Internationales Rotes Kreuz

Der lange angekündigte Besuch der Kommission des Internationalen Roten Kreuzes (IRK) fand am 23. Juni 1944 in Theresienstadt statt. Die Kommission bestand aus zwei Dänen und einem Schweizer. Der Schweizer Vertreter, ein Dr. Rossel, hatte vor dem Besuch keinen Kontakt zu den dänischen Vertretern.

Aus Dänemark kamen Frants Hvass, Chef der politischen Abteilung des Außenministeriums und Oberarzt Juel Hennigsen als Beauftragter des Dänischen Roten Kreuzes vom Gesundheitsamt des dänischen Innenministeriums.

Von der SS beteiligten sich SS-Standartenführer Dr. Rudolf Weinmann, der Befehlshaber der Sicherheitspolizei (SIPO) und des Sicherheitsdienstes (SD) im Protektorat, Günther aus Prag und sein Bruder, Sturmbannführer Rolf Günther, Möhs, ein Kriminalrat von der SIPO in Kopenhagen (dieser SS-Mann sprach dänisch und hielt sich ständig in der Nähe von Frants Hvass auf), Hans Günthers Stellvertreter Hünel, Kommandant Rahm und Bergel. Das Auswärtige Amt war durch den Legationsrat von Thadden, das Deutsche Rote Kreuz durch den sich passiv verhaltenden Dr. Heidenkampf vertreten. Als einziger Jude ging Dr. Eppstein mit, der jedoch nur im Beisein der SS mit den Gästen sprechen durfte. Den Lagerinsassen war das Sprechen mit den Gästen verboten, die Gäste durften jedoch dänischen Juden und Funktionären der Selbstverwaltung Fragen stellen.

Es war kein Wunder, daß die Gäste zwar einen psychischen Druck, der auf den Bewohnern lastete, sonst aber wenig Trübes feststellen konnten. Dem Kopenhagener Oberrabbiner Dr. Friediger wurden für seine Landsleute die Grüße des dänischen Königs und des Kopenhagener Bischofs übermittelt. > Dr. Eppsteins Erklärungen waren gut vorbereitet und mit der SS abgestimmt. Die Besucher wurden kreuz und quer durch die Stadt gefahren, gingen dann wieder ein Stück, jede Übersicht, auch über die Größe des Ortes, musste dabei verloren gehen. Eppstein, der einige Tage vorher durch den Schlag des Kommandanten ein blaues Auge bekommen hatte, war in Gehrock und Halbzylinder, ein Auto stand ihm zur Verfügung, das von einem SS-Mann in Zivil gefahren wurde. Die SS hielt sich schlau zurück und überließ Eppstein das Reden. Der hilflose Judenälteste musste seine tragische und verzweifelte Rolle spielen. Vor dem Stadtbesuch hielt Weinmann eine kurze Ansprache. Er gab einen historischen Überblick über das Lager und erwähnte, daß es im Lager „15 Arier“ (er sagte nicht SS-Leute) gäbe. Sie würden der Kontrolle dienen, alles andere wäre Sache der jüdischen Selbstverwaltung. In der blumengeschmückten Kanzlei des Judenältesten hielt Eppstein dann seinen Vortrag über die Abteilungen der Selbstverwaltung, die Wohnbedingungen, Ernährung, Jugendfürsorge, Alten- und Krankendienste, das Alter der Einwohner. Eppstein berichtete über die Arbeit in den Produktionsbereichen, über die Verkaufsläden, den > Geldverkehr, das kulturelle Leben und alles hörte sich irgendwie plausibel und normal an.

