Die heute so genannte Wannseekonferenz war eine Zusammenkunft von fünfzehn hochrangigen Beamten des nationalsozialistischen Regimes, auf der die Deportation und Ermordung der europäischen Juden (Holocaust) organisatorisch geplant und koordiniert wurde. Sie fand unter strenger Geheimhaltung am 20. Januar 1942 im Gästehaus der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes am Berliner Großen Wannsee statt.
Leiter der Konferenz war Reinhard Heydrich, der mit der sogenannten „Endlösung der Judenfrage“ beauftragte Chef des Reichssicherheitshauptamts. Teilnehmer waren acht Staatssekretäre verschiedener Ministerien, sechs Polizei- und Sicherheitsexperten und ein Ministerialdirektor.
Entgegen einer verbreiteten Meinung wurde die Judenvernichtung auf der Konferenz nicht erst beschlossen, sondern die Opfergruppen eingegrenzt und die Kooperation untergeordneter Stellen unter der zentralen Lenkung der Dienststelle von Heydrich gesichert. Wann der Beschluss zur Umsetzung des Völkermordes im industriellen Ausmaß tatsächlich fiel, ist unter Historikern umstritten, der Spätherbst 1941 erscheint den meisten jedoch als der wahrscheinlichste Zeitpunkt. Denn damals zeichnete sich das Scheitern des „Unternehmens Barbarossa" ab, das im Juni 1941 als Blitzkrieg begonnen worden war. Bei diesem Feldzug wurde der Holocaust mit systematischen Massenerschießungen von Juden durch „Einsatzgruppen" begonnen und mit der Errichtung von Vernichtungslagern und der fabrikmäßigen Ermordung von Juden in Chelmno seit Dezember 1941 Schritt für Schritt eskaliert.
Im Protokoll der sogenannten Wannsee-Konferenz befindet sich das erste greifbare Dokument zur Errichtung des Theresienstädter „Alters- und Musterghettos“:
"... Es ist beabsichtigt, Juden im Alter von über 65 Jahren nicht zu evakuieren, sondern sie einem Altersghetto - vorgesehen ist Theresienstadt - zu überstellen.
Neben diesen Altersklassen - von den am 31.10.1941 sich im Altreich und der Ostmark befindlichen etwa 280.000 Juden sind etwa 30 % über 65 Jahre alt - finden in den jüdischen Altersghettos weiterhin die schwerkriegsbeschädigten Juden und Juden mit Kriegsauszeichnungen (EK I) Aufnahme. Mit dieser zweckmäßigen Lösung werden mit einem Schlag die vielen Interventionen ausgeschaltet. ..."
Die Wannseekonferenz fand in der Villa Marlier statt. Der Journalist und Historiker Joseph Wulf, Auschwitz-Überlebender und jüdischer Widerstandskämpfer, arbeitete seit Mitte der 1960er Jahre daran, in der Villa ein "Internationales Dokumentationszentrum zur Erforschung des Nationalsozialismus und seiner Folgeerscheinungen" anzusiedeln. Peter Kasza berichtet im ´Berliner Tagesspiegel online´ vom 14. 1. 2007:
"Wulf erhielt den Leo-Baeck-Preis und die Carl-von-Ossietzky-Medaille, 1970 wurde er Ehrendoktor der Freien Universität. [...] Doch es war die philosophische Fakultät, die ihm die Ehre zuteil werden ließ, nicht die der Historiker. Die blickten auf ihn herab. Dieser Journalist könne doch gar nicht wissenschaftlich arbeiten. Außerdem stehe das von Traum und Trauer geprägte Bild des jüdischen Opfers der sachlichen Objektivität der deutschen Historiker entgegen, meinte Martin Broszat, ab 1972 Leiter des „Instituts für Zeitgeschichte“.
