Theresienstadt, Terezín

Der Habsburgische Erbfolgekrieg (1740–1748) und der Siebenjährige Krieg (1756–1763) hatten deutlich gemacht, daß das österreichische Verteidigungssystem äußerst mangelhaft war. Der Siebenjährige Krieg ging für Österreich verloren, Maria Theresia verlor Schlesien an Preußen. Den Preußen war es unter Nutzung der Fernstraße Dresden-Prag immer wieder gelungen, ins Innere Böhmens bis nach Prag vorzustoßen und der österreichischen Armee schwere Niederlagen zuzufügen.

Die Bedeutung dieser Straße wurde durch die fast parallel verlaufende Elbe gesteigert, auf der Geschütze, Munition und Lebensmittel bis nach Lovosice und Litoměřice schnell und mühelos befördert werden konnten. Hier wurde das Kriegsmaterial ausgeladen und auf dem Landwege den in der Umgebung Prags operierenden preußischen Truppen zugeführt. Der Raum des Elbbogens um Lovosice, Litoměřice und Budyne war den Preußen strategisch so wichtig, daß sie hier zeitweilig eine provisorische Operationsbasis einrichteten.

Nach den Kriegen begann die österreichische Armeeführung damit, im Norden Böhmen und Mährens ein ausgedehntes Befestigungssystem zu errichten. Die Verteidigung Nordmährens wurde Olmouc anvertraut, das schon während der oben erwähnten Kriege mit starken Befestigungsanlagen ausgestattet worden war. Dann wurde die Festung Hradec Králové (Königgrätz) in den Jahren 1766–1788 erbaut. Im Jahre 1780 begann man mit dem Bau der mächtigen Festung im Raum Ples bei Jaromer (Josefuv/Josefstadt). Schließlich baute man in den Jahren 1780 und 1790 unweit der Egermündung im Bereich der Dörfer Travčice (Drabschitz) und Nemec Kopisty (Deutsch Kopist) die Festung Theresienstadt.

Unter der Regentschaft von Joseph II. wurde die Festung zu Ehren seiner Mutter Theresienstadt genannt. Joseph regierte zwischen 1765 und 1790, ab 1765 als Kaiser und Mitregent in den österreichischen Erbländern (bis zum Tode Maria Theresias 1780). Er gewann 1772 Ostgalizien im Zuge der 1. Polnischen Teilung und 1775 die Bukowina für Österreich hinzu. Seine Versuche, 1778/79 Bayern zu erwerben bzw. gegen die Niederlande einzutauschen, scheiterten am Widerstand Friedrich II von Preußen (Bayrischer Erbfolgekrieg). Er sah seine Hauptaufgabe in einer umfassenden Staatsreform im Geist des aufgeklärten Absolutismus. Mit Hilfe von Heer, Beamten und Staatskirche wollte er einen deutschsprachigen österreichischen Einheitsstaat schaffen (Bauernbefreiung, Toleranzdelikt, Aufhebung der nicht für Schule und Krankenpflege nützlichen Klöster, vielfältige Wirtschaftsförderung).

Die für den Festungsbau vom österreichischen Staat aufgekauften Grundstücke umfaßten 1793 eine Fläche von 398 Hektar. Mit dem Bau wurde General Steinmetz beauftragt, der später Kommandant der Festung werden sollte.

Der gesamte Festungskomplex bestand aus drei Teilen:

  • Die Hauptbefestigungen (Große Festung) am linken Ufer der Eger.
  • Die Kleine Festung am rechten Ufer der Alten Eger.
  • Die Verschanzungen zwischen der Alten Eger und der Neuen Eger und das Überschwemmungsgebiet.

Den Grundriss der Hauptfestung bildete ein gestrecktes Achteck mit acht fünfeckigen Bastionen, die durch einen Hauptwall zu einer kompakten Einheit verbunden waren und eine Fläche von 36 ha einschlossen. Kasemattenkavaliere und Verschanzungen bildeten den inneren Befestigungswall.

