Lidice, ein Dorf in Böhmen

Am 9. und 10. Juli 1942 wurde das 20 Km nordwestlich von Prag und 8 Km östlich von Kladno liegende Dorf Lidice von SS-Einheiten umstellt und auf Weisung Hitlers niedergebrannt. Die 192 männlichen Einwohner des Dorfes wurden erschossen, die Frauen in Konzentrationslager verschleppt (zumeist nach Ravensbrück), die Kinder „eingedeutscht“, wenn sie nach rassischen Gesichtspunkten für eine Arisierung in Frage kamen oder im Osten ermordet.

In den folgenden Wochen und Monaten wurde das Dorf auf ausdrücklichen Befehl Hitlers dem Erdboden gleichgemacht. Nichts sollte an die Gemeinde Lidice erinnern, die um 1300 erstmalig urkundlich erwähnt wurde und sich später aufgrund des industriellen Aufschwungs der Industriestadt Kladno mit ihren Bergwerken und Hüttenbetrieben entwickelte.

Am 27. Mai 1942 verübten Angehörige der tschechoslowakischen Widerstandsbewegung ein Attentat auf den deutschen „Militärgouverneur“ ihrer durch die deutschen Faschisten besetzten Heimat, die von den Nationalsozialisten seit dem 15. März 1939, dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht in Prag, „Reichsprotektorat Böhmen und Mähren“ genannt wurde.

Militärgouverneur dieses Gebietes war als (stellvertretender) Reichsprotektor seit dem 27. September 1941 der SS-Obergruppenführer (General) und Chef des Reichssicherheitshauptamtes der SS (d.h. der Geheimen Staatspolizei, der Sicherheitspolizei, des Reichskriminalamtes, des Auslandsnachrichtendienstes und der Spionageabwehr) Reinhard Tristan Heydrich, der zweite Mann nach Himmler, dem „Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei“.

Heydrich sollte im dritten Jahr des 2. Weltkrieges vor allem die Produktion der tschechischen Industrie und Landwirtschaft ankurbeln, die für das „Dritte Reich“ von kriegswichtiger Bedeutung waren. Die großen Industriekomplexe Tschechiens waren, im Herzen Europas gelegen, zu dieser Zeit noch relativ sicher vor alliierten Bombenangriffen.

Die Attentäter, zwei Feldwebel der tschechoslowakischen Exilarmee, Jozef Gabčik und Jan Kubiš, handelten auf Befehl der in London amtierenden tschechoslowakischen Exilregierung und zwar im direkten Auftrag. Trotz erheblicher Schwierigkeiten und Fehler bei der Durchführung des Attentatsplanes gelang der Anschlag am 27. Mai 1942, Heydrich starb an den Folgen des Anschlages am 4. Juni 1942.

Was vor allem Ladislav Vaněk, der Führer der in Prag operierenden Widerstandsgruppe „Indra“ befürchtet hatte, trat ein. Der Terror der SS steigerte sich zu einem Blutrausch. Bis zum 1. September 1942 verurteilten die deutschen Standgerichte 1.357 Tschechoslowaken zum Tode.

Tausende wurden in die Gestapogefängnisse und Konzentrationslager geworfen, am 9. und 10. Juni 1942 wurde das Dorf Lidice zerstört, ein Großteil der Einwohner ermordet.

Bei Heydrichs Antrittsbesuch auf dem Hradschin, der Prager Burg, am 27. September 1941, wurde eine Erklärung von ihm veröffentlicht, die deutlich macht, warum er ins „Protektorat“ geschickt wurde:
„Man müsse dem tschechischen Arbeiter, den die deutsche Kriegswirtschaft braucht, das an Fressen geben, daß er seine Arbeit erfüllen kann.“

Der Ausnahmezustand wurde verkündet: Handlungen, die die öffentliche Ordnung, das Wirtschaftsleben oder den Arbeitsfrieden stören, unterlagen den Standgerichten, ebenso der unerlaubte Besitz von Waffen. Wer Kenntnis von Zusammenrottungen in geschlossenen Räumen oder auf öffentlichen Plätzen und Straßen hat und den Behörden nicht sofort meldet, unterliegt wie der Täter dem Standgericht.

Heydrich regierte mit Zuckerbrot und Peitsche. Er machte sofort nach seinem Amtsantritt deutlich, daß er hart durchgreifen werde.

