Deutsche und östereichische Juden in Theresienstadt

Miroslav Kárný hat in den Theresienstädter Studien und Dokumenten vom 3.9.2000 einen aufschlussreichen Artikel über Deutsche Juden in Theresienstadt geschrieben, dessen wichtigste Aussagen hier zusammengefasst wiedergegeben werden:

  • Kárný bezieht sich auf Heinrich Liebrecht, der Adlers Charakteristik von einer Zwangsgemeinschaft akzeptiert, in der sich kein Gemeinschaftsgeist unter den ihrer Freiheit beraubten Gefangenen entwickeln kann, sich eher ein härterer Egoismus entwickelt.
  • Liebrecht weist darauf hin, daß die materielle Ungleichheit zwischen tschechischen und deutschen Juden damit zusammenhing, daß die zuerst im Ghetto konzentrierten tschechischen Juden nahezu alle wichtigen Positionen in der Selbsttverwaltung innehatten.
  • Liebrecht äußerte sich sehr kritisch über den Nationalismus der tschechischen Juden, die seiner Meinung nach die deutschen Juden nicht als Schicksalsgefährten, sondern als Deutsche, als Mitschuldige an ihrem Unglück angesehen hätten.
  • Die auf dem Gebiet des Protektorats beheimateten mährischen und böhmischen Juden bekannten sich vorwiegend zur tschechischen und nicht zur jüdischen oder deutschen Nationalität. Sie bildeten im Ghetto innerhalb der Häftlingsgemeinschaft eine gemeinsame, durch identische Interessen geprägte Gruppe. Deutsche und tschechische Juden unterschieden sich sowohl durch ihre demographische Struktur als auch durch ihre politischen Erfahrungen.
  • Die demographische Struktur der jüdischen Bevölkerung des Protektorats war (obwohl schon 26.000 ausgewandert waren) noch nicht so weit deformiert wie in der deutsch-jüdischen Bevölkerung nach 9 Jahren Hitlerherrschaft.
  • Die tschechischen Juden kamen mit ihrer ganzen Familie nach Theresienstadt. Alte Leute waren hier mit ihren Kindern und mit den Familien ihrer Kinder. Sie trafen Freunde wieder, Arbeitskollegen.

Theresienstadt war als Sammel- und Durchgangslager für die gesamte jüdische Bevölkerung des Protektorats konzipiert worden.

