Am 30. Mai 2001 wurde der ehemalige Aufseher im Gestapogefängnis Kleine Festung Theresienstadt Anton Malloth (89) vom Münchener Schwurgericht wegen Mordes in zwei Fällen zu lebenslanger Haft verurteilt. Malloth, dem weitere Morde und Mißhandlungen vorgeworfen wurden, konnten 56 Jahre nach Beendigung der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft aufgrund inzwischen verstorbener Zeugen nur noch diese beiden Morde zweifelsfrei nachgewiesen werden. Dieses Urteil beendete einen der letzten Kriegsverbrecherprozesse in der Geschichte der Bundesrepublik und verdient deswegen besondere Beachtung, weil sich die Geschichte der Strafverfolgung Malloths wie ein Krimi liest und deutlich macht, daß viele NS-Verbrecher ungeschoren davonkamen, weil sie mit dem Wohlwollen und der Nachlässigkeit der bundesrepublikanischen Strafverfolgungsbehörden rechnen konnten.
Den Namen Anton Malloth hörte ich zum ersten mal im Jahre 1968. Oberst Svoboda, ehemaliger Häftling in der Kleinen Festung, im Zuchthaus Brandenburg und in Dachau, der sich damals - 70jährig – ein kleines Zubrot zu seiner kargen Rente dadurch verdiente, daß er deutschsprachige Gruppen durch das ehemalige Gestapogefängnis führte, erzählte uns während unserer abendlichen Gespräche am Haupttor, daß der bis dato unter falschen Namen in der DDR lebende ehemalige SS-Aufseher Wachholz „erwischt“ worden sei und nun vor Gericht gestellt werden würde. „Wachholz“, so Oberst Svoboda, „ist aber nicht der schlimmste gewesen. Wegen ihrer Brutalität von uns gefürchtet, waren vor allem die Aufseher Rojko und Malloth, der von den Häftlingen ´schöner Toni´ genannt wurde." Er selbst hätte oft erlebt, wie diese beiden sich schon bei den ankommenden Transporten aus Prag Häftlinge „ausguckten“, die sie dann wegen nichtiger Anlässe prügelten und peinigten.
Malloth hat sich die Häftlinge in der Schlange vor der Essensausgabe gegriffen, sie in den Hof neben die Dunkelzellen gezerrt und dort auf sie eingeschlagen, oftmals bis sie tot zusammenbrachen.
Rojko wäre von Österreich nicht ausgeliefert, erst 1963 in Österreich vor Gericht gestellt und zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Anton Malloth aber würde als freier Mann in der Bundesrepublik leben.
Die Kleine Festung Theresienstadt, Teil eines von den Österreichern gegen Ende des 18. Jahrhunderts errichteten Festungssystems am Fuße des Böhmischen Mittelgebirges, war im Juni 1940 von der Prager Gestapoleitstelle übernommen und als Gefängnis genutzt worden. Mehr als 27.000 Männer und 5.000 Frauen waren in den fünf Jahren der deutschen Okkupation hier inhaftiert. Unter ihnen waren Mitglieder tschechischer Widerstandsgruppen, Studenten und Schüler, Angehörige der verbotenen Jugendverbände und Parteien, sowjetische Kriegsgefangene und Juden, deren einziges Vergehen z. B. darin bestand, daß sie sich ohne gelben Stern auf der Straße blicken ließen. Über 2.500 kamen in der Kleinen Festung ums Leben: Sie starben an Flecktyphus oder an Lungenentzündung, an Erschöpfung und Unterernährung, sie wurden hingerichtet oder von ihren Bewachern zu Tode geprügelt.
Die Bewacher (Polizisten und SS-Leute) hießen u. a. Burian, Wachholz, Rojko, Mende, Neubauer, Schmidt, Hohaus, Sternkopf, Soukup, Bennewitz, Storch, Lewinsky und Malloth. Befehligt wurden sie von Heinrich Jöckl, dem Kommandanten der Festung.
Wie sehr diese Aufseher von ihrem Herrenmenschentum überzeugt waren, ahnt man, wenn man ihre Initialen auf einer von den Häftlingen gemauerten Gullyumrandung auf dem I. Hof liest. Hier haben sie sich verewigt, die Jöckls und die Bennewitz, scheinbar ohne Angst, irgendwann einmal für ihre in der Kleinen Festung begangenen Verbrechen belangt zu werden.
Gegen Ende des Krieges, in den ersten Maitagen 1945, flüchteten die Angehörigen der Wachmannschaft, einige mit ihren bis dahin im Herrenhaus der Kleinen Festung lebenden Frauen, die z. T. ebenfalls als Aufseherinnen auf dem Frauenhof des Gefängnisses tätig gewesen waren.