Ausnahmezustand und Standgerichte bedeuteten die weitgehende Außerkraftsetzung der noch verbliebenen zivilen Verwaltung und Justiz. Die militärischen Standgerichte konnten nur noch auf Freispruch, Überstellung an die Gestapo oder die Todesstrafe erkennen. Die Urteile der Standgerichte wurden sofort vollstreckt. Rechtsmittel gegen sie gab es nicht. Heydrich setzte sich dabei auch gegen die im Protektorat untereinander konkurrierenden nationalsozialistischen Organisationen, Behörden, polizeilichen und militärischen Dienststellen durch. Für ihn war das Primäre „ die Bezwingung des Raumes, weiterhin gilt als Endziel, daß der Tscheche hier letzten Endes nichts mehr zu suchen hat“. Sein Ziel war eindeutig. An anderer Stelle äußerte er: „Diese Menschen muß ich hinausbringen. Im Osten ist viel Platz, bei den gefährlichsten (Personen) der gutrassigen Führerschicht wird nur eines übrigbleiben, zu versuchen, sie im Reich anzusiedeln, in einer rein deutschen Umgebung, sie einzudeutschen und gesinnungsmäßig zu erziehen, oder, wenn das nicht, sie endgültig an die Wand zu stellen.“ Aufschlußreich auch die Bemerkungen, die Reichsleiter Bormann nach der Wannseekonferenz am 8. Juni 1942 in einem Rundschreiben an politische Leiter der NSDAP machte:"...daß nach Abschluß der Evakuierung der Juden mit einer Aussiedlung der Tschechen begonnen werden müsse.“ Das Protektorat sollte im Sinne der nationalsozialistischen Rassen- und Lebensraumpolitik endgültig in Besitz genommen und seine tschechische Bevölkerung weitgehend vertrieben werden. Staatssekretär Frank hielt die „totale Umsiedlung von 7,2 Millionen Tschechen zwar für undurchführbar,“ forderte aber „die Ausmerzung rassisch ungeeigneter und reichsfeindlicher Personen“ sowie „ die Umvolkung der rassisch geeigneten Tschechen.“

Ein Brief von Heydrich an Reichsleiter Bormann, den engsten Mitarbeiter Hitlers in der Reichskanzlei, dokumentiert, mit welcher Zielstrebigkeit und Härte der Reichsprotektor die tschechische Opposition bzw. den Widerstand zerschlägt. Über 400 tschechoslowakische Widerstandskämpfer wurden hingerichtet, weitere 4.000 – 5.000 in Konzentrationslagern inhaftiert.

Nach wenigen Wochen meldet Heydrich nach Berlin:
„Die Intelligenz und die chauvinistischen Kreise fürchten eine weitere Dezimierung und verhalten sich weitgehend ruhig. Der Durchschnitt der tschechischen Bevölkerung ist ängstlich und verschüchtert.“

Im Herbst 1941, nach der Liquidierung der wichtigsten tschechoslowakischen Widerstandsgruppen, begann Heydrich den Punkt 1 seiner Antrittsproklamation umzusetzen.

Er empfing Arbeiterdelegationen auf dem Hradschin, hörte sich ihre Beschwerden an und schaffte mit seinen Machtmitteln Abhilfe. So erhielten die tschechischen Rüstungsarbeiter die gleichen Lebensmittelrationen wie die deutschen, 200.000 Paar Arbeitsschuhe wurden zur Verfügung gestellt. Die Produktion der Rüstungsbetriebe in Böhmen und Mähren stieg an, während Sabotageakte und Aktionen des passiven Widerstandes langsam abnahmen.

Dies war eine Entwicklung, die der tschechoslowakischen Exilregierung in London unter der Führung von Dr. Edward Beneš nicht recht sein konnte. Er war beunruhigt über die Lage des tschechischen Widerstandes nach den Aktionen Heydrichs. Um das Ansehen der Exilregierung bei den Alliierten wieder herzustellen, beschloß sie, ein Zeichen gegen Resignation und Passivität ihrer Landsleute gegenüber der deutschen Besatzungsmacht zu setzen. Sie beschloß, ein Attentat auf Heydrich selbst durchzuführen, eine Aktion, von der man sich ein entsprechendes Echo bei den tschechischen Landsleuten und bei den Alliierten erhoffte.

