt und die Verschönerungsaktion

Mit der Eröffnung der Geschäfte am Marktplatz leitete die SS einen großangelegten Betrug ein, wie er wohl einzigartig ist, die sogenannte Verschönerungsaktion.

Was wurde damit bezweckt? Wie kam es dazu?

Das Geschehen in den Vernichtungslagern konnte von den Nazis auf Dauer nicht geheim gehalten werden. Zu viele Menschen wußten davon, immer wieder gelang es Häftlingen, aus den Transporten oder Außenkommandos zu fliehen. So gelang es zwei slowakischen Häftlingen, die aus Theresienstadt nach Auschwitz deportiert worden waren, aus dem Vernichtungslager zu fliehen. Sie erreichten die Slowakei, nahmen in Bianska Bystrica Kontakt zu Widerstandsorganisationen auf, die ihre Berichte über das Geschehen in Auschwitz nach England übermittelten. Anderen gelang die Flucht ins Ausland, in die Schweiz, nach England. BBC London strahlte weltweit Berichte über das Geschehen in Auschwitz aus, das britische Parlament hielt eine Schweigeminute ab, die Welt war entsetzt.

Die Deutschen wiesen alle diese Meldungen als alliierte Greuelpropaganda zurück. Sie waren auf das Wohlwollen des neutralen Auslandes angewiesen, aus dem sie nach wie vor mit wichtigen Rohstoffen versorgt wurden. So erlaubten sie schließlich einer Kommission des Internationalen Roten Kreuzes, das Ghetto Theresienstadt zu besuchen.

Hitler befahl außerdem die Produktion eines Filmes, der der Welt beweisen sollte, daß Theresienstadt eine Stadt ist, in der die Juden sich selbst regieren. Dieser Film sollte den Arbeitstitel „Die geschenkte Stadt“ haben. Doch bevor dies alles geschehen konnte, mußten im Ghetto Kulissen gebaut, mußte die „Stadtverschönerung“ durchgeführt werden. Urplötzlich veränderte sich das Leben im Lager.

Neben den Geschäften wurde am Paradeplatz, der plötzlich wieder zugänglich wurde, ein Café eröffnet. Hier konnten einige ausgewählte Häftlinge Ersatzkaffee schlürfen und einer Kapelle lauschen. Die Kommandantur gestattete eine würdige Ausstattung der Zeremonienräume und eine gärtnerische Gestaltung der Fläche vor dem Columbarium und auf dem Friedhof.

Kommandant Rahm war ein Meister im Bau von Potemkinschen Dörfern. Die Kommandantur wurde in „Dienststelle“ umgetauft, aus den „Tagesbefehlen“ wurden „Mitteilungen der jüdischen Selbstverwaltung“, Häuser wurden an der Außenfront mit heller Farbe gestrichen, ein Jugendheim eröffnet, ein Gemeinschaftshaus eingerichtet, ein Bethaus, eine Theaterbühne und eine Bibliothek geschaffen. Eine Schule wurde aufgemacht, die jedoch niemand betreten durfte, die Zäune und Schranken abgerissen. Eine Tafel wies darauf hin, daß die Mädchen- und Knabenschule über die Feiertage geschlossen sei, das Spital erhielt sauberes Bettzeug und die Krankenschwestern wurden in saubere Uniformen gesteckt. Rahm setzte den Befehl, nachdem alle Uniformträger gegrüßt werden mußten, außer Kraft, verbot das Kommando „Achtung!“, wenn Besucher die Häftlingsquartiere betraten. Die Todesstrafe wurde offiziell abgeschafft, Hinrichtungen fortan heimlich in der Kleinen Festung vollstreckt. Eine Bank der jüdischen Selbstverwaltung wurde eröffnet, Ghettogeld gedruckt und ausgegeben. Theresienstadt bekam eigene Briefmarken und die SS befahl die Dreharbeiten zu dem Film „Die geschenkte Stadt“. Die Prager Wochenschau „Aktualita“ wurde damit beauftragt, die Regie übernahm Kurt Gerron. Jo Spier, der Architekt Frantisek Zelenka und viele andere Häftlinge mußten an dem Film mitarbeiten. Die Dreharbeiten wurden am 11. September beendet. Von dem Film, dessen Handlung von der SS vorgegeben worden war, sind Fragmente erhalten geblieben.