Heinrich Jöckl wurde von amerikanischen Truppen in Bayern gefaßt und an die Tschechoslowakei ausgeliefert. Zusammen mit anderen Aufsehern wurde er in Litoměřice vor ein außerordentliches Volksgericht gestellt, zum Tode verurteilt und hingerichtet. Während der Zeit seines Prozesses war er in einer Dunkelzelle des I. Hofes inhaftiert. Zum Tode verurteilt und hingerichtet wurden wegen ihrer zahlreichen Verbrechen und Morde auch sein Stellvertreter Schmidt, die Aufseher Burian, Neubauer und der Leiter des Hinrichtungskommandos J. Lewinsky. Der Aufseher Hohaus, der als Küchenchef für die Verpflegung zuständig war, wurde freigesprochen. Nie vor ein Gericht gestellt wurde der Leiter der Werkstätten Sternkopf. Er hatte sich den Häftlingen gegenüber korrekt verhalten. Im Jahre 1969 wurde von einem Berliner Gericht der Aufseher Wachholz zum Tode verurteilt und hingerichtet. Andere Wachmänner wie Soukup und Storch begingen 1945 bzw. 1974 in der Untersuchungshaft Selbstmord.H. Mende und Anton Malloth, der am 24. September 1948 von dem außerordentlichen Volksgericht in Litoměřice in Abwesenheit zum Tode verurteilt wurde, gingen straffrei aus.
Wie Anton Malloth der tschechischen Justiz entkam, wie er jahrzehntelang in Südtirol mit Frau und Tochter ein unbehelligtes Leben führen konnte, wie eine deutsche Staatsanwaltschaft gegen ihn ermittelte und ermittelte, das Verfahren einstellte und wieder aufnahm, noch einmal aufnahm und noch einmal einstellte und wie schließlich nach so vielen Jahren doch noch Anklage gegen Anton Malloth erhoben wurde, das ist eine groteske und in ihren Verästelungen kaum nachvollziehbare Geschichte. Sie läßt sich nacherzählen anhand der Ermittlungsakten der Dortmunder Staatsanwaltschaft, der Archive Simon Wiesenthals und der Gedenkstätte Theresienstadt.
Anton Malloth wurde als uneheliches Kind der Weißnäherin Maria Malloth am 13. Februar 1912 in Innsbruck geboren. „Meinen Vater kannte ich nicht“, gab er später ins Vernehmungsprotokoll. Die Mutter konnte sich nicht um das Kind kümmern. Anton M. wuchs bei „Zieheltern“ auf, Bauersleuten in Schenna bei Meran. Er absolvierte acht Jahre Volksschule, dann eine dreijährige Lehre als Fleischhauer. Im Jahre 1933 wurde Malloth zur italienischen Armee eingezogen, diente 18 Monate bei den Bersaglieri in Siena, arbeitete dann vier Jahre als Barmixer in einer Meraner Weinhandlung, wurde 1939 wieder eingezogen und nahm dann im Herbst 1939, als Hitler Südtirol an Italien abtrat, die Gelegenheit wahr, deutscher Staatsbürger zu werden. Prompt wurde er für die Wehrmacht gemustert und nach einer Ausbildung in der Grenzpolizeischule als Gefängnisaufseher nach Prag geschickt. Am 2. Juni 1940 trat er seinen Dienst in der Kleinen Festung Theresienstadt an.
Nach seiner Flucht aus Theresienstadt Anfang Mai 1945, schlug sich Malloth nach Tirol durch.
Am 29. Dezember 1947 wurde er in Fulpmes/Tirol von der österreichischen Gendarmerie verhaftet. Am 7. Januar 1948 teilte das österreichische Justizministerium mit, die Tschechen hätten eine ihnen gesetzte Frist zur Begründung ihres Auslieferungsantrages nicht eingehalten. Am 11. Januar übergab die tschechische Gesandtschaft das ausführlich begründete Todesurteil gegen Malloth. Vier Tage später hob das Landgericht Innsbruck die Auslieferungshaft auf und setzte Malloth auf freien Fuß. Der zögerte nicht lange und überschritt die Grenze nach Italien.
Dann hörte man lange Zeit nichts von Malloth. In Österreich wurde er später wieder zur Fahndung ausgeschrieben. Malloth kam auf die UN-Kriegsverbrecherliste, der „United Nations War Crimes Commission“ (UNWCC). 1968 wurde das tschechische Todesurteil aufgehoben und annulliert. Malloth hatte einen neuen Prozeß zu erwarten.
Im Jahre 1970 eröffnete die Staatsanwaltschaft Dortmund ein Ermittlungsverfahren über Mißhandlungen und Tötungen von Gefangenen in der Kleinen Festung Theresienstadt. Es war das erste derartige Verfahren in der Bundesrepublik. Von Anton Malloth nahm die Staatsanwaltschaft damals an, er sei in der Tschechoslowakei 1948 hingerichtet worden. Erst 1973 stellte sich heraus, daß Malloth noch am Leben war und sich bester Gesundheit erfreute. In den Ermittlungsakten war sein Name allerdings mit einem (u) gekennzeichnet. Sein Aufenthaltsort, sollte dies bedeuten, sei unbekannt.
Aber Malloths Aufenthaltsort war keineswegs unbekannt. Am 12. Mai 1962 hatte er sich in Meran polizeilich gemeldet. Als Beruf gab er „Vertreter“ an, als Wohnsitz die Via Petrarca 30. Malloth war es als ehemaligem Südtiroler 1949 durch „Reoption“ möglich geworden, als Antonio Malloth wieder die italienische Staatsbürgerschaft zu erlangen.
Voraussetzung dafür war allerdings der Verzicht auf die deutsche Staatsbürgerschaft. Erst 1956 wurde ihm die deutsche Staatsbürgerschaft wieder aberkannt, weil eine Reoption für ehemalige SS-Angehörige vom Dienstgrad des Unteroffiziers an ausgeschlossen war. Wie auch immer, am 12. Mai 1962 stellte das deutsche Generalkonsulat in Mailand für Malloth den deutschen Pass mit der Nummer 120 16 25 aus, der im Februar 1973 für weitere fünf Jahre verlängert wurde.