Um den inneren Wall herum lief ein Graben mit Basteien und Zangenwerken (Tenaillen). Davor standen die dreiseitigen Außenwerke (Raveline) mit bombensicheren Verteidigungsanlagen und Verschanzungen.

Die Kleine Festung stellt ein unregelmäßiges Viereck dar, an dessen Ecken vier Bastionen hervorstehen, die durch Teile des Hauptwalles in der Festung verbunden sind. Vor der Festung verläuft ein Graben. Die Ostseite wird durch zusätzliche Zangenwerke und ein Ravelin gesichert. Gedeckte Laufgräben und Lünetten sichern die Außenwerke. Die Gesamtfläche umfaßt 28,5 ha.

Siebenunddreißig Teile der Hauptfestung, zwölf der wichtigsten Glieder der Kleinen Festung und sechs Teile beider Verschanzungen waren zu einem kompakten System verbunden, in dem alle Außenlinien gegen Feuer von der Seite gesichert waren.

Das Tragskelett der Festungswälle bildeten Pfeilerkonstruktionen, die durch einen Erdwall verbunden waren. An der Außenseite dieses Erdwalles war die Eskarpe, die ein Ziegelmantel bedeckte. Die Festungswälle waren mit einem Laufgang mit Geschützunterlagen und einem Bankett versehen, das die Verteidiger der Festung bis zur Brusthöhe gegen feindliches Feuer schützte.

Der Grundbau der Festungswälle war bis auf das Grundwasserniveau eingelassen. Der Bastionenkamm reichte eine Höhe von 12,51 m, der Kamm des Hauptwalles bis 13,24 m und der Kamm der Kavaliere bis 15,93 – 16,58 m über das Grabenniveau. Der Wall der Zangenwerke war 7,80 m, der Raveline 11,38 m und der Kontergarden 11,62 m hoch. Der Kamm der Laufgräben verlief in einer 8,67 m hohen Ebene über dem Grabenniveau. Die Mauern waren von außen her durch einen Erdwall gesichert.

Die Kasematten der Festungswälle waren mit einem halbkreisförmigen Deckengewölbe versehen, das Artilleriebeschuß Widerstand leisten konnte.

In den Festungsanlagen befanden sich unterirdische Gänge und Minenfelder, um die Festungseinrichtungen im Falle eines feindlichen Sturmangriffes in die Luft sprengen zu können. Allein die Abhörgänge erreichten eine Länge von 28,7 Km.

Auch der Neue und der Alte Egerarm dienten der Verteidigung. In beiden Flußarmen konnte das Wasserniveau mittels Wehre gehoben werden. Durch ein kompliziertes Schleusensstem war es möglich, die Gräben beider Festungen und die Überschwemmungsgebiete, die etwa 2/3 der Festungsumgebung bildeten, innerhalb weniger Stunden zu fluten.

Sechs Tore sicherten in der Großen Festung (Velky Pevnost) die Verbindung zur Außenwelt. Gegen Süden führte das Prager Tor, nach Norden das Leitmeritzer Tor. Der Weg vom Oberen und Unteren Wassertor führte zur Kleinen Festung, durch die man durch das Haupttor im Osten gelangte und die man durch das Prager Tor im Westen wieder verlassen konnte.

Noch während des Baues der Festung, wurden Garnisonstruppen einquartiert (1784), 1789 das Festungskommando begründet, General Steinmetz zum Kommandanten ernannt.

Die Garnison der Festung, die in Friedenszeiten fünfeinhalbtausend Mann zählte, war mit einer entsprechenden Zahl von Geschützen, Handwaffen, tausenden Kugeln und Bomben und hunderten Tonnen Schießpulver ausgerüstet. Die Depots waren mit Lebensmittelreserven ausgerüstet, die nicht nur die Festungsbesatzung, sondern auch ein vieltausendköpfiges im Felde stehendes Heer für Monate ernähren konnten.