Im Rahmen einer Sondereinheit wurden die Attentäter in England ausgebildet und mit einem Halifax-Langstreckenbomber nach Mittelböhmen gebracht, wo sie mit dem Fallschirm absprangen und sich verbargen. Die Attentäter nahmen Kontakt auf zum tschechoslowakischen Untergrund. Der jedoch waren von den Attentatsplänen nicht begeistert. Ladislav Vaněk, Chef der in Prag operierenden Gruppe „Jindra“, intervenierte per Funkspruch in London:

„Dieses Attentat würde den Alliierten nichts nützen, für unser Volk aber hätte es unübersehbare Folgen. Es würde nicht nur unsere Geiseln und Gefangenen bedrohen, sondern Tausende weitere Leben fordern.“

Vaněk forderte, den Attentatsplan fallen zu lassen, doch London antwortete nicht.

Kubiš und Gabčik und einige Freunde bereiteten sich inzwischen auf das Attentat vor. Da an Heydrich auf dem Hradschin und in der gut bewachten Sommerresidenz außerhalb von Prag nicht heranzukommen war, blieb nur die Möglichkeit, ihn auf der Fahrt zum Hradschin abzufangen.

Begibt man sich von Theresienstadt aus auf der alten E 55 nach Prag, fährt man nach Erreichen der Stadtgrenze die Zenklova hinunter, die nach einer scharfen Rechtskurve in eine Hauptverkehrsstraße mündet, die zu den Trojabrücken über die Moldau und nach Holosovice hinunterführt.

Hier, hinter der Kurve, warteten die Attentäter. Ein Mitverschwörer, ein gewisser Valčík, wartete 250 Meter vor der Kurve und gab beim Erblicken von Heydrichs Wagen ein Signal mit der Trillerpfeife. Heydrich, der auf dem Rücksitz des offenen Wagens saß, wurde vom Fahrer Klein begleitet und fuhr – sich völlig sicher fühlend – ohne Begleitschutz.

Als Gabciks Maschinenpistole versagt und auch nach mehrfachen Durchladen immer noch klemmt, wirft Kubiš eine Plastikbombe, die den Wagen hinten trifft. > Heydrich kann trotz seiner Verletzungen aussteigen, zieht seine Dienstpistole und schießt auf die flüchtenden Attentäter sein Magazin leer. Dann wankt er taumelnd zum Wagen zurück. Fahrer Klein versucht, den zwischen zwei Straßenbahnen fliehenden Kubiš zu erreichen. Gabčik, der zuvor noch Schüsse aus einer Handfeuerwaffe auf Heydrich abgibt, flieht und kann im Verkehrsgetümmel entkommen.

Heydrich stirbt am 4. Juni an den Folgen seiner Verletzungen.

Sein Stellvertreter, Staatssekretär und SS-Gruppenführer (Generalleutnant) > K. H. Frank, fliegt nach Berlin, um eine Abänderung von Hitlers Befehlen zu erreichen, denen zufolge 10. – 30.000 Tschechen standrechtlich erschossen werden sollen – zur Sühne, wie das damals hieß.

Frank schlägt stattdessen vor :

  • Die Ausrufung des zivilen Ausnahmezustandes (der zwischenzeitlich aufgehoben war).
  • Eine Großfahndung nach den Tätern und ihren Hintermännern.
  • Demonstration der deutschen Macht...
  • Sofortige Exekution aller der Beihilfe oder der Mitwisserschaft verdächtigten Personen samt ihren Familien.
  • Aufhebung der tschechischen Autonomie, falls die Täter nicht bis Ende Juni gefaßt sind.

Für die Ergreifung der Täter wurde eine Belohnung von einer Million Reichsmark ausgesetzt. In den Zeitungen, auf Flugblättern, im Rundfunk und über Straßenlautsprecher wurde folgende Warnung herausgegeben:
„Wer sich ab dem 30. Mai 1942 noch unangemeldet im Protektorat aufhält, wird erschossen. Ebenso werden diejenigen Personen erschossen, die ab dem 30. Mai 1942 unangemeldete Personen bei sich beherbergen.“

Überall im Land wurden intensive Nachforschungen in Hotels, Pensionen und Gaststätten durchgeführt.

Vor allem aber findet die von Frank geforderte Demonstration deutscher Stärke statt: über 60.000 Mann Schutzpolizei, SS und Wehrmacht aus dem Reich und aus Österreich werden aufgeboten und das im vierten Jahr des Weltkrieges.

