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Technisches Büro

Zum Zentrum der Künstler in Theresienstadt wurde der Zeichensaal des Technischen Büros im ersten Geschoss der =>Magdeburger Kaserne. An seiner Entstehung hatte der Stellvertreter des =>Judenältesten =>Otto Zucker (1892 – 1944) großen Anteil. Im Zeichensaal wurden einerseits die Baupläne und technischen Unterlagen für die Produktion der Betriebseinheiten der Technischen- und Wirtschaftsabteilungen der =>Theresienstädter Selbstverwaltung bearbeitet, zum anderen, und das war die Hauptaufgabe, wurden verschiedene Diagramme, Statistiken, Überblicke und Anlagen zu den Berichten und Kontrollarbeiten über die Tätigkeit der =>Selbstverwaltung angefertigt, die ständig für die =>SS-Kommandantur angefertigt wurden. Diese Nachweise dienten nicht nur als Zeugnisse für das reibungslose Funktionieren des Ghettos, woran verständlicherweise die =>Selbstverwaltung Interesse hatte, sie waren gleichzeitig auch Belege für die Tätigkeit der =>SS-Kommandantur, die diese ihrer vorgesetzten Stelle in Berlin zur Kenntnis gab. Gerade der offensichtliche Widerspruch zwischen dem perfekt manipulierten offiziellen Bild des Ghettos und der Wirklichkeit verlieh dem Leben in Theresienstadt den Beigeschmack von Irrealität und Absurdität.

=>Otto Zucker gelang es im Laufe der Zeit, im Zeichensaal des Technischen Büros die meisten der bekanntesten bildenden Künstler des Ghettos zusammenzuführen. Leiter des Zeichensaales wurde der fünfunddreißigjährige Prager Karikaturist und Graphiker =>Fritz Taussig (1906 – 1944), der eher unter dem Künstlernamen Fritta bekannt ist. Er war Anfang Dezember 1941 mit einem der ersten =>Transporte in Theresienstadt eingetroffen. Mit den ersten =>Transporten kamen auch die drei jüngsten Mitglieder des Zeichensaales an – der 22jährige =>František Petr Kien (1919 – 1944), Student der Prager Kunstakademie, der Frittas Stellvertreter wurde, der gleichaltrige Student der Prager Technischen Hochschule Peter Löwenstein ( 1919 – 1944) und der bildende Künstler =>František Lustig (1911 – 1996). Bald darauf gesellten sich weitere Künstler und Techniker zu ihnen: der Filmregisseur =>Adolf Aussenberg (1914 – 1945), der Student der Kunstgewerbeschule Alvín Glaser (1919 – 1994) und =>Leo Heilbrunn aus Prag (1891 – 1944), =>Otto Ungar (1901 – 1945) und der Architekt =>Norbert Troller (1896 – 1981) aus Brno, =>Leo Haas (1901 – 1983) aus Opava, =>Ferdinand Bloch (1898 – 1944) und =>Oswald Pöck (1893 – 1944) aus Wien. Erst Ende April 1943 kam auch der Illustrator =>Joseph Spier (1900-1978) aus den Niederlanden in Theresienstadt an.

Schließlich arbeiteten im Zeichensaal etwa 15-20 bildende Künstler. Ihre Eingliederung in die Leitung des Zeichensaales ermöglichte ihnen nicht nur, sich wenigstens teilweise ihrem Beruf zu widmen, sondern auch Zeit und Mittel für das eigene Schaffen zu erlangen. Ab und zu erhielten sie die Genehmigung für Studienaufenthalte in anderen Betriebseinrichtungen des Ghettos oder ausnahmsweise auch für Spaziergänge vor den Mauern. Die leitenden Maler waren mit ihren Familien am Sitz der =>Selbstverwaltung in der =>Magdeburger Kaserne einquartiert, wo sie ständig Kontakt miteinander hatten. So gelang es, im Zeichensaal ein inoffizielles schöpferisches Milieu zu schaffen und das kulturelle Leben des Ghettos zu bereichern.

