Willy Mahler (geb. 3. November 1906) wurde vom Sammelplatz in Kolín aus am 13. Juni 1942 mit dem Transport AAd nach Theresienstadt verbracht. Er hatte vorher in Deutschbrod (Havlíčkův Brod) in Südostböhmen gewohnt.
Willy Mahler begann in Theresienstadt mit tagebuchähnlichen Aufzeichnungen, die im Jahr 1942 noch sehr lückenhaft sind. Ab 1. März 1943 sind es dann regelmäßig mit der Schreibmaschine verfasste Eintragungen, die der Verfasser nicht täglich, sondern jeweils nach einer Zeitspanne von wenigen Tagen verfasst.
Willy Mahler, der relativ lange bei der Theresienstädter Post arbeitete, hatte zu diesem Zeitpunkt die Funktion eines Gruppenältesten inne. Er war Leiter des Blockes B IV (Hannover Kaserne) im Ghetto. Dort waren vorwiegend arbeitsfähige Männer und eine kleine Gruppe von Frauen untergebracht.
Ab dem 16. März 1944 ging Mahler zu täglichen Aufzeichnungen über, berichtete über Musik- und Theaterveranstaltungen, über die Rede Jakob Edelsteins vom 2. April 1943 vor 400 versammelten Bewohnern im Raum 192 der Hannover Kaserne, in der Edelstein über den Aufbau des Ghettos sprach, über Vorlesungen bekannter Wissenschaftler und andere kulturelle Veranstaltungen. So erwähnt er ausführlich die Vorlesung von Frau Jarmila Fischerová in der Dresdener Kaserne (Block H V, Raum 341) zum Thema „Wie sieht eine Frau die Männer in Theresienstadt!“ am 27. Oktober 1943, in der sie auch des Staatsfeiertages der Tschechischen Republik gedachte und sich kritisch zu den Tagen „der hohen Stiefel“, der Knechtschaft, Verarmung, Erniedrigung, der Beraubung aller Rechte und Freiheiten in den Jahren 1938 und 1939 äußerte (in dem das sogenannte Sudetenland und Böhmen besetzt wurden.) Laut Mahler waren unter den Zuhörern auch Edelstein und Benjamin Murmelstein, die beide nichts gegen die von der SS als reichsfeindlich aufgefassten Äußerungen der Rednerin einzuwenden hatten.
Mahler berichtet über einen Vortrag von Egon Redlich, dem Leiter der Jugendfürsorge, am 7. Dezember 1942 und über die Registrierung und Abfertigung der Transporte Dl und Dm im September 1943. Mahler berichtet von der Unruhe, der Ungewissheit und Angst im Ghetto, von den Gerüchten über die Ziele der Transporte. Als Sammelplatz für die Besteigung der Waggons dienten die Höfe der Geniekaserne (Block E III a) und der Hannover Kaserne (B IV), die nachts mit starken Lampen beleuchtet waren. Mahler erzählt, wie er die Nacht mit den Versammelten im Hof der Geniekaserne verbringt und er war auch dabei, als die Gefangenen am nächsten Morgen in die Waggons steigen mussten. Bettlägerige Patienten auch mit hohem Fieber wurden, so Mahler, auf Tragen gebracht, Alte und Kinder einwaggoniert. Die ersten 50 Waggons verließen Theresienstadt nach seinen Angaben um 14 Uhr, die übrigen 50 um 20 Uhr.
Am 21. Dezember 1943 zeichnete Mahler die Rede des Judenältesten Paul Eppstein auf, die dieser am Vortag vor jüdischen Funktionären aus Wien und Deutschland gehalten hat. Er unterrichtete die Anwesenden von der Zusammensetzung der > Transporte Dr und Ds und wies auf die Mängel bei deren Abfertigung hin. Mit dem Dezembertransport ging auch Jakob Edelstein, der bis dahin im Bunker der Kommandantur gefangengehalten worden war, Faltin, Dr. Deutsch und Goldschmidt, die ebenfalls in die Bestandsaffäre verwickelt gewesen waren. Eppstein würdigte Jakob Edelstein und seine Arbeit, wünschte ihm Erfolg in der Arbeit am neuen Ort. Zu diesem Zeitpunkt scheint Eppstein noch nichts über das konkrete Ziel der Transporte gewusst zu haben.
Mahler beschreibt detailliert die Vorbereitung und Durchführung der Maitransporte 1944. Es gelang ihm, einen Neffen aus der Transportliste heraus zu reklamieren und seine Mutter vor der Deportation zu bewahren.
Die Eintragungen Mahlers über seine private Situation deuten darauf hin, daß es ihm selbst relativ gut ging. Er hatte viel Freizeit und nach eigenen Angaben keinen Hunger kennengelernt. 1944 übersiedelte er aus dem Massenquartier in eine Mansarde der Hannover Kaserne. Durch „Protektion“ hatte er dies „Kämmerchen“ erhalten.
Neben banalen Notaten oder auch der Beschreibung von Liebesszenen, kontrastierten wertvolle Eintragungen über kulturelle Veranstaltungen. Mahler berichtet von der Rede Paul Eppsteins am 17. Juli 1944 im Raum B V 143, in der er sich vor Kreisleitern aus dem Protektorat und dem Reich mit Fragen der jüdischen Selbstverwaltung befasste und seine Zuhörer darüber informierte, daß am 17. Juli die Maler Friedrich Bloch, Bedřich Fritta, Leo Haas, Norbert Troller und > Otto Ungar in die Kleine Festung eingeliefert worden waren. Nach Mahler wies Eppstein bereits in dieser Rede darauf hin, daß die Situation im Ghetto in dem Maße kritischer würde, in dem sich die Nachrichten von draußen verbesserten. Erneut bemerkte Eppstein, daß er selbst mit keinen weiteren Transporten in den Osten rechne.
Mahler berichtet über die Rede Eppsteins zum jüdischen Neujahresfest am 16. September 1944, von dem Appell am 23. September, in dem Eppstein den Beginn der Herbsttransporte ankündigt, in die Mahler dann selbst eingereiht wurde. Mahler berichtet, daß er am 24. September seine Funktion in der Hannover Kaserne an einen festgesetzten Nachfolger übergab und am 27. September 1944 von der Verhaftung Eppsteins erfuhr. Am 25. September wurden abends die > Transportnummern eingetragen (2.800 – 5.500). Mahler erhielt die Nummer 3.017. In der Nacht vom 25. auf den 26. September 1944 reichte er ein Ersuchen auf Reklamation ein, versuchte persönlich bei Dr. Eppstein vorzusprechen, wurde jedoch abgewiesen.
Die letzten Eintragungen in seinem Tagebuch machte Mahler am 28. September 1944, die letzten Seiten waren handgeschrieben.
Bevor Willy Mahler am 29. September 1944 mit dem Transport El nach Auschwitz deportiert wurde, übergab er seine Aufzeichnungen an eine Bekannte. Mahler wurde in Auschwitz selektiert und zur Zwangsarbeit bestimmt. Er starb in Dachau am 19. Januar 1945. Julie Mahlerová, Willy Mahlers Mutter, erlebte die Befreiung in Theresienstadt. Sie nahm das Tagebuch des Sohnes bei der Repatriierung mit und rettete es so. Ihr Mann, Arthur Mahler, war am 5. April 1944 im Alter von 73 Jahren im Lager gestorben.