  • Aus Deutschland dagegen kam nach Theresienstadt nur die „privilegierte“ Schicht der jüdischen Bevölkerung –„privilegiert“ durch das Alter, die Verdienste oder die Berühmtheit der betreffenden Personen. Die übrigen fuhren direkt in die Ausrottungszentren des Ostens. 1942 wurde die eine Hälfte der Transporte nach dem Osten dirigiert, die andere nach Theresienstadt.
  • Die deutsche Gruppe der Theresienstädter Häftlinge bestand vorwiegend aus alten Menschen, deren erwachsene Kinder mit ihren Familien schon früher ausgewandert oder in Sobibor oder Minsk ermordet worden waren. Diese alten Menschen waren isoliert, alleine, hatten keinen Rückhalt durch Familie und Freunde.
  • Das durchschnittliche Alter der beiden Aufbautransporte lag bei 31 Jahren, das durchschnittliche Alter der Familientransporte aus dem Protektorat lag bei 46 Jahren. Das Durchschnittsalter der Deportierten aus Berlin und München war dagegen 69 Jahre und aus Köln am Rhein 70 Jahre.
  • Von den ersten 4.213 deutschen und österreichischen Personen, die nach Theresienstadt transportiert wurden, waren nur 242 im arbeitsfähigen Alter, aber wirklich arbeitsfähig waren nur 51 Männer und 127 Frauen, d.h. 4,23 % aller Angekommenen.
  • Schwer arbeitende Häftlinge und die Kinder wurden besser verpflegt als die alten bzw. nicht arbeitenden Häftlinge. Diese Besserverpflegung der Schwerarbeiter und der Kinder konnte nur auf Kosten der anderen realisiert werden.
  • Kárný schreibt, daß Theresienstadt kein für die Kriegswirtschaft wichtiges Lager war. Eine große Bedeutung gewann der Faktor Arbeit jedoch im Inneren. Das Leben im Lager konnte nur durch intensive und unermüdliche Aufbau- und Instandhaltungsarbeit in allen Bereichen gesichert werden, denn an einem Flecktyphuslager (eindeutige Aussagen von Himmler und Eichmann) hatten die Nazis kein Interesse, es hätte propagandistisch keinen Wert gehabt.
  • Die tschechischen Juden hatten aufgrund des tschechischen Umfeldes eher die Möglichkeit, an Lebensmittel von draußen (aus Mischehen, von arischen Freunden usw.) zu kommen als die älteren deutschen Juden, deren Verwandte in der Regel nicht mehr daheim waren.
  • Die unterschiedliche Altersstruktur der deutschen und der tschechischen Häftlingsgruppen war der Anlass dafür, daß die tschechischen Juden bevorteilt wurden. Der Anteil der von den höheren Rationen profitierenden Kinder und Juden war in der tschechischen Bevölkerungsgruppe bedeutend höher als in der deutschen. Deutsche jüdische Kinder kamen vorwiegend aus geräumten Waisenhäusern nach Theresienstadt, nicht aber mit ihren Eltern.
  • Neben all diesen Unterschieden und der damit verbundenen beruflichen Struktur der tschechischen und der deutschen Häftlingsgruppe existierten auch wesentliche Unterschiede in ihren politischen Erfahrungen.
  • Die deutschen Juden gehörten zu den assimilierten europäischen Juden, die überwiegend national gesonnen waren. Sie waren in die führenden sozialen Klassen und Schichten, in die politische und kulturelle Elite integriert. Ihr Ausschluß aus dem deutschen Volk versetzte ihnen nicht nur einen materiellen und physischen Schlag, sondern es war für sie eine grausame psychische Erfahrung, die zur Desorientierung, zu Resignation, zur Depression führte („Wenn das der Führer wüsste“).
  • Die tschechischen Juden erlebten ihre Leiden gemeinsam mit dem tschechischen Volk. Sie begriffen die gegen sie gerichteten Maßnahmen der Okkupationsmacht als Maßnahmen, die sich gegen das ganze tschechische Volk richteten. Die tschechischen Juden und ihre tschechischen Mitbürger hatten einen gemeinsamen Feind. Sie waren nicht heimatlos, sie befanden sich auf tschechischem Boden. Dieses Gefühl überwog bei der Mehrheit der tschechischen Juden in Theresienstadt und deshalb war es nicht überraschend, daß tschechische Juden Träger des Widerstandes waren und deswegen war es nicht überraschend, daß sich die Maßnahmen der SS zur Schwächung der Widerstandskraft im Ghetto oftmals gerade gegen die tschechischen Juden richteten. Im September 1943 und im Oktober 1944 wurden gerade tschechische Juden deportiert.
  • Die jüdische Verwaltung des Ghettos wurde von Protektoratsjuden aufgebaut. Als sich durch die Transporte aus Österreich und dem Reich die Ghettobelegschaft 1942 veränderte, wurde im Oktober 1942 der Ältestenrat reorganisiert, die Hälfte der ÄR–Mitglieder bestand nun aus deutschen und österreichischen Juden. Im Januar 1943 griff das Reichssicherheitshauptamt (RSHA) ein und ersetzte Edelstein durch den Repräsentanten der deutschen Juden Dr. Paul Eppstein. Edelstein blieb Stellvertreter, ebenfalls der aus Österreich stammende Murmelstein.
  • Auch in der tschechisch-jüdischen Gruppe gab es unterschiedliche Gruppierungen, Differenzen zwischen den Zionisten und der konservativen tschechisch-jüdischen Bevölkerung.
  • Eine tragische Figur war sicherlich der aus Deutschland stammende „privilegierte“ Jude Karl Loewenstein, der Chef des Sicherheitswesens wurde, aus der Ghettowache eine schlagkräftige Truppe machte, gegen Korruption vorging, sich viele Feinde machte, mit dem Kommandanten selbst verhandelte, wohl auch seine eigene Machtposition weiter ausbauen wollte und bei vielen vor allem tschechischen Juden auf Widerstand stieß. Er wurde im Sommer 1943 von sich verbündenden tschechischen, deutschen und österreichischen Mitgliedern des ÄR entmachtet.
  • In Theresienstadt waren 73.468 tschechische und 42.931 deutsche Juden gefangen gehalten (vor dem 20. April 1945).
  • Der große Unterschied in der Sterblichkeit zwischen deutschen und tschechischen Juden lag vorwiegend in der unterschiedlichen Alterstruktur. In Theresienstadt starben 6.152 tschechische Häftlinge, das waren 8,37 % der gesamten Häftlinge aus tschechischen Transporten – es starb jeder Zwölfte.
  • Die Sterblichkeit der deutschen Gruppe war in Theresienstadt fast sechsmal höher. Es starben hier 20.848 deutsche Juden, das waren 48,57 % der ganzen Häftlingszahl aus deutschen Transporten, also jeder Zweite.
  • Nach dem Osten wurden aus Theresienstadt 60.382 tschechische Juden deportiert (das waren 82,19 %) und 16.098 deutsche Juden (37,5 %). Von den tschechischen Juden überlebten 3.097, von den deutschen weniger als 100. Im Osten kamen danach also 57.285 tschechische Juden und rund 16.000 deutsche Juden ums Leben.
  • Fassen wir die Todesfälle in Theresienstadt und im Osten zusammen, so gab es bei den tschechischen Juden 63.437 Todesfälle (86,35 %) und bei den deutschen Juden 36.848 Todesfälle (85,85 %). Die Differenz liegt bei einem halben Prozent.