In die Mitte der vergangenheitsblinden und pseudoobjektiven Gesellschaft wollte Wulf ein Mahnmal wider das Vergessen setzen. Seit 1964 arbeitete er an seinem Lebenswerk: die in der Welt verstreuten Dokumente in einem „Internationalen Dokumentationszentrum zur Erforschung des Nationalsozialismus und seiner Folgeerscheinungen“ zu sammeln. Schon der Name implizierte das, was keiner hören wollte: Es ist nicht vorbei. Die Nazizeit wirkt auch in unsere Gegenwart hinein. Für das Institut hatte sich Wulf einen besonderen Sitz ausgesucht: Die Villa Marlier. „Niemand hatte eine Ahnung, welche Geschichte dieses Haus hatte“, sagt der Publizist Gerhard Schoenberner, der damals zu den Gründern des Unterstützervereins zählte. Für Wulf wurde hier Geschichte manifest, symbolisierte dieses idyllisch gelegene Haus das, was den Holocaust einzigartig macht.
Wulf sammelte eine Menge Mitstreiter um sich. Karl Jaspers war ebenso Mitglied im Verein wie Golo Mann, Helmut Gollwitzer und Simon Wiesenthal. Auch der Berliner Regierende Bürgermeister Willy Brandt unterstützte das Vorhaben. Erst mit seinem Weggang nach Bonn änderte sich das Klima. Immer mehr Bedenken wurden laut. So sprach das Wochenblatt „Christ und Welt“ vom „Denkmal der Schande“ und fragte sich, was denn am Nationalsozialismus eigentlich noch zu erforschen sei. Außerdem sei es falsch, „den Weg der Deutschen in die Zukunft mit weiteren düsteren Kultstätten zu versehen“.
Chefredakteur des Humanistenblattes war ein Mann namens Giselher Wirsing, der seinen ersten Karrierehöhepunkt zur Nazizeit als Schriftleiter der „Münchner Neuesten Nachrichten“ hatte. Der NS-Sicherheitsdienst urteilte über ihn: „Dr. Wirsing hat sich im Laufe der Zusammenarbeit mit dem SD als williger, fleißiger und außerordentlich wertvoller Mitarbeiter erwiesen.“ Am 26. März 1941 hielt der Doktor einen schneidigen Vortrag über „Die Judenfrage im Vorderen Orient“, bei der er sich ausführlich über die „Internationale Bindung zwischen der Entwicklung des Zionismus und der Politik des Finanzjudentums“ ausließ. Probleme, nach dem Krieg einen Job zu finden, hatte Wirsing nicht. Wulf hatte das in seinem Buch „Das Dritte Reich und seine Denker“ dokumentiert. Und so schloss sich der Kreis. Ein Vertreter der neuen alten Elite wandte sich gegen eine Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit.
In ihrer Mission, das Institut zu verhindern, entdeckten Politiker und Presse ihr Herz für Kinder. Das Haus der Endlösung war seit den 50er Jahren Schullandheim des Bezirks Neukölln. „Nazidokumente wichtiger als Arbeiterkinder?“, fragte die „Deutsche National- und Soldaten-Zeitung“ scheinheilig, als Wulfs Vorhaben bekannt wurde. Die Neuköllner SPD ging mit den gleichen Argumenten auf die Barrikaden und sagte ihrerseits eine Zunahme der rechtsradikalen Wählerstimmen voraus, sollte das Institut anstelle des Schullandheims treten. Letztendlich sagte der Senat Nein, obwohl der Jüdische Weltkongress ein Ausweichquartier für die Kinder angeboten hatte.
1972 wurde der Unterstützerverein endgültig aufgelöst. Wulfs Lebenswerk schien am Widerstand der Gesellschaft gescheitert zu sein. Erst Mitte der 80er Jahre bekam die Idee einer Ausstellung im Haus der Wannseekonferenz wieder Auftrieb. Vor 15 Jahren, am 20. Januar 1992, eröffnete in der Villa Marlier dann endlich eine Gedenk- und Bildungsstätte. Joseph Wulf hat das nicht mehr erlebt.