Frederico Steinhaus, der Präsident der Jüdischen Kultusgemeinde in Meran, übermittelte diese Erkenntnisse im April 1973 an das Bundeskanzleramt in Bonn. Von dort wanderte der Brief an das Bundesjustizministerium, das am 2. Mai gleichen Jahres Frederico Steinhaus mitteilte :“........ darf ich Ihnen mitteilen, daß im Bundesministerium der Justiz keine Vorgänge über Anton Malloth ermittelt werden konnten.“ Von diesem Vorgang unterrichtete Simon Wiesenthal, Leiter des Dokumentationszentrums für Naziverbrechen in Wien, die Zentrale Stelle für die Verfolgung von Naziverbrechen in Ludwigsburg. Es wurde nichts unternommen. Zwei Jahre später versuchte die Staatsanwaltschaft Dortmund Malloth im Zuge der Amtshilfe in Meran zu vernehmen – ohne Erfolg. Die Italiener teilten der deutschen Behörde mit, daß Malloth 1972 ausgewiesen worden sei. Ungeachtet dessen stellte der Leiter des Meldeamtes in Meran am 6. April 1973 eine „Meldeamtliche Bescheinigung“ für „Unterstützungszwecke“ für Anton Malloth aus.
Am 25. April 1973 stellte Oberstaatsanwalt Weissing in Dortmund das Ermittlungsverfahren gegen Malloth ein. „Der Aufenthalt des mit (u) gekennzeichneten Beschuldigten konnte trotz umfangreicher Nachforschungen nicht geklärt werden. Die Fahndungsmöglichkeiten sind erschöpft“, hieß es in der Abschlussverfügung.
Nun ruhten die Akten des Falles Malloth bis zum Jahr 1988. Am 5. August 1988 erreichte den Dortmunder Oberstaatsanwalt Klaus Schacht ein Anruf seines Kollegen Tarfusser aus Bozen. Die Polizei habe Anton Malloth in seinem Haus in der Petrarca 30 „aufgegriffen“. Besonders interessiert war man in Dortmund nicht. Immerhin bot Schacht an, er könne ja nach Meran kommen, um Malloth zu befragen. Dazu kam es dann nicht mehr, denn fünf Tage später landete Malloth mit einer Maschine auf dem Münchener Flughafen Riem. Die Italiener hatten es plötzlich eilig, Malloth loszuwerden. Wohl oder übel mußte Schacht die Ermittlungen nun wieder aufnehmen.
Am 22. August 1988 begab er sich in die Städtische Klinik München Harlaching, um den Beschuldigten zu vernehmen. Der oben beschriebene Lebensweg Malloths ist diesem Protokoll entnommen worden.
Malloth machte Angaben zur Person, verschwieg dem Staatsanwalt Schacht gegenüber aber seine Tätigkeit in Theresienstadt. Er schilderte seine Festnahme durch die österreichischen Behörden im Dezember 1947 („Was mir genau vorgeworfen wurde, kann ich nicht sagen“), seine Flucht nach Italien, sein Leben in Meran. Er habe als Vertreter für eine Elektrofirma gearbeitet, bis er 1972 in Rente ging. In diesem Jahr sei er aus Italien ausgewiesen worden und habe seitdem im Verborgenen gelebt, das Haus nur nachts verlassen. Jetzt sei er ein schwerkranker und mittelloser Mann und in Deutschland auf Hilfe angewiesen. Er werde von der Fürsorge leben müssen.
Hilfe wurde ihm zuteil. Im Auftrag der „Stillen Hilfe für Kriegsgefangene und Internierte e.V.“ besorgte Gudrun Burwitz, die in München lebende Tochter Heinrich Himmlers, der eine aktive Mitgliedschaft in der Wiking-Jugend nachgesagt wird, ein Zimmer in einem Altenheim in München–Pullach. Familie Malloth zeigte sich dankbar. Ehefrau und Tochter setzten Frau Burwitz als alleinige Erbin der persönlichen Dinge ein, die Malloth bei seinem Ableben hinterlassen würde.
Im Sommer 1988 erfährt der Journalist Peter Finkelgruen aus einer deutschen Zeitung, die er in Piräus am Kiosk kauft, der in der ČSSR zum Tode verurteilte Anton Malloth sei aus Italien nach Deutschland abgeschoben worden. > Finkelgruen weiß, daß sein Großvater Martin Finkelgruen in der > Kleinen Festung Theresienstadt erschlagen worden ist. Er schneidet den Zeitungsartikel aus. Wenige Monate später besucht er seine 90jährige Tante Bela in einem Prager Altersheim. Sie erzählt ihm, was sie über den Tod seines Großvaters weiß: „Dieser Malloth hat ihn erschlagen.“ „Mit diesem Juden“, soll Malloth gesagt haben, während er auf ihm herumtrampelte, „werden wir auch noch fertig.“
Aber Tante Bela hat die Sache selbst nicht gesehen, sondern von einem anderen Gefangenen mitgeteilt bekommen. Peter Finkelgruen, dessen Eltern vor den Nazis nach Schanghai geflüchtet waren, lässt die Sache keine Ruhe mehr. Er nimmt sich einen Anwalt und bekommt schließlich Einsicht in die Akten des Dortmunder Ermittlungsverfahrens. In den Akten der Einstellungsverfügung des Jahres 1979 findet er einen Hinweis auf seinen Großvater. Es ist Fall Nr. 39. Tatzeit: Zweite Hälfte des Jahres 1942. Tatort: Block A der Kleinen Festung Theresienstadt. Täter: Anton Malloth. Opfer: Ein alter Jude. Todesart: Erschlagen.