Die Lage der älteren jüdischen Menschen aus Deutschland und Österreich

Im Juni 1942 kamen die ersten Transporte aus Deutschland und Österreich in Theresienstadt an. Es handelte sich vorwiegend um ahnungslose ältere Menschen, die völlig unvorbereitet und voller Illusionen nach Theresienstadt kamen.

Sie trafen nicht nur auf harte Lagerbedingungen, sondern auch auf tschechische Juden, die ihnen wenig wohlwollend gegenüber standen.

„Wir hatten uns eingeredet, daß wir, wenn wir in die Tschechoslowakei kämen, in ein Freundesland kämen, mit uns vereint in unserem Hass gegen Hitler und seine Helfershelfer. Aber welche Enttäuschung für uns! Die Tschechen haßten uns genauso, wie wir Hitler haßten, und sie machten uns für das Unglück, das sie betroffen hatte, verantwortlich. Sie sahen in uns nicht Leidensgefährten, sondern nur Deutsche, die sie haßten.“

Bei den nun Ankommenden handelte es sich vorwiegend um alte, müde, meist gebrechliche, selbst sterbenskranke Menschen. Sie kamen aus Versorgungsheimen, aus assimilierten Kreisen. Ihre Kinder und Enkel waren ins Ausland entkommen, arbeiteten in Fabriken oder waren schon in das namenlose Elend des Ostens verschickt. Sie hatten ihr Gepäck nicht ordentlich packen können. Niemand konnte oder wollte ihnen beistehen. Man hatte sie in Sammellager gebracht, wo sie, besonders in Wien, leiblich und seelisch verelendeten. Sie waren bereits verwahrlost, verschmutzt und oft halb verhungert, bevor man sie in Viehwaggons pferchte. In den Zügen war nichts für ihre Notdurft vorbereitet, es gab kein Wasser und für viele keine Wegzehrung, obwohl die Fahrt manchmal Tage dauerte. Medizinische Hilfe an den 60–90 Jahre alten Menschen konnte nicht geleistet werden. Sie kamen in Theresienstadt an, an Leib und Seele verwüstet, ihrer Sinne und Glieder nicht mehr mächtig, keiner Entschlüsse fähig. Unter diesen Deportierten fanden sich Tausende von Kriegsverletzten und Kriegsdekorierten. Man hatte diesen in einer festen Ordnung erzogenen Menschen von deutscher Seite aus viele Versprechungen gemacht. Im festen Glauben erstarrt, merkten sie gar nicht, wie sehr man sie betrogen hatte („Wenn das der Führer wüßte!“). Man hatte ihnen bequeme und gemütliche Verhältnisse im „Reichsaltersheim Theresienbad“ versprochen mit Pensionen, Hotels, Kliniken. Sie hatten sich mit ihrem gesamten Vermögen durch „Heimeinkaufsverträge“ diesen Platz gesichert und sie brachten Vasen, Gardinen, Familienandenken und anderen Nippes mit anstatt die für das Lagerleben so wichtigen Dinge wie Decken, Eßgeschirr, warme Kleidung usw.. Es fehlten ihnen Löffel, Messer, Handtücher, Waschlappen, alles Sachen, von denen sie dachten, sie in Theresienstadt vorzufinden.