SS-Obergruppenführer Daluege (Generaloberst) wird mit Heydrichs Geschäften betraut. Frauen und Männer werden hingerichtet allein wegen der „Gutheißung der Tat“.

In allen Kinos des Landes wurde ein Fahndungsfilm gezeigt: Ein Damenfahrrad, das vermutlich von Gabčik am Tatort zurückgelassen wurde, ein hellbeiger Mantel, eine braune Aktentasche und eine britische Sten-Maschinenpistole, mit der Gabčik vergeblich versuchte, Heydrich zu erschießen. Der Fahndungsfilm endete mit der zweisprachigen Aufforderung: „Jeder halte in seiner Umgebung Ausschau nach verdächtigen Einzelheiten!“

Auf der Suche nach den Attentätern und den Hintermännern wird jeder noch so winzigen Spur nachgegangen, auch Spuren, die offensichtlich nichts mit dem Attentat zu tun haben. So tauchte plötzlich der Name Lidice auf: Herr Pala, ein kleiner Fabrikbesitzer in Slaný, stößt bei der Kontrolle der Post seiner Angestellten auf einen mysteriösen Brief, dessen Inhalt er auf das Attentat bezieht. Die Adressatin des Briefes, ein neunzehnjähriges Mädchen, glaubt, es handele sich bei dem Absender um den Sohn einer Familie Horák aus Lidice. Die Gestapo verhaftet daraufhin 15 Einwohner des Ortes, darunter die gesamte Familie Horák. Ein Sohn des Gutsbesitzers Horák und dessen Freund waren ehemalige Offiziere der tschechoslowakischen Armee und seit 1939 verschollen. In Wirklichkeit heißt der Absender des Briefes Milan und ist ein verheirateter Mann, der eine Liebesaffäre beenden will. Das stellt sich aber erst heraus, als man der jungen Frau die Bilder der Horák-Söhne vorlegt. Der Brief hatte also weder etwas mit Lidice noch mit dem Attentat zu tun. Alle Hausdurchsuchungen und Vernehmungen brachten keinerlei Hinweis auf einen Zusammenhang.

Währenddessen läuft die Fahndung nach den Attentätern weiter. Etwa hundert Menschen kannten die Attentäter und boten ihnen Unterschlupf in wechselnden Verstecken. Trotzdem bleibt die auf Hochtouren laufende Fahndung zunächst völlig erfolglos. Erst als sich am 16. Juni der Fallschirmspringer Karel Čurda freiwillig der Gestapo stellt und die Wohnungen, in denen sich die Widerstandskämpfer verstecken können, zum größten Teil verrät, kann die Gestapo zahlreiche Verhaftungen durchführen. Einer der Verhafteten verrät unter der Folter das letzte Versteck der Attentäter: die Krypta der damaligen Cyrill- und Methodius-Kirche (in anderen Quellen Karl-Borromäuskirche) in der Prager Resselstraße. Über 350 Angehörige der Waffen-SS und der Polizei umstellen die Kirche und versuchen, sie unter Einsatz von Tränengas, Wasser und automatischen Waffen zu stürmen. Nachdem drei Mitglieder der Widerstandsgruppe im Kampf gefallen sind und ihre Munition verschossen haben, wählten die vier noch überlebenden Kämpfer den Freitod.

An dem Staatsakt in der Reichskanzlei, anläßlich der Beisetzung Heydrichs nehmen neben Hitler, Göring, Goebbels und Himmler andere Größen des Nazisystems teil. Zu Gast bei diesem Staatsakt ist auch der tschechische Präsident Dr. Hácha, der von Hitler mit Handschlag begrüßt wird. Am Festakt nehmen die beiden Söhne Heydrichs, aber nicht seine Witwe teil.

Inzwischen nimmt das Schicksal des Dorfes Lidice seinen Lauf. Am 9. Juni um 19.45 Uhr übermittelt K.H. Frank folgenden Befehl telefonisch aus Berlin nach Prag: „...daß aufgrund einer Führerbesprechung die Ortschaft Liditz (deutsche Schreibweise) folgendermaßen noch am gleichen Tage zu behandeln ist...