In den Akten findet Finkelgruen auch den Namen des Zeugen, der diese Tat beobachtet und dazu ausgesagt hat. Am 10. November 1989 besucht er den damals 76jährigen Josef K. in Prag. In einem Notariat läßt er sich eine eidesstattliche Versicherung von Josef K. geben. K. schildert, wie Kommandant Jöckl einen neu eingelieferten Häftling zu Boden warf, wie Malloth auf diesem Mann eingeschlagen habe und auf ihn herumgesprungen sei, bis ihm Blut aus dem Mund spritzte. Später habe er den Mann in der Leichenkammer liegen sehen. Finkelgruen legt K. ein Foto seines Großvaters vor. K. sagt, er könne beschwören, daß dies der Mann sei, der von Malloth erschlagen worden sei.
Jedoch, Oberstaatsanwalt Schacht glaubt dem Zeugen nicht. Ihm liegen Protokolle früherer Vernehmungen vor und er hat K. schon selbst vernommen. Er weist auf Widersprüche in der Zeugenaussage hin, besonders die unterschiedlichen Angaben über die Tatzeit und den Ort, von dem aus er es beobachtet haben will. Nach 47 Jahren, so der Staatsanwalt, bestünden „berechtigte Zweifel an der Richtigkeit der Darstellung.“ Am 17. Januar 1990 stellt Staatsanwalt Schacht das Ermittlungsverfahren gegen Malloth erneut ein.
Die Einstellungsverfügung ist 186 Seiten stark. Sie listet 105 Fälle auf, in denen Malloth durch Zeugen belastet wurde. Keine dieser Zeugenaussagen begründet nach Ansicht der Ermittlungsbehörde einen für eine Anklage ausreichenden Tatverdacht.
Inzwischen sind 1979 alle NS-Verbrechen mit Ausnahme von Mord verjährt. Totschlag, Körperverletzung mit Todesfolge können, so haarsträubend die Tatumstände sein mögen, nicht mehr verfolgt werden. Wenn es sich um eine von anderer Stelle angeordnete Hinrichtung handelt, fehlt das für Mord notwendige Tatmerkmal der niederen Beweggründe. Wenn ein Zeuge nur vom Hörensagen berichtet, wenn er den Täter nicht eindeutig identifizieren kann, ist es unsinnig, Anklage zu erheben.
Aber da ist auch der Fall Nr. 117: Der Zeuge Vojtěch S. schildert, wie fünf Aufseher des Gestapogefängnisses, unter ihnen Anton Malloth, regelmäßig am Samstag jüdische Häftlinge vor der sogenannten „Jüdischen Zelle“ auf dem I. Hof im Kreis laufen ließen und dabei so lange mit Peitschen und Knüppeln auf sie einschlugen, bis einer oder zwei tot liegen blieben. Diese Beobachtung wird durch andere Zeugenaussagen bestätigt. Schacht kommentiert: „Aus der Tatsache allein, daß der Beschuldigte gemeinsam mit anderen auf die Juden eingeschlagen hat, kann nicht verlässlich gefolgert werden, daß der Tod des Opfers auf ein bewußtes und gewolltes Zusammenwirken aller beteiligten Aufseher zurückzuführen ist.“ Oder der Fall Nr. 569:
Der Zeuge František S. berichtet, wie Malloth im IV. Hof der Festung mehrere Häftlinge mit einem Gummiknüppel derartig verprügelt habe, daß einer von ihnen an den Verletzungen gestorben sei. „Sichere Rückschlüsse auf einen bedingten Tötungsvorsatz“ erkennt der Staatsanwalt nicht. Die „Verwendung eines Gummiknüppels spricht eher gegen einen solchen Vorsatz.“
Noch einmal, im Jahr 1993, nimmt Oberstaatsanwalt Schacht die Ermittlungen wieder auf. In Stasi-Akten sind Unterlagen aus dem Prozeß des 1968 in der DDR gefassten und vor Gericht gestellten Aufsehers der Kleinen Festung Wachholz gefunden worden, die bis dahin unbekannte Zeugenaussagen über die Taten Anton Malloths enthalten. Im April 1999 wird auch dieses Verfahren ergebnislos eingestellt. Am 18. Juni 1999 erhält > Peter Finkelgruen den letzten Bescheid des Staatsanwaltes in Hamm: Es gebe weiterhin keine Erkenntnisse, die für einen hinreichenden Tatverdacht gegen Malloth ausreichten. „Dies gilt auch für den beklagenswerten Tod Ihres Großvaters Martin Finkelgruen.“
Im Februar 2000 meldet sich bei den tschechischen Behörden ein bis dahin unbekannter Zeuge. Er sagt, er habe gesehen, wie Malloth bei Erntearbeiten einen Gefangenen erschoss, der einen Blumenkohl unter der Jacke versteckt hatte. Das Protokoll wird nach Dortmund geschickt. Dort aber ist man des Falles endgültig leid geworden und man leitet das Material nach München weiter – Malloth wohnt ja schließlich in Pullach. Die Münchner Staatsanwaltschaft handelt schnell. Weitere Zeugen werden ermittelt und vernommen, die Hilfe der historischen Abteilung und des Archivs der Gedenkstätte Terezín/Theresienstadt wird in Anspruch genommen. Am 25. Mai 2000 wird der jetzt 88jährige Malloth in Untersuchungshaft genommen und im Dezember erhebt die Staatsanwaltschaft München I Anklage wegen Mordes in drei Fällen. Der Fall Finkelgruen und viele andere sind nicht dabei. Die Zeugen sind inzwischen verstorben.