Nun wurden sie auf dem Bahnhof in Bohušovice entladen, erschöpft, vernichtet, angebrüllt von den SS-Leuten, Gendarmen und Juden. Jetzt sollten die Entkräfteten den Marsch ins 3 Km entfernte Lager antreten, behangen mit ihrem armseligen Hab und Gut. Sie wurden auf LKWs und Traktorenanhänger verladen, konnten sich aufgrund der Enge nicht setzen, mußten stehen, z.T. auf Krücken gestützt. Bei einer dieser Fahrten eines rücksichtslosen SS-Anwärters wurden 27 Personen vom Anhänger geschleudert. Zehn Personen waren sofort tot, weitere starben im Krankenhaus, andere blieben verkrüppelt.

Einige der Ankömmlinge fragten schon bei ihrer Ankunft oder in der Schleuse nach den für sie reservierten Zimmern, wurden dann auf die im Sommer unerträglich heißen und im Winter kalten Dachböden oder in die stinkigen, nassen Kasematten gesteckt. Ein ungeheures Elend brach über sie herein und niemand vermochte dies zu stoppen. H.G. Adler berichtet: „Was jenen Greisen in Theresienstadt zugemutet wurde, verträgt keine Steigerung, solange noch Leben in einem Leibe wohnt, denn die Steigerung des Leids ist keinesfalls der Tod.“

Edelstein meldete dem Lagerkommandanten den Betrug mit den sogenannten „Heimeinkaufsverträgen“. Seidl versprach, darüber nach Berlin zu berichten. Schließlich sollten 5 RM pro Monat pro Person zur Verfügung gestellt werden. Bei dem Versprechen blieb es.

Viele der Neuankömmlinge erkrankten und starben schnell. Massengräber mußten auf dem Friedhof angelegt werden. Das Durchschnittsalter der Neuzugänge aus Berlin und München lag im Sommer und Herbst 1942 bei 69 Jahren. Von 4.213 aus Deutschland und Wien gekommenen Menschen waren nur 242 im arbeitsfähigem Alter, wirklich arbeitsfähig waren nur 178 (4,23 %). Viele dieser alten Menschen blieben nicht lange im Ghetto. Sie wurden Opfer der Altentransporte im September und Oktober 1942. Bis zu diesem Zeitpunkt waren Personen über 65 Jahre verschont geblieben. Diese Transporte aber waren ausdrücklich für Personen über 65 Jahre bestimmt. Im September fuhren 10.000 alte Menschen aus Berlin und Wien, im Oktober 8.000, darunter auch Juden aus dem Protektorat. 18.000 Menschen in 9 Transporten zu je 2.000 Personen wurden in die Vernichtung geschickt. Verschont wurden nur Personen mit schweren Kriegsverletzungen, Orden wie dem EK 1 oder mit besonderen Staatsbürgerschaften.

Beim Abtransport spielten sich furchtbare Szenen ab. Es gab stundenlanges Warten bei der Registrierung, viele brachen ohnmächtig zusammen.

Viele der Alten lagen in Krankenstuben oder Siechenheimen, waren verfallen, krank, verlaust, halb verhungert, zu keinen Handlungen oder Entschlüssen fähig, ihrer Sinne nicht mächtig. Gnadenlos wurden sie zusammengetrieben, zusammengekarrt, auf Bahren geschleift, wie Abfall auf Karren transportiert. Die Transportabteilung dachte nur daran, die genaue Anzahl an Ort und Stelle zu haben. H. G. Adler beschreibt, daß die Alten gehetzt und getrieben wurden und sich andere Gefangene sogar an der Habe dieser hilflosen, gedemütigten Menschen vergriff, bevor sie unter Stockhieben und anderen Mißhandlungen in die Viehwaggons gestopft wurden.

Quellen

  • 206
    206. Miroslav Kárný , Deutsche Juden in Theresienstadt , in: Theresienstädter Studien und Dokumente 1994 Academia-Verlag, , Prag , S. 36ff.
  • 501
    501. Hans Günther Adler , Theresienstadt 1941 - 1945, Das Antlitz einer Zwangsgemeinschaft Mohr - Verlag, , Tübingen, 2. Aufl. 1960 , S. 107ff.

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