  • Alle männlichen Erwachsenen sind zu erschießen.
  • Alle Frauen sind in ein Konzentrationslager zu überstellen.
  • Die Kinder (sind) zu sammeln und, soweit eindeutschungsfähig, an SS-Familien ins Reich zu geben. Der Rest wird einer anderen Erziehung zugeführt.
  • Die Ortschaft ist niederzubrennen und dem Erdboden gleichzumachen. Die Feuerwehr ist hierbei einzuschalten.“

In der Nacht zum 10. Juni wurde das Dorf Lidice umstellt und die Einwohner gefangen genommen. Da viele der Männer zur Nachtschicht im Berg- oder Hüttenwerken Kladnos waren, wurden sie morgens bei der Heimkehr festgenommen. Niemand kam aus Lidice heraus. Nur zwei der Männer konnten fliehen. Sie versteckten sich in den Wäldern bei Ziwoklac. Einer versteckte sich bei einem Förster, der ihn verriet und der Gendarmerie auslieferte.

Die 184 Männer (nach anderen Quellen 173) wurden hinter Horáks Gutshof zusammengetrieben und in den Morgenstunden erschossen, etwas später die 15 schon vorher verhafteten Mitglieder der Familie Horák, darunter sieben Frauen. Das jüngste Opfer war 14 Jahre alt. Auch der 73jährige Pfarrer, ein Blinder und ein Vater von acht Kindern wurden exekutiert.

Am Nachmittag des 10. Juni 1942 wurden 30 Häftlinge aus der Kleinen Festung (Gestapogefängnis Theresienstadt) nach Lidice gebracht. Sie mußten die Toten entkleiden und alle persönlichen Dinge aus den Taschen nehmen. All diese Sachen wurden zum Gestapo-Amt nach Kladno gebracht. Beweise für einen Zusammenhang Lidices mit dem Attentat auf Heydrich wurden auch hier nicht gefunden. Die Häftlinge aus Theresienstadt/Terezín mußten auch das Massengrab ausheben, in dem die Exekutionsopfer begraben wurden.

Ein Überlebender des Gestapogefängnisses Terezín berichtet:

„Das Massengrab mußten 30 Häftlinge des Konzentrationslagers Theresienstadt ausheben. Man führte uns in den halbverbrannten Garten eines Bauernhofes. In dem Augenblick brach alles in mir zusammen. Nie im Leben werde ich es vergessen. Es lagen dort Kinder, erschossene Männer, ein weißhaariger Greis mit schreckensstarr aufgerissenen Augen. Es war ein furchtbarer Anblick.“

Die Frauen und Kinder brachte man aus Lidice nach Kladno und deportierte sie dann in Konzentrationslager. Viele der Frauen kamen nach Ravensbrück. Ihre Kinder wurden ihnen weggenommen. Viele der Kinder wurden in das Lager Gneisenaustraße in Łódź/Litzmannstadt deportiert. SS-Obersturmbannführer (Oberstleutnant) Krumey meldet seinen Vorgesetzten ins Reichssicherungshauptamt nach Berlin:

„Am 13. Juni sind durch die bekannte Aktion 88 elternlos gewordene Kinder aus der Gemeinde Liditz in Litzmannstadt eingetroffen. Angemeldet war dieser Transport vom Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD Prag. Das FS (Fernschreiben) war gezeichnet von SS-Obersturmbannführer Fischer. "Nachdem eine weitere Verfügung über den Verbleib dieser Kinder nicht erfolgt ist, bitte ich um entsprechende Anordnung. Ich habe IV B 4 (Dienststelle Eichmanns, die organisatorisch für die „Endlösung der Judenfrage“ zuständig war – der Verf.) von der Überstellung dieser Kinder in Kenntnis gesetzt in der Annahme, daß dieselben für eine Sonderbehandlung vorgesehen sind. In der Zwischenzeit hat RuS sieben eindeutschungsfähige Kinder herausgenommen.“
„Sonderbehandlung“ bedeutete im Sprachgebrauch der SS die Ermordung der Kinder.

Die verbleibenden 81 Kinder aus Lidice wurden am 2. Juli 1942 in das KZ Chelmo/Kulmhof überstellt und dort im Vergasungswagen ermordet.