Mit Dekret vom 9. Dezember 1782 wurde die Festung, die Joseph II., als er den Grundstein legte, zu Ehren seiner Mutter Theresienstadt nannte, mit kaiserlichem Dekret der Status einer freien königlichen Stadt zuerkannt. Bereits zu dieser Zeit siedelte die Militärverwaltung Handwerker in der Stadt an, die sie für die Instandhaltung der Festung und das Leben der Garnison brauchte.

Der Aufbau der Stadt wurde nach einem genau ausgearbeiteten Gebietsplan verwirklicht. Er sah eine schachbrettartige Disposition vor mit einem zentralen viereckigen Stadtplatz, der von den Repräsentationsgebäuden wie der Militärverwaltung und der Garnisonskirche im Empirestil als Dominanten gesäumt wurde.

Aus Sicherheitsgründen durften Militär- und Zivilgebäude nicht hoch sein. Deswegen finden wir in Theresienstadt ein -, höchstens zweigeschoßige Gebäude, deren Erdgeschoßräume halbkreisförmige Deckengewölbe haben.

Während eines Zeitraumes von mehr als zehn Jahren arbeiteten rund 14.000 Menschen am Bau der Festung, Handwerker auch aus anderen Teilen der Habsburger Monarchie, Soldaten und zwangsverpflichtete Bauern, die vor allem Spanndienste leisten mußten. Tausende von Menschen arbeiteten darüberhinaus in den Stein- und Kalkbrüchen, in den Ziegeleien und in den Wäldern fern von Theresienstadt, von wo aus das Baumaterial auf dem Land und Wasserwege zum Bauplatz geschafft wurde. Da der Boden im Mündungsgebiet der Eger morastig war, mußten Tausende von Eichenpfählen in den Boden gerammt werden, auf denen dann die Fundamente der Festung erbaut werden konnten. Riesige Mengen an Erdreich mußten bewegt werden. Durch Unfälle, Epidemien und Krankheiten kam es zu vielen Todesfällen unter den Arbeitern.

Der Bau der Festung verschlang ungeheure Summen und belastete den österreichischen Staatshaushalt. Nach unvollständigen Angaben beliefen sich die Kosten auf 13 – 14 Millionen Gulden.

Gegen Ende des 18,Jahrhunderts entsprach die Festung Theresienstadt den neuesten Erkenntnissen der Kriegstechnik und gehörte für lange Zeit zu den modernsten und vollkommensten ihrer Art in Europa.

Garnisonsstadt und Gefängnis

Aufgrund der politischen Entwicklung in den folgenden Jahrzehnten, der sich wandelnden internationalen Lage nach der französischen Revolution und den napoleonischen Kriegen und vor allem wegen der sich schnell entwickelnden Kriegstechnik, kam die Festung Theresienstadt militärisch nie zur Geltung. Im preußisch-österreichischen Krieg von 1866 hatte sie keine Bedeutung.

Die große Festung verlor 1882 ihren Festungsstatus. Handwerker, Gastronomen und Händler zogen ein, die ihren Lebensunterhalt mit der Versorgung der etwa 5.500 Mann starken Garnison verdienten, deren Soldaten nach wie vor in den großen Kasernenkomplexen untergebracht waren. Die militärischen Anlagen der Festung, die Kasematten und Übungsplätze, Magazine und Versorgungsanlagen wurden weiterhin genutzt. Aus der Kleinen Festung wurde bald ein Militärgefängnis, in das neben straffällig gewordenen Soldaten der K.u.K.-Armee auch Angehörige der nationalen Befreiungsbewegungen eingekerkert wurden.

Während des 1. Weltkrieges wurden russische, italienische und serbische Kriegsgefangene inhaftiert, 1918 Soldaten des österreichischen 17. Schützenregiments, die sich in Rumburk (nahe der Grenze zu Sachsen) an einer Meuterei beteiligt hatten. Drei der Teilnehmer an dem Attentat auf den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand in Sarajewo wurden hier eingekerkert, vegetierten unter schärfsten Arrest in Dunkelzellen. Alle drei, darunter der Haupttäter Gawrilo Prinzip, starben in der Kleinen Festung.

Autor: Jürgen Winkel, 1999