Einige der Szenen, die gedreht wurden :

Eine Frisierstube, die von den Frauen nur zum Zwecke der Filmaufnahmen betreten werden durfte. Auserwählte, gutaussehende und gutgekleidete Frauen sitzen – miteinander plaudernd, sich zwischendurch im Spiegel anschauend – auf den Frisierstühlen und lassen sich bedienen.

Ein SS-Mann geht durch den Kindergarten, dabei die Betreuerinnen freundlich grüßend, zwischendurch das eine oder andere Kind über den Kopf streichelnd. Er reicht einem kleinen Jungen ein Stück Schokolade. Das Kind reagiert mit: „Aber Onkel, schon wieder Schokolade?“

Ein Zug trifft in Theresienstadt ein (die Bahnlinie zwischen Bohušovice und Theresienstadt ist inzwischen fertiggestellt worden): SS-Leute stehen auf dem Bahnsteig. Der Zug hält. Eine junge, gutaussehende Frau in einem bunten Sommerkleid und mondänem Hut steht auf dem Perron. Sie sieht (nach den Vorstellungen der Nazis) deutlich jüdisch aus. Ein SS-Mann reicht ihr galant die Hand, hilft ihr die Stufen von der Plattform herunter und sie sagt, sich dabei umschauend: „Ach, was bin ich froh, daß ich endlich in Theresienstadt bin.“

Mehrere ältere Leute unterschiedlicher Nationalität stolzieren auf eine Tribüne und sagen nacheinander in verschiedenen Sprachen: “Mir geht es gut in Theresienstadt. Es fehlt mir gar nichts.“

Es werden fröhliche, mit Shorts bekleidete Männer und Frauen gezeigt, alles Häftlinge mit dem Judenstern am Hemd, die in den Festungsgräben Gartenarbeit verrichten, das Gemüse gießen, die Beete jäten, dabei lachend, plaudern.

Ein Fußballspiel auf dem Hof der Kaserne. Anfeuernde Rufe aus der Zuschauermenge. Alles gutgenährte, fröhliche Menschen, deren einzige Sorge es ist, ein Gegentor zu verhindern.

Alte Menschen sitzen auf einer Bank und hören der Lagerkapelle zu.

Kurt Gerron und nahezu alle, die an diesem Film mitgewirkt haben, finden wenig später Platz in einem Transport nach Auschwitz. Keiner überlebt.

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Die Kommission des Internationalen Roten Kreuzes

Mitte Juni 1944 war bereits ein Transport mit 7.500 Häftlingen ins Auschwitzer Familienlager geschickt worden, um Platz zu schaffen. Davon erfuhr die Kommission des Internationalen Roten Kreuzes jedoch nichts, als sie am 23. Juni 1944 in Theresienstadt eintraf. Der Kommission gehörten Vertreter des dänischen Außenministeriums und des Internationalen Rotes Kreuzes aus Berlin an. Ein Stab hoher Nazifunktionäre aus Prag begleitete die Delegation. Alle SS-Leute, mit Ausnahme des Kommandanten, trugen Zivil.

Die Regie klappte ausgezeichnet. In aller Frühe hatten die Frauen die Gehsteige geputzt. Der Kommission gingen Posten voraus und auf ihren Befehl hin, begann die Schau abzulaufen.

In einer Straße traf die Kommission – ganz zufällig natürlich – eine Gruppe junger Mädchen, die mit geschulterten Rechen einfach so dahinzogen. In einer anderen Straße kamen sie gerade zurecht, wie weißbehandschuhte Bäcker Brot aus einem Lieferwagen luden. Im Gemeinschaftshaus am Paradeplatz spielte das Orchester ein Requiem. Genau in dem Moment, in dem die Kommission den Sportplatz erreichte, wurde vor herbeibefohlenen und „begeisterten“ Zuschauern ein Tor geschossen. Beim Gemüsehändler wurde zufällig gerade frisches Gemüse angeliefert und im blitzsauberen Speiseraum servierten weißbeschürzte Kellnerinnen ein ausgezeichnetes Mittagessen. In der Bank wurden den Kommissionsmitgliedern vom Bankdirektor Zigarren angeboten. Niemand wußte, daß der Bankdirektor gerade 3 Monate im Bunker war, weil man ihn beim Rauchen erwischt hatte. Der Vorsitzende des Ältestenrates, der an diesem Tag als Bürgermeister der Stadt vorgestellt wurde, hatte an diesem Tag einen Dienstwagen zur Verfügung. Einer der grausamsten SS-Männer des Lagers mußte ihn chauffieren, die Tür aufhalten, grüßen. Auf dem Paradeplatz spielte die Kapelle einen Marsch.