Am 23. April 2001 begann der Prozeß gegen Malloth in München. Der im Februar 89 Jahre alt gewordene Anton Malloth ist krank. Er leidet unter allerlei altersbedingten Beschwerden, kann wegen einer nicht näher diagnostizierten Verengung der Speiseröhre nur flüssige Nahrung zu sich nehmen, klagt über Knochenschmerzen und Übelkeit. Das Gericht nahm größtmögliche Rücksicht auf den Gesundheitszustand des Angeklagten. Um ihm die lästigen Transporte zu ersparen, fand der Prozeß im Konferenzsaal des Pullacher Untersuchungsgefängnisses statt. Es wird immer nur drei Stunden verhandelt, ein Arzt ist immer dabei. Dennoch: Malloth war verhandlungsfähig und Malloth war nach einem Gutachten eines vom Gericht beauftragten Psychologen auch in der Lage, dem Ablauf der Gerichtsverhandlung zu folgen und ihn zu verarbeiten. Er wohnte der Verhandlung im Rollstuhl, von einem Pfleger begleitet, bei. Kopfhörer sollten es ihm erleichtern, der Verhandlung zu folgen. Prozeßbeobachter berichten, daß er bei den Schilderungen seiner bestialischen Verbrechen keine Miene verzog.
Ein Menschenleben ist vergangen, seit Richard L., heute 73 Jahre alt, in das Gestapogefängnis Kleine Festung eingeliefert wurde. Richard L. war damals 16, der jüngste unter den Gefangenen. Er hatte sich den Judenstern von der Kleidung gerissen, aber sie erkannten ihn trotzdem als Juden und schlugen ihn fürchterlich. Später, irgendwann im Winter 1944/45, hat er aus der jüdischen Zelle im I. Hof der Kleinen Festung mit angesehen, wie zwei Gefangene sich bei bitterer Kälte nackt ausziehen mußten und mit kalten Wasser aus einem Schlauch bespritzt wurden, bis sie tot umfielen.
Malloth und Rojko und die anderen Aufseher standen dabei, sagt der Zeuge, sie alle seien stark betrunken gewesen. "Ich weiß nicht sicher, ob es Januar, Februar oder März war“, sagte Richard L., „es war zu einer Zeit, da meine Seele nichts mehr aufnehmen konnte an Brutalitäten.“ Die Emotionen seien erst später gekommen: „Ich schleppe das mit mir herum bis heute.“
„Wir wissen, daß es schwer für Sie ist, sich nach so langer Zeit an Einzelheiten zu erinnern“, beschwichtigt Richter Jürgen Hanreich. „Oh nein, Herr Vorsitzender“, antwortet der Zeuge, „ ich habe nichts vergessen.“ An dieser Stelle kann er nicht weitersprechen. Er schlägt die Hände vors Gesicht und schluchzt bitterlich.
Richter Jürgen Hanreich, dessen Unvoreingenommenheit zu Beginn des Prozesses angezweifelt wurde (sein Vater war während des Krieges als Richter in Usti nad Labem und im Theresienstadt benachbarten Litoměřice tätig) ist in der Verhandlungsführung untadelig. Er weiß um die Belastungen, denen die Zeugen ausgesetzt sind.
Keiner der alten Männer, die in diesem Prozeß als Zeugen aussagen müssen, kann seine Gefühle verleugnen. Albert M., 80 Jahre alt, krempelt das linke Hosenbein hoch und zeigt dem Gericht seinen von tiefen Narben zerfurchten Unterschenkel. Da hat ihn einer seiner Bewacher bei einem Arbeitseinsatz auf dem Bahnhof von Aussig mit dem eisenbeschlagenen Schuh getroffen, und Albert M. wog damals nur 41 Kg, da gab es kein schützendes Fleischpolster zwischen Haut und Knochen. Er laboriert noch heute an den Folgen dieser Mißhandlung, körperlich und seelisch. Er krempelt sein Hosenbein nach unten und nimmt wieder auf dem Zeugenstuhl Platz, minutenlang unfähig, weiterzusprechen.
Nur einer bleibt scheinbar unbeteiligt bei diesen sich über Stunden hinziehenden Zeugenvernehmungen. Der Angeklagte Anton Malloth sitzt kerzengerade und regungslos in seinen Rollstuhl, den Rücken von zwei dicken, weißen Kissen gestützt. Zu Beginn eines jeden Verhandlungstages setzt ihm sein Pfleger ein Paar Kopfhörer auf. Niemand kann seinem starren Gesicht entnehmen, ob er versteht, was da vor sich geht, ob Erinnerungen in ihm wach werden, ob er eine Regung von Reue und Mitleid empfindet. Nur seine kleinen, dunklen Augen bewegen sich manchmal flink vom Zeugen zum Richtertisch und wieder zurück, berichtet der Reporter der SZ.
Aber Anton Malloth ist kein stumpf vor sich hin dämmernder Greis. Er kann sich konzentrieren, versteht auch komplizierte Sachverhalte und ist durchschnittlich intelligent: „Er war höflich, verbindlich, kooperativ“, berichtet der Sachverständige vor Gericht. Malloth habe ihm ganz spontan einiges aus seiner Dienstzeit in Theresienstadt erzählt. Daß er einmal beim Abhören eines Feindsenders erwischt worden sei. Daß man sich beim 24-stündigen Wachdienst in der Wachstube nur hinlegen, aber nicht schlafen durfte. Daß er sich an die Sache mit dem Wasserschlauch überhaupt nicht erinnern könne. Daß der Prozeß ihn sehr belaste und es ihm überhaupt nicht gleichgültig sei, was da vor sich gehe.
Wenn das so wäre, wenn hinter dem unbewegten Greisengesicht des Anton Malloth tatsächlich ein noch wacher Verstand den Schreckensberichten der Zeugen folgen kann, dann hätte dieser Prozeß mehr als ein halbes Jahrhundert nach den in Theresienstadt begangenen Verbrechen doch noch einen Sinn. Wenn in Malloths Gehirn eine Erinnerung aufblitzen würde an den jüdischen Ingenieur Hochmann, den er irgendwann im Sommer 1944 mit Stockschlägen und Fußtritten zu Tode gebracht hat. Der Zeuge Albert M. hat das aus wenigen Metern Entfernung mit angesehen. Hochmann war beim Einrücken in die Festung aus Versehen in die falsche Richtung gegangen und Malloth hatte beim Appell festgestellt, daß einer fehlt. Hochmann wurde herbeigeschafft.
„Er beschimpfte ihn wüst: Stinkjude, Judensau. Sie brachten Malloth aus der Kammer einen Stock aus Haselholz, einen Meter lang und vier Zentimeter stark, damit prügelte er auf Hochmann ein. Der letzte Schlag ging direkt auf den Kopf, und Hochmann fiel lautlos aufs Gesicht. Malloth versetzte ihm noch ein paar Schläge, und trat dann mit den Stiefeln zu, in die Rippen und auf den Kopf. Hochmann blutete sehr stark aus dem Mund. Malloth brüllte in Richtung der jüdischen Zelle, es solle jemand kommen und den Mann in die Leichenkammer schaffen.“
Albert M. berichtet noch über andere Erlebnisse: Von den Juden, die von der Schleusenbrücke hinter dem I. Hof in einen mit metertiefen Schlamm gefüllten Festungsgraben springen mussten, immer wieder und immer wieder, bis sie nicht mehr konnten und im Schlamm erstickten. Malloth, sagt der Zeuge, habe die Juden immer wieder angetrieben und gezwungen, von der Brücke zu springen. (1992 arbeiteten wir mit Jugendlichen des Putenhofes in diesem Graben, fällten die dort inzwischen gewachsenen Bäume. Wir kannten diesen Vorfall aus einem Bericht von Leo Haas, der – wegen seiner von der SS als Greuelpropaganda bezeichneten Zeichnungen – aus dem Ghetto in die Jüdische Zelle der Kleinen Festung überstellt, später dann nach Auschwitz deportiert wurde. Das Bild der jüdischen Häftlinge im Schlamm war nicht aus unseren Köpfen zu bekommen).
Albert M. erzählt auch die Geschichte des Speditionsunternehmers Barth aus Prag. Dem habe der Aufseher Mende mit einem Spaten den Schädel gespalten „wie mit einer Axt“, weil er ihn bei einer unerlaubten Arbeitspause überrascht hatte.
Albert M. hat dieser Erlebnisse schon einmal erzählt und zwar dem Dortmunder Oberstaatsanwalt Klaus Schacht, der mehr als 20 Jahre lang in der Sache Malloth ermittelt hatte, bis er im April 1999 das Verfahren einstellte. (Das Verfahren gegen den früheren Aufseher Mende wurde schon 1979 eingestellt, „mangels Tatverdacht“). Staatsanwalt Schacht hatte damals „nicht unerhebliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen M.“ Damals wurde der Zeuge Albert M. von Schacht dem ehemaligen 1948 von einem tschechischen Volksgericht freigesprochenen Aufseher der > Kleinen Festung Hohaus gegenübergestellt. „Ich würde das nicht Gegenüberstellung nennen“, sagte der Zeuge. „Ich wurde von morgens bis abends vernommen, durfte mir dann auf eigene Kosten einen Kaffee bestellen. Am Abend, als ich müde und hungrig war und ich dachte, ich könne nun das Protokoll unterschreiben, sagte der Beamte: „Nur keine Eile“, und dann holte er Hohaus, und las ihm schön langsam die Aussage vor, und der sagte dann, das stimme alles nicht, und ich wurde als unglaubwürdig abgestempelt.“ „Tja“, sagte Richter Hanreich, „manchmal fehlt es der Ermittlungsbehörde etwas an Sensibilität. Wir wissen das.“
Richard L., den seine Erlebnisse in Theresienstadt noch immer bis in die Träume verfolgen, weiß das auch. Er ist auch schon einmal von Oberstaatsanwalt Schacht vernommen worden. Das war 1994 in Wien. Er hat ihm von den beiden Gefangenen erzählt, die mitten im Winter mit einem Wasserschlauch zu Tode gespritzt wurden. „Sie hatten den Eindruck, daß Herr Schacht kein rechtes Interesse hatte an ihrer Aussage?“, fragt Staatsanwalt Konstantin Kuchenbauer. „Das ist richtig“, bestätigt der Zeuge. „Er sagte, er müsse sich bei Rojko erkundigen, ob ich die Wahrheit sage.“ Es ist unfaßbar, was Oberstaatsanwalt Schacht hier von sich gab, denn Stefan Rojko war neben Malloth einer der schlimmsten und brutalsten Aufseher der Kleinen Festung. Er war 1963 von einem Gericht in Graz wegen seiner Verbrechen in Theresienstadt zu lebenslangen schweren Kerker verurteilt worden. „Das war für mich ein Schock“, fährt Richard L. fort. „Ich habe das Gespräch abrupt abgebrochen und hatte das Gefühl, daß Herr Schacht kein rotes, sondern braunes Blut in den Adern hatte“.
Das Gericht hat keine Fragen mehr an den Zeugen. Auf die Vereidigung wird verzichtet. „Ich danke ihnen, Herr Vorsitzender, mein Name.....“ hebt Richard L. an. Dann versagt seine Stimme wieder, er bleibt noch einige Sekunden sitzen, das Gesicht in den Händen verborgen, mit bebenden Schultern. Die Sitzung wird geschlossen. Der Pfleger nimmt Anton Malloth den Kopfhörer ab. Der alte Mann wird aus dem Saal gerollt. Er sitzt kerzengerade.
„Lebenslänglich“ lautet das Urteil, das Richter Hanreich am 30. Mai in München verkündet. In der Urteilsbegründung werden zwei ihm vorgeworfene Morde genannt. Die vielen anderen Verbrechen Malloths fallen unter die Verjährungsfrist oder können ihm aufgrund der bereits verstorbenen Zeugen nicht glaubhaft bewiesen werden. „Lebenslänglich“. Was bedeutet dies für einen 89-jährigen Mann, der sein Leben gelebt hat und der bis zum Schluß nichts von dem, was man ihm vorwirft, zugegeben hat, der kein Wort der Reue oder des Mitleids für seine Opfer hatte.
Der Prozeß gegen Anton Malloth ist einer der letzten (vielleicht der letzte) NS-Kriegsverbrecherprozeß gewesen. Es sterben die überlebenden Opfer Malloths und seiner SS-Kumpanen (von denen viele nie einen Pfennig Entschädigung erhalten haben), es sterben die Täter wie der ehemalige Ghettokommandant Anton Burger, der jahrzehntelang unter falschen Namen in Österreich und in Deutschland lebte und dessen Identität erst Jahre nach seinem Tode aufgedeckt wurde.
Unerträglich, daß NS-Verbrecher wie der NS-Kreisleiter Thiele, verantwortlich für die Ermordung von über 110 KZ-Häftlingen in Gardelegen im April 1945, flüchten und sein Leben leben konnte, unerkannt in den neunziger Jahren in den neuen Bundesländern starb, posthum identifiziert wurde. Solche „Pannen“ waren und sind möglich, weil die deutsche Justiz nie mit dem in anderen Verbrechensbereichen durchaus vorhandenen Ehrgeiz die Fahndung betrieb, weil immer öfter zu hören ist, man solle diese Menschen doch endlich in Ruhe lassen. Alles sei ja solange her und sie wären alt und krank. Unerträglich diese Einstellung, denn bedeutet sie doch: Laßt uns in Ruhe, wir wollen damit nichts mehr zu tun haben.
Dabei geht es nicht um Rache, um mit Simon Wiesenthal zu sprechen. Es geht um Gerechtigkeit, es geht darum, daß Mord Mord genannt werden muß, auch wenn dieser Mord 50 Jahre zurückliegt. Es geht darum, daß die Verbrecher, egal wie alt sie sind, öffentlich angeklagt und verurteilt werden, daß sie mit den Zeugenaussagen der überlebenden Opfer konfrontiert werden, ihnen in die Augen schauen müssen. Es geht nicht um Strafe, nicht darum, daß Verbrecher wie Malloth mit ihren 89 Jahren im Gefängnis sitzen (und mit Geschenkpaketen der „Stillen Hilfe“ versorgt werden). „ Wenn ich Nebenkläger sein könnte“, sagte Peter Finkelgruen, „würde ich plädieren : Lebenslänglich auf Bewährung. Ich würde ihm den Prozeß machen, ich würde ihn verurteilen und dann würde ich sagen: „Da ist die Tür.“
Am 6. Juni 2001 lese ich morgens in der Elbe-Jeetzel-Zeitung, daß Malloth seine Verurteilung zu lebenslanger Haft wegen Mordes angefochten und Berufung eingelegt hat! Oberst Svoboda, der während seiner Haft in der Kleinen Festung Theresienstadt, im Zuchthaus Brandenburg und im KZ Dachau seine Gesundheit einbüßte, starb in den siebziger Jahren. Er hat nie einen Pfennig Entschädigung bekommen.
In diesem Bericht wurden Gespräche mit überlebenden Häftlingen der Kleinen Festung Theresienstadt, die Prozeßberichterstattung vor allem der Süddeutschen Zeitung und der Bericht Peter Finkelgruens verarbeitet.
Von Vera Neubrand
Anton Malloth, SS-Mann und ehemaliger Aufseher im Gestapo-Gefängnis "Kleine Festung Theresienstadt, ist wegen Mordes in einem und wegen versuchten Mordes in einem anderen Fall zu lebenslanger Haft verurteilt worden. In einem weiteren Anklagepunkt, der ihn des zweifachen Mordes hätte überführen sollen, war der Zeuge sich nicht mehr sicher, ob der Angeklagte oder sein Vorgesetzter die Verantwortung für die Tat zu tragen hatte.
In der Prozeßberichterstattung ist die Tatsache, daß Malloth ein Massenmörder war, von Anfang an wenig beachtet und nach der Urteilsverkündung am 30. 5. 01 von den Medien vollkommen ausgeblendet worden. Das mag vielleicht daran liegen, daß im Sinne einer von Journalisten verstandenen Fairness nur die im Gerichtssaal bezeugten Verbrechen der Öffentlichkeit mitgeteilt werden sollten.
Es ist bekannt, daß die Beweisaufnahme schon nach 3 Wochen, am 15. 5. 2001, abgeschlossen wurde. Das Gericht wird gute Gründe für diese Entscheidung gehabt haben. Ich vermute vor allem den, ein Urteil herbeizuführen, sobald kein berechtigter Zweifel mehr an der Schuld des Angeklagten bestand. Die stets drohende plötzliche Prozeßunfähigkeit des Angeklagten hätte diese Absicht zunichte gemacht. Dies hatte zur Folge, daß vieles ausgeblendet blieb, was den Täter umfassend als Massenmörder charakterisiert hätte. So blieb eine Gruppe heute namenloser Opfer ohne Gedenken.
Als Zeugin vom "Hörensagen" ursprünglich zum 22. 6. 01 geladen, bin ich durch diesen Vorgang von der sehr unangenehmen Pflicht auszusagen, entbunden worden. Das hat mich erleichtert. Jedoch hätte ich mich niemals als Zeugin zur Verfügung gestellt, wenn ich nicht über die bis dahin ungesühnten und nirgendwo dokumentierten Verbrechen des Anton Malloth hätte Zeugnis ablegen wollen.
Ich gebe verkürzt hier wieder, was dem Gericht als Aussage vorliegt:
Am 30. 9. 44 schrieb meine Großmutter, die seit der Scheidung von ihrem "arischen" Mann im jüdischen Altersheim in Köln auf ihre Deportation wartete, ihren nach Berlin ins jüdischen Krankenhaus verbrachten und dort internierten Töchtern und ihrer Enkelin eine Postkarte mit dem Wortlaut: "...daß das Krankenzimmer, Arzt, Hilfe und ich morgen, Sonntag früh [1. 10. 44], hier abgeholt werden. Wohin? Wahrscheinlich Theresienstadt. ... Wir wußten das schon lange...'
Es gelingt ihr noch einmal, von unterwegs eine 2. Karte mit Poststempel Würzburg, 1. 10. 1944, abzusenden: "Meine lieben Kinder, ich sende Euch herzl. Gruß & Kuß. Es geht mir gut. Eure Mama/Omi." Das war die letzte Nachricht für meine Mutter und mich bis Befreiung im Mai 45.
Wenige Wochen später, am 27. 10. 1944, wurde ich mit meiner Mutter von Berlin in das Ghetto Theresienstadt deportiert, wo wir vergeblich nach meiner Großmutter suchten. Wir ahnten nicht, wo sie sich befand. Ein Kontakt zwischen "Kleiner und Großer Festung" war unmöglich.
Nach der Befreiung von Theresienstadt durch die Russen in den ersten Tagen im Mai 45, wurden wir informiert, daß eine alte Frau N. in der Kleinen Festung nach ihren Kindern suche. Mit meiner Mutter zusammen habe ich meine Großmutter gesucht und oben an einem Zellenfenster der "Kleinen Festung' entdeckt. Sie war kahl geschoren, krank und um Jahre gealtert. Am 10. 5. 45 kam sie zu uns und blieb bis zu unserer gemeinsamen Abfahrt nach Berlin am 18. 7. 45. Meine Mutter starb 10 Tage später.
Bis Ostern 1952 habe ich mit meiner Großmutter und der Schwester meiner Mutter in Köln zusammengelebt. Dort hat meine Großmutter mir und der Sozialarbeiterin von der jüdischen Gemeinde in immer wiederholten Berichten über die grauenvollen Taten des "schönen Toni" berichtet. Demnach ist der Transport mit den Insassen des jüdischen Altersheims Köln und der Krankenstation statt in das Ghetto Theresienstadt aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen in die "Kleine Festung', das Gestapo - Gefängnis, weitergeleitet worden. Unmittelbar nach der Ankunft sind die Männer, etwa 50, vor den Augen der zum Zuschauen verurteilten Frauen von der SS-Wachmannschaft mit Stangen und Stöcken erschlagen worden. Immer wieder hat meine Großmutter diesen mörderischen Ankunftstag, die Ohnmachts- und Schuldgefühle - sie hatte nicht helfen können - erzählen müssen. Unter den Mördern befand sich der SS-Aufseher Anton Malloth, der meiner Großmutter bei diesem Massaker - einem stundenlangen Gemetzel - als besonders eifrig aufgefallen war: der "schöne Toni", wie ihn die Gefangenen nannten.
Auf sein Konto geht ein weiteres, von meiner Großmutter bezeugtes Verbrechen: Mitten im Winter, beim Appell - Stehen der Frauen im Hof der Festung - erlaubte der "schöne Toni" sich ein besonