Die Theresienstädter Ghettobücherei enthielt zeitweilig 130.000 Bände, die vorwiegend aus den Beständen der aufgelösten Kultusgemeinden stammten.
Käthe Starke-Goldschmidt schreibt in „Theresienstadt“ über die Entstehung und über die Arbeit der Zentralbücherei im Ghetto. Die folgenden inhaltlichen Angaben stammen vorwiegend aus diesem Bericht und aus dem von dem Wiener Dr. Hugo Friedmann, der als Bibliothekar in der Bücherei arbeitete und nach dem ersten Jahr einen Tätigkeitsbericht erstellte.
Unter dem Aktenzeichen Ing. Z./L. (Otto Zucker) findet sich folgender Vermerk in den Akten (29. November 1942):
„Vermerk betreffend die Errichtung einer Leihbücherei und eines Leseraumes.
Betr. : Anordnung des Lagerkommandanten SS-Obersturmführer Seidl.
Bestand an Büchern:
Gegenwärtig steht dem Ghetto nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Büchern zur Verfügung.
Ein Teil der für eine Leihbücherei verfügbaren Bücher stammt aus dem allgemeinen Besitz früherer Transporte, sie werden gesammelt, hergerichtet und katalogisiert. Ein Verzeichnis dieser Bücher wird der Lagerkommandantur vorgelegt werden.
Ein zweiter Teil stammt aus Büchern, die im Zuge der Gepäckkontrolle bei den eintreffenden Transporten beschlagnahmt wurden. Es wird ersucht, solche Bücher dem Ältestenrat zu übergeben, damit auch sie hergerichtet und katalogisiert werden können.“
Zucker weist in dem Vermerk weiter darauf hin, daß es sich bei den zu diesem Zeitpunkt zur Verfügung stehenden Büchern um etwa 4.000 handelt, leichter Lesestoff, Ernsteres, Unterrichtsmaterial etc.. Er weist auch darauf hin, daß nur die Bücher ausgegeben werden dürfen, die von der SS–Lagerkommandantur freigegeben worden sind.
Am 17. November 1942 wurde die Bücherei (oder der Buchladen) im Objekt L 304 gegenüber der Hamburger Kaserne eingerichtet. Die Bücherei sollte, wenn auch an verschiedenen Orten, bis Juli 1945 existieren. Ihr Leiter war während des gesamten Zeitraumes Dr. Emil Utlitz, Professor für Philosophie und Psychologie der Universität Prag. Ihm standen Mitarbeiter wie Hugo Friedmann u.a. zur Verfügung, um die jetzt schnell ansteigende Zahl von Büchern zu registrieren. Im Laufe der Zeit stieg die Anzahl auf etwa 130.000. Die Bücher stammten aus den Beständen der Kultusgemeinden, aus dem aufgelösten Rabbinerseminar in Berlin und der Warburg-Bücherei in Hamburg. Eine weitere Quelle waren jedoch auch die neuankommenden Transporte und die von den Gefangenen mitgebrachten Bücher.
Eine zeitlang gab es so etwas wie Wanderbüchereien, Bücherpakete von etwa 30 Büchern, die an einem Wohnblock oder ein Haus ausgeliehen und dann zurückgenommen wurden. Die Jugendheime wurden bevorzugt mit Büchern versorgt. Das Ausleihen der Bücher kostete 50 Ghettokronen, man mußte Berechtigungsscheine erwerben. Ein besonderes Problem ergab sich dadurch, daß die Bücher durch viele Hände gingen und so auch zum Übertragen von Infektionskrankheiten beitrugen. Die Mitarbeiter der Zentralbücherei litten mehr als andere darunter.
Die Bibliothekarin Claire Müller, die ab 1943 den neu eingerichteten Leseraum betreute, berichtete, daß viele Bücher nicht zurückgegeben wurden, viele mit den Osttransporten verschwanden, was stillschweigend geduldet wurde.
Die Bücherei umfaßte klassische und moderne Sprachen, philosophische Werke, naturwissenschaftliche Werke, Geschichte der Juden, Klassiker und Kochbücher. Leichtere Literatur war ebenso vertreten wie Kinder- und Jugendliteratur. Eine besondere Abteilung wurde mit der Pflege der hebräischen Bücher betraut. Die Arbeit der Mitarbeiter hier wurde besonders von Dr. Murmelstein unterstützt. Sie bekamen besondere Essensrationen und waren bis Herbst 1944 vor Deportationen geschützt.
Die Büchereileitung plante die Registrierung und Katalogisierung aller Bücher, wohl auch, um möglichst vielen Menschen dadurch eine schwere Arbeit in den Kommandos zu ersparen und sie vor der Deportation zu schützen.
Otto Ungar war von der Kommandantur damit beauftragt worden, die Zentralbücherei zu malen. Rahm war mit dem Bild jedoch nicht zufrieden.
Im Zuge der ´Verschönerungsaktion´ gab es Veränderungen. Die Bücherei mußte in das Objekt L 514 umziehen, einem ehemaligen Wirtshaus mit angrenzenden Räumen und einem Kinosaal in der Nähe der Dresdener Kaserne. Zehntausende von Büchern mußten an drei Tagen mit Handwagen von der Hannover-Kaserne zur Dresdener Kaserne transportiert werden (Parkstraße 14).
Hier waren die Räume größer und Bücherregale aus Metall standen zur Verfügung. SS-Leute, unter ihnen Kommandant Rahm, waren dabei, als das Filmteam unter Leitung Gerrons Aufnahmen in der Bücherei machte.
Nach dem Besuch der Kommission des Internationalen Roten Kreuzes begannen die Transporte erneut. 17 von 19 Mitarbeitern der Bücherei wurden deportiert.
Nach den Transporten wurde eine Lesehalle in der Sokol-Turnhalle errichtet und eine weitere Zweigstelle für Dänische Bücher. Kisten mit Büchern aus Dänemark waren für die dänischen Juden eingetroffen und wurden von Dr. Friedinger, einem Rabbiner aus Kopenhagen, betreut.
Etwa 250.000 der in der Ghettobücherei vorhandenen Bücher stammten aus dem Besitz der liquidierten jüdischen Gemeinden des Protektorats und des Deutschen Reiches. Viele aber auch aus Privatbesitz. Sie wurden in Synagogen und Lagern in Prag gesammelt, aus den wertvollen wurden die Eigentumsnachweise entfernt, viele andere ins Ghetto gebracht. Etwa 100.000 Bücher aus der Ghettobücherei wurden nach dem Krieg dem Jüdischen Museum Prag übergeben, der Rest ging verloren oder konnte aus Hygienegründen nicht mehr benutzt werden. Die Nazis konzentrierten etwa 800.000 Bücher auf verschiedenen Burgen des Protektorats, von denen ein Teil ins Jüdische Museum gelangte. Etwa 40.000 wurden weitergegeben an die Jerusalemer Nationalbibliothek.