Phantastische Lügen wurden dieser Kommission an diesem Tag aufgetischt. Sie sah nicht die unterirdischen Kasematten, das Elend der Alten. Die Transportlisten waren versteckt und auch die den Häftlingen gestohlenen Sachen bekamen sie nicht zu sehen. Blinde, Invaliden und ausgemergelte Menschen durften an diesem Tag nicht auf die Straße. Sogar die tschechischen Gendarmen durften sich an diesem Tag nicht blicken lassen. Welch ein Betrug !

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Das Ghetto leert sich

Im September häuften sich die Transporte. Nun wurden auch die bisher geschützten „Prominenten“ deportiert. Niemand war mehr sicher. Am 28. Oktober wurden auch die Mitglieder des Ältestenrates mit ihren Familien in den Transport eingegliedert. Die SS stellte die Transporte nun selbst zusammen. Nach jedem abgegangenen Transport, hofften die Zurückgebliebenen, es sei der letzte gewesen. Die SS aber deportierte weiter. Den ganzen Oktober hindurch wütet die Angst im Lager. Am 28. Oktober 1944 verließ der letzte Transport Theresienstadt in Richtung Osten. Die Angst jedoch blieb.

Nachdem der letzten Transport Theresienstadt in Richtung Auschwitz verlassen hatte, begannen die Nazis damit, die Spuren ihrer Verbrechen zu verwischen. Anfang November 1944 erteilte Kommandant Rahm den Befehl, die in den Regalen des Kolumbariums gelagerten Urnen zu liquidieren. Hunderte von Häftlingen, hauptsächlich Frauen und Kinder, mußten sie aus dem Kolumbarium heraustragen. Sie bildeten eine Kette, gaben die Pappschachteln von Hand zu Hand weiter und beluden sie auf bereitstehende Lastkraftwagen. Es kam zu erschütternden Szenen, wenn jemand die Urne naher Verwandter in die Hand bekam. Die Lastwagen fuhren nur ein kurzes Stück aus der Stadt heraus und hielten an der Eger, wo männliche Häftlinge die Kartons unter Bewachung in die Eger entleeren mußten.

Die Pappkartons wurden anschließend am Uferstreifen verbrannt. Nach den im Krematorium gemachten Aufzeichnungen, war es die Asche von 22.000 Verstorbener, die in den Fluß Eger geschüttet wurde.

Die zwanzig männlichen Häftlinge, die diese Arbeit am Ufer der Eger verrichten mußten, wurden anschließend in die Kleine Festung überstellt. Ihr weiteres Schicksal ist unbekannt.

Herbst 1944 bis zur Befreiung

Das Kriegsglück hatte sich gewendet. An allen Fronten zogen sich die deutschen Armeen zurück. Die deutschen Städte wurden von den alliierten Bomberflotten in Schutt und Asche gelegt. Die SS hatte Angst. Die Leichen der Hingerichteten mußten von Häftlingen ausgegraben und an geheimen Orten wieder vergraben werden. Die Häftlinge, die diese Arbeit verrichten mußten, kamen in den nächsten Transport.

Über 20.000 Menschen verließen in den letzten Monaten des Jahres 1944 das Ghetto, 11.000 blieben zurück. Dann wurden die Transporte – niemand wußte warum – plötzlich eingestellt.

Im Lager verblieben vor allem alte Menschen, deren Kinder in die Vernichtungslager deportiert , Kinder, deren Eltern, Geschwister und Verwandten in Auschwitz ermordet worden waren. Nur wenige Hundert arbeitsfähige Männer blieben zurück. Überall stockten die Arbeiten, niemand kümmerte sich mehr um die Müllabfuhr, niemand versorgte die alten Menschen, kochte. Die Selbstverwaltung brach zusammen. Die SS dachte jedoch nicht daran, das Arbeitstempo herabzusetzen. Ein neuer Speisesaal, ein Kinoraum und eine Küche für die SS-Offiziere mußte von den Häftlingen gebaut werden.

Ende Dezember trafen slowakische Häftlinge in Theresienstadt ein und mit ihnen nun auch zuverlässige Berichte über die Massenvernichtung von Juden in Auschwitz. Die Ghettoinsassen erfuhren über die Selektionen auf der Rampe in Auschwitz, von den Massenvergasungen und wußten nun, was mit ihren Angehörigen geschehen war, daß sie ermordet worden waren.

Von den 11.474 Häftlingen waren im Dezember 1944 943 Katholiken, 1.198 Protestanten, 139 gehörten keiner Religionsgemeinschaft an. Josef Polák, der als Mitarbeiter des Ältestenrates für die Evidenz verantwortlich war, konnte einen Teil der Unterlagen vor der befohlenen Verbrennung retten. So stehen uns diese Zahlen heute zur Verfügung.

Im Januar 1945 befahl die SS den Bau von Holzbaracken. Niemand wußte, wofür sie bestimmt waren, denn nach den vielen Transporten des Herbstes 1944 gab es genügend Platz im Lager. Ende Januar trafen nach einer Pause wieder Transporte in Theresienstadt ein. Im Februar folgen weitere aus Prag und Ölmütz. Es handelte sich hierbei um 3.600 Häftlingen, vorwiegend Juden aus Mischehen, die bisher nicht deportiert, sondern in „Arbeitslagern“ untergebracht waren. Den Neuankommenden wurde bei der Ankunft das ganze persönliche Eigentum abgenommen.

Im Februar 1945 wurde in den Kasematten am Leitmeritzer Tor mit dem Bau einer Gaskammer begonnen. Eine Gruppe von Häftlingen hatte sich darauf vorbereitet, im Notfall den Lagerraum mit Zyklon B zu sprengen. Die Bauarbeiten wurden später eingestellt.

Das Deutsche Reich brach unter den Schlägen der angreifenden alliierten Armeen zusammen, aber die SS transportierte weiter Juden aus halb Europa zu den Vernichtungslagern. Die Endlösung der Judenfrage hatte auch jetzt noch Vorrang vor militärischen Interessen.

In Theresienstadt trafen nun täglich kleinere Transporte ein, die aus Orten kamen, die schon von der Roten Armee eingenommen waren.

Im Februar 1945 ging auf den Straßen des Ghettos das Gerücht um, daß die SS einen Transport mit dem Bestimmungsziel Schweiz zusammenstellen wolle. Niemand glaubte daran, alle weigerten sich, in die Listen des Transportes aufgenommen zu werden. Die Menschen dachten an das Schicksal der Byalistoker Kinder. Die SS mußte Gewalt anwenden. Der Transport verließ Theresienstadt. Einige Zeit später erhielten die Zurückgebliebenen Post aus der Schweiz.

Das Leid der Ghettoinsassen war noch nicht zu Ende.

Die Front rückte immer näher, die SS-Leute wurden immer nervöser. Alle erreichbaren Unterlagen, Akten, Schriftstücke, Transportlisten, Karteien usw. wurden auf Befehl der SS verbrannt. Am 15. April 1945 kamen Angehörige des Schwedischen Roten Kreuzes mit Omnibussen und holten die dänischen Häftlinge ab . Die SS-Leute wurden von ihnen mit keinem Blick gewürdigt. Wenige Tage später besuchte Paul Dunant, Beauftragter des Internationalen Roten Kreuzes, das Lager.

Die SS verbrannte das Archiv des Reichssicherheitshauptamtes und die

Häftlinge bemerkten, daß sich SS-Wachmannschaften und Offiziere auf die Flucht vorbereiteten. Dennoch versuchte die SS auch im April 1945 noch, einen weiteren Transport zusammenzustellen und auf den Weg zu bringen. Dies konnte jedoch von Paul Dunant verhindert werden. Am 20. April 1945, also wenige Tage vor Beendigung des Krieges, brachten Viehwaggons einen Transport von 2.000 Menschen, Frauen und Männern, nach Theresienstadt. Weitere Transporte kamen an. Die ausgemergelten, halbtoten Häftlinge kamen aus Auschwitz oder anderen Vernichtungslagern, die beim Heranrücken der Roten Armee geräumt worden waren. Die Häftlinge sahen nicht mehr wie Menschen aus. Schmutzig, verlaust, voller Geschwüre, mit Fetzen an den Leibern, nur einen Gedanken im Kopf: Essen und Trinken. Mit Grauen sahen die Ghettobewohner unter den Ankommenden auch Bekannte und Verwandte, Freunde, ehemalige Ghettoinsassen. Von ihnen erfuhren sie nun das ganze Ausmaß der Katastrophe, die über sie hereingebrochen war. Hunderte von Häftlingen kamen zu Fuß in Theresienstadt an, auf Fuhrwerken und Karren. Sie lagen auf den Höhen, in den Hauseingängen, auf den Rasenflächen – zu Tode erschöpft. Die verlassenen Viehwaggons waren voller Exkremente und Schmutz, Dutzende von Leichen lagen herum. Theresienstadt hörte in diesen Tagen auf, ein Ghetto für Juden zu sein., denn auch nichtjüdische Häftlinge trafen in großer Zahl im Lager ein. Viele der neuangekommenen Häftlinge litten an Krankheiten, an Flecktyphus. Da man sie nicht isolieren konnte, die hygienischen Bedingungen katastrophal waren, keine medizinische Hilfe vorhanden war, griff die Seuche schnell um sich. Es fehlte an Medikamenten, an medizinischen Personal. Nur wenig konnte für die Kranken getan werden.

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Die Befreiung

Anfang Mai 1945 übernahm das Internationale Rote Kreuz Ghetto und Gestapogefängnis Theresienstadt. Versprengte Einheiten der Deutschen Wehrmacht zogen an der Stadt vorbei und schossen ins Lager. Am 2. Mai wurden auf Befehl der Gestapo in der Kleinen Festung 52 meist junge Männer hingerichtet, bevor die Wachmannschaft flüchtete. Die letzten SS-Leute aus dem Ghetto flüchteten und Dr. Murmelstein legte sein Amt als Vorsitzender des Ältestenrates nieder. Die Häftlinge wählten sich nun eine echte Selbstverwaltung.

Der Flecktyphus breitete sich immer schneller aus. Am 4. Mai kam eine Gruppe Prager Ärzte nach Theresienstadt. Sie ließ Entlausungsstationen und „Krankenhäuser“ einrichten, versuchte, die Kranken zu isolieren. Am 5. Mai, als es in Prag zum Aufstand kam, flüchteten die SS-Leute der Kleinen Festung und der Kommandant des Ghettos.

An diesem Tag mußten die Häftlinge des unterirdischen Konzentrationslager „Richard“ bei Litoměřice noch zu ihrer letzten Schicht antreten.

Aus den Ortschaften der näheren Umgebung setzte jetzt eine Welle der Hilfsbereitschaft ein.

Die Bevölkerung von Litoměřice, Roudnice nad Labem, Usti nad Labem und Doksany halfen mit Medikamenten und Lebensmitteln. Aber es reichte nicht, um den Flecktyphus wirkungsvoll zu bekämpfen. Die Hilfe aus Prag kam nur spärlich. Nach wie vor zogen versprengte Einheiten der SS und der Wehrmacht am Ghetto vorbei. Am 6. Mai 1945 griffen sowjetische Einheiten der 1. Ukrainischen Front unter Marschall Konjew in die Kämpfe um Prag ein und am 8. Mai erreichten die ersten sowjetischen Panzerspitzen Theresienstadt.

Bis zum 10. Mai übernahmen sowjetische Einheiten den Schutz und die Betreuung der Häftlinge in Theresienstadt und Litoměřice. Schließlich trafen Ärzte und Betreuungspersonal aus Prag ein. Dennoch ließ sich die Seuche so einfach nicht eindämmen. 200 bis 300 Menschen steckten sich täglich neu an. Zwischen 800 und 1.000 Menschen starben noch nach der Befreiung am Flecktyphus.

Ende Mai begann dann die Entlassung der tschechischen, deutschen, slowakischen, holländischen, französischen, belgischen und österreichischen Häftlinge. Ende August war das Lager leer. In den folgenden Monaten kehrte langsam die tschechische Zivilbevölkerung zurück.

Am 26. Oktober 1945 wurde die Gemeinde Theresienstadt durch ein Dekret des Präsidenten der CSR erneuert. Im Laufe des Jahres 1946 begann die Wiederbesiedlung der Stadt und die Rückkehr der ehemaligen Bürger.

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Bilanz

Von 1941 bis 1945 wurden mehr als 160.000 Menschen in das Ghetto Theresienstadt gebracht. Im Lager selbst, ohne Kleine Festung (Gestapogefängnis), starben etwa 35.000. Über 88.000 Menschen wurden in 63 Transporten in die Vernichtungslager geschickt, zunächst nach Riga, von Oktober 1942 an vor allem nach Auschwitz-Birkenau. Von diesen 88.000 überlebten etwa 3.100. Von den ca. 15.000 Kindern, die das Ghetto Theresienstadt durchliefen und in die Transporte kamen, überlebten etwa 100. Quelle: 385) 386) 387)

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