Es ist wenig erhalten geblieben von dem, was die Künstler offiziell für die =>Selbstverwaltung und für die =>SS-Kommandantur produzieren mußten. Diese Plakate, Statistiken, Schaubilder usw. wurden bei der =>Kommandantur, in Prag oder selbst in Berlin hinterlegt und wurden dann zusammen mit den Archiven gegen Kriegsende vernichtet. Im offiziellen Teil ihres Schaffens versuchten die Künstler ein Bild des Ghettos wiederzugeben, das den Vorstellungen der Nazisten entsprach und die straffe Organisation des Lagerlebens wie auch den vollen Einsatz der Ghettobewohner bei der Arbeit unterstrich.

Künstlerisch am interessantesten sind wohl die Arbeiten aus dem ersten Jahr des Ghettos. Es handelt sich um Illustrationen als Beilagen zu den Berichten der =>Selbstverwaltung über die durchgeführten Projekte. So hielten die Künstler verschiedene Ansichten über den Bau der Eisenbahnlinie zwischen Theresienstadt und =>Bohušovice fest, des größten Bauvorhabens der =>Selbstverwaltung. Es entstanden Zeichnungen von der Schmiede und der Tischlerei, vom Bau der Wasserleitungen und des Wasserturms. So entstanden auch 25 Illustrationen zu einem Manuskript =>Otto Zuckers Geschichte des Ghettos Theresienstadt, an denen sich =>Kien, =>Spier, =>Fritta, =>Haas und =>Ungar beteiligten.

Die Künstler wurden ebenfalls bei der =>Verschönerungsaktion herangezogen, die den Besuch der =>Kommission des Roten Kreuzes vorbereiten sollte. Die Maler des Zeichensaales wurden gezwungen, Plakate, Reklameschilder usw. anzufertigen. =>Josef Spier musste Zeichnungen für ein Andenkenalbum produzieren, das den Mitgliedern der =>Kommission dann als Souvenir mitgegeben wurde. An das Album mit den Bildern aus Theresienstadt schloss sich bald ein umfangreicher Zyklus von fast 400 Zeichnungen von =>Spier für das Drehbuch des nazistischen =>Propagandafilms an, der im August und September 1944 gedreht wurde. Diese beiden genannten Projekte sind das extremste Beispiel für den Mißbrauch der Arbeiten von Malern für die nazistischen Propagandazwecke.

Neben diesen offiziellen Arbeiten entstand im Zeichensaal des Technischen Büros ein ganz anderer Zeichenzyklus, der die bestimmende, alltägliche Wirklichkeit des Lebens im Ghetto festhielt – die überall herrschende Überbevölkerung, die endlosen Schlangen beim Essenstehen, die langen Reihen der ankommenden und abgehenden =>Transporte, den Wirrwarr numerierter Gestalten, die in der =>„Schleuse“ auf die =>Deportation warteten, verlassene Gepäckhaufen, von Menschen gezogene Leichenwagen, auf denen Alte, Kranke und Tote transportiert werden, überfüllte Unterkünfte in den Kasematten und auf den Dachböden, gespenstische Gestalten von Blinden, Invaliden und Geisteskranken im Kavalier, die sich täglich häufenden Särge und Leiber in der Leichenhalle. Die Motive ergänzen sich gegenseitig.

Es gehörte für den Künstler Mut dazu, die Grenze des im Ghetto Erlaubten zu überschreiten. Es waren dann auch die Begabtesten: =>Fritta,=>Ungar, =>Bloch, =>Haas und =>Karel Fleischmann. Sie waren unterschiedlicher Herkunft und Ausbildung. Obwohl auch ihre künstlerischen Ansichten unterschiedliche waren ergänzten sich ihre Motive und Themen und sie schufen so ein mannigfaltiges und doch geschlossenes Bild vom Leben im Ghetto Theresienstadt, das überzeugend die Zeichen des Verderbens in alltäglichen Szenen festhielt. Quelle: 1104)