Dann besichtigte die Kommission einige Kanzleien, nahm an einem Prozeß wegen Diebstahls vor dem jüdischen Gericht teil, hörte sich die Ausführungen der SS über die Rechtspflege im Lager an. Die Kommission besuchte dann die „Wäschesammelstelle“ und eine Dampfwäscherei, konnte beobachten, daß sich die Menschen frei in der Stadt bewegen konnten und Eppstein erzählte, was nicht korrekt war, daß Eheschließungen in der Stadt möglich wären. In einem Speisesaal wurden Kellnerinnen in weißen Schürzen bewundert, dann wurde eine Wohnbaracke für Arbeiter, eine „Bäckerei“ und ein vorzüglich eingerichtetes Kinderheim gezeigt. Auf dem Südberg spielte man gerade Fußball als die Kommission vorbeiging und so konnte man auch gleich die schmucken Schrebergärten in den Festungsgräben sehen, die zwei Monate zuvor an protegierte Häftlinge vergeben worden waren. Im Gemeinschaftshaus (der Sokolhalle) wohnte die Kommission einen Augenblick lang der Aufführung der Kinderoper „Brundibár“ bei und als man die Halle verließ, zogen gerade singende Mädchen der Landwirtschaftsabteilung vorbei. „Zufällig“ begegnete man den mit weißen Handschuhen arbeitenden Brotverteilern. Das zur Schule umfunktionierte ehemalige Krankenrevier konnte nicht besucht werden, da gerade „Ferien“ waren. Ein Kindergarten wurde besucht und einige Dänen und „Prominente“ in ihren Wohnungen. Dann ging es zu einer „Weißbäckerei“ und zu den Kinderheimen im Block F 111. Den Gästen wurde erzählt, daß 300 bis 400 Kinder in Theresienstadt geboren worden seien. Es gäbe Gebäranstalten und Antikonzeptiva. In Q 412 wurde eine Apotheke aufgesucht. > Eppstein führte aus, daß der Genuß von Alkohol und Tabak verboten sei, begründete es aber nicht weiter.

Die Mittagspause wurde in der SS-Dienststelle ohne Eppstein gehalten. Danach besichtigte man die Bank in Q 619, die Post (L414), wo gerade Pakete und Sardinenpäckchen verteilt wurden, das im gleichen Gebäude gelegene „Knabenheim“, ein Geschäft und die Fleischerei (beides in L 415). Die Feuerwehr in L 502 wurde besucht, dann einige freundliche Stuben des „Siechenheimes“. Die Kommission besuchte die Maschinentischlerei in der alten Reitschule (Q321), begab sich dann ins Zentralbad. Dann mußte Dr. Springer, Leiter der chirurgischen Abteilung Fragen beantworten, die das Gesundheitssystem betrafen.

Mit dem Besuch des Kinderpavillons (an dem sich die Kinder nur 24 Stunden erfreuen konnten) endete der Besuch der Kommission. Er währte von 11-19 Uhr.

Die Mitglieder der Kommission gaben Berichte ab, die das Gesehene in ein günstiges Licht stellten und richteten so Schaden bei dem IRK in Genf an. Die SS konnte über ihr Täuschungsmanöver zufrieden sein. Niemand dachte daran, daß 7.500 Menschen nach Auschwitz transportiert worden waren, damit die für die Kommission durchgeführte Verschönerungsaktion auch gelingen konnte.

IRK-Delegation am 6. April 1945

Die Besuche der Vertreter des Internationalen Roten Kreuzes (IRK) in Theresienstadt im April 1945 waren eine Folge der Auflösungserscheinungen und der Verhandlungen, die Heinrich Himmler heimlich mit Vertretern Schwedens und des IRK geführt hatte.

Ihnen voran ging eine weitere Verschönerungsaktion mit geringerem Aufwand als die erste. Immerhin wurde für kurze Zeit mit der Verbrennung der Leichen in den Krematorien aufgehört und Erdbestattung angeordnet. Man säuberte die Anlagen, richtete ein Kleinkinderheim mit Kindergarten ein, die Sparkasse wurde mit Teppichen ausgelegt, mit großem Aufwand wurde das tschechische Kinderstück „Glühwürmchen“ (Broucci) einstudiert.

Am 6. April 1945 kam dann der Delegierte des IRK in Berlin, Dr. Lehner, mit den von Genf aus eigens für Theresienstadt bestimmten Delegierten Paul Dunant in Begleitung Eichmanns, Dr. Weinmanns, des Prager Stellvertreters des Auswärtigen Amtes, Gesandten von Lückwald, von Thaddens sowie des Schweizer Diplomaten Buchmüller. Die Kommission wurde von Günther durch das Ghetto geführt, weil Rahm erkrankt war. Dr. Weinmann gab der Delegation Informationen über Deportationen, Zahlen, die nicht stimmten. Lehner war mißtrauisch aber die Täuschung funktionierte auch hier, wie man dem anschließend geschrieben Bericht entnehmen konnte.

Quellen

  • 339
    339. Hans Günther Adler , Theresienstadt 1941 - 1945, Das Antlitz einer Zwangsgemeinschaft Mohr - Verlag, , Tübingen, 2. Aufl. 1960
  • 340
    340. Hans Günther Adler , Theresienstadt 1941 - 1945, Das Antlitz einer Zwangsgemeinschaft Mohr - Verlag, , Tübingen, 2. Aufl. 1960 , S. 173f.

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