Von den insgesamt 104 Kindern aus Lidice werden 87 in Konzentrationslagern ermordet oder sterben in Kinderheimen. Marie Hanfová, eines von den sieben für eindeutschungsfähig bewerteten Kindern, sagte später (als 17Jährige) als Zeugin vor dem Nürnberger Gerichtshof aus:

„Ich bin in eine Familie nach Dessau gekommxen. Man hat für mich gezahlt. Ich habe gesehen, wie die Frau, die mich abholte, der Aufseherin 50 RM gegeben hat und diese das bestätigte. Ich habe als Dienstmädchen gearbeitet. Die Frau war gelähmt und so habe ich bei ihr gedient. Ich mußte die Schule besuchen, Deutsch lernen und die ganze Hausarbeit machen (Maria ist zu diesem Zeitpunkt 13 Jahre alt).
Ich wurde auch adoptiert und umgetauft auf den Namen Margot Richter. Mein Bruder war auch bei einer deutschen Familie. Aber er wollte nicht Deutsch lernen und wurde zurückgeschickt. Bis Kriegsende war er in elf verschiedenen Lagern. Auch meine Schwester war in einer deutschen Familie. Sie bekam aber ihre Papiere und durfte nach Hause zurückkommen. Sie erzählte, wo ich war. So kamen die Frauen aus Lidice zu mir, die mich im November 1945 nach Hause holten. Mein Bruder kam Weihnachten zurück. Er war damals siebeneinviertel Jahre alt. So waren wir alle drei wieder zusammen. Unsere Mutter ist im Konzentrationslager Ravensbrück umgekommen. Unser Vater liegt dort im Massengrab.“

Häftlinge des Gestapogefängnisses Theresienstadt mußten das Nutzvieh des Dorfes Lidice in die Kleine Festung nach Theresienstadt treiben. Die Kühe, Pferde, Ziegen, Schafe und Schweine wurde im Wirtschaftstrakt untergebracht und von den Häftlingen für die SS-Familien gehalten. Sämtliche Hunde des Dorfes wurden erschossen, die Wertgegenstände requiriert.

Lidice ist kein Einzelfall. Auch andere Orte in Europa teilten das Schicksal des Dorfes: Servias in Makedonien, Kandanos auf Kreta, Oradour sur Glane in Frankreich und viele Ortschaften in Polen und Rußland.

Schon am 12. Juli 1942 nimmt die amerikanische Gemeinde Stern Park Gardens/Illinois den Namen Lidice an, andere Orte folgten diesem Beispiel. Auslandstschechoslowaken in aller Welt, deutsche Antifaschisten - unter ihnen Thomas und Heinrich Mann -, die Bergarbeiter von Nord Staffordshire, aber auch die Bewohner Coventrys, das Hitlers Luftwaffe ausradieren wollte, verbreiteten mit großer öffentlicher Resonanz den Ruf: „ Lidice shall live!“.

Und Lidice lebt! Am 10. Juni 1945 beschloß die tschechoslowakische Regierung den Wiederaufbau des Dorfes Lidice. Eine neue Heimat für die überlebenden und zurückgekehrten Frauen und Kinder entstand auf den Hügeln oberhalb des zerstörten Ortes. In dem Tal von Lidice liegt heute die Gedenkstätte, die von einem großen Rosengarten umgeben ist, in dem Rosenstöcke aus 25 Ländern der Welt wachsen.

Der Verfasser dieses Berichts hat in den Jahren von 1966 bis 1969 mit der Freiwilligengruppe der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste und der Evangelischen Industriejugend/Berlin auf dem Gelände der Gedenkstätte Lidice gearbeitet. Die damalige Bürgermeisterin des Dorfes, Marie Jarošová, hatte das Konzentrationslager Ravensbrück überlebt. Sie war es vor allem, die es durch Fürsprache bei den entsprechenden Ministerien den Freiwilligen ermöglichte, in den Sommermonaten im Internationalen Rosengarten von Lidice zu arbeiten.

Lidice-Begräbnismannschaft

Auf fatale Weise kam es im Sommer 1942 zu einer Verbindung zwischen dem Geschehen in Lidice und den im Ghetto von Theresienstadt lebenden Juden:

„Am 10. Juni ordnet Seidl (Kommandant des Ghettos, d. Verf.) an, daß 30 junge Männer mit Schaufeln, Krampen und dgl. sofort auszurüsten sind und in Bereitschaft...zu sein haben. Nachmittags fährt ein Lastauto mit Seidl und zwei Gendarmen vor, lädt die 30 Männer auf und fährt mit ihnen ab. Niemand weiß wohin und wofür. Nach etwa anderthalb Tagen kehrt die Gruppe übermüdet mit blutigen Händen und Schwielen zurück. Ganz apathisch, keine an sie gerichtete Anfrage beantwortend, gehen sie...schlafen. Sie dürfen auf Befehl Seidls nicht erzählen, wo sie waren und was sie erlebt haben. Lange läßt sich das Geheimnis nicht verbergen.... Nach wenigen Stunden Fahrt waren die Burschen zu einem von SS umzingelten brennenden Dorfe gekommen. Die 2 Gendarmen dürfen nicht weiter. Die Führung übernimmt Seidl mit einigen SS-Männern. Und nun beginnt die anbefohlene Arbeit. Unter der Knute von Seidl wurde ein Massengrab ausgehoben. Ohne Pause, ohne Verpflegung, unter ständigen Drohungen und Peitschenhieben wurde 36 Stunden gearbeitet. Zur Beleuchtung in der Nacht wurden Scheiterhaufen aus Möbeln, Türen usw. angezündet. In das 4 m tiefe Grab von den Ausmaßen 12 x 9 m werden die Leichen zunächst nebeneinander geschichtet, später aber nur hineingeworfen. Schuhe und Kleider werden den Opfern abgenommen, ebenso der Tascheninhalt. Geld verschwindet in den Taschen der SS. Nun wird Kalk hineingeschüttet und zum Schluß von den betrunkenen SS– und Gestapoleuten, die aus den vorgefundenen Vorräten ein Freudenmahl...veranstaltet hatten, zwei erschossene Hunde nachgeworfen. Ins Ghetto Theresienstadt werden Schafe, Ziegen, Gänse und sonstiges Vieh aus Lidice getrieben.“

Lidicer Frauen in der Kleinen Festung

Am 12. Juni 1942 wurden 184 Frauen aus dem Dorf Lidice mit gedeckten Lastautos zum Bahnhof von Kladno gebracht und dort in einen bereitstehenden Personenzug getrieben. Der Zug fuhr unter starker Bewachung ab. Die Frauen vermuteten, daß sie in irgendein Außenlager kämen und am Ende dieser Reise ihre Männer und Kinder wiedersehen würden. Sie wussten nicht, daß ihre Männer und Söhne ermordet und die Kinder in das Ghetto Łódź gebracht worden waren.

Die Frauen kamen nach Ravensbrück, in ein Frauenkonzentrationslager. Nicht alle überlebten.

Am 12. Juni waren 7 junge Frauen mit ihren bis zu einem Jahr alten Kindern von den übrigen Frauen mit dem Versprechen getrennt worden, sie würden mit ihren und allen anderen Kindern zusammenbleiben. In Wahrheit wurden ihnen die Kinder noch am selben Abend weggenommen und in die Landesgebär- und Kinderfürsorgeanstalt, II. Deutsche Klinik in Prag, gebracht, wo sie am darauffolgenden Tag eingetragen wurden. Pavel Horešovský, mit 16 Tagen damals das jüngste Kind, besitzt den Auszug über seine Einweisung unter der Nr. 3843/42, „Ohne Mutter“ ist dick unterstrichen.

Die sieben Mütter aber brachte man unverzüglich in die sogenannte Kleine Festung Theresienstadt, die als Gestapogefängnis diente. Kurz vor der Ankunft der Lidicer Frauen war in diesem Gefängnis eine Frauenabteilung eingerichtet worden. Über die Aufnahme der Lidicer Frauen in der Kleinen Festung ist nichts Schriftliches festgehalten worden. Wir kennen das Aufnahmedatum nicht. Die sieben Frauen können nicht mehr befragt werden, eine Anfrage bei der Gedenkstätte Terezín ist bisher unbeantwortet geblieben. Olga Horešovská erzählte bei ihrer Ankunft in Ravensbrück (etwa gegen Ende Juli), daß sich die Ziegen aus Lidice inzwischen in Terezín befinden würden. Olga Horešovská hatte jedoch auch davon gehört, daß alle Lidicer Männer erschossen worden waren. Dieses erzählte sie nicht, behielt diese furchtbare Nachricht bis Kriegsende für sich.

siehe auch

Quellen

  • 507
    507. Hans Günther Adler , Theresienstadt 1941 - 1945, Das Antlitz einer Zwangsgemeinschaft Mohr - Verlag, , Tübingen, 2. Aufl. 1960 , S. 101f.
  • 526
    526. Recherche Jürgen Winkel
  • 528
    528. Jana Müller , Zeitschrift des Zeitgeschichtemuseums Ebensee Nr. 64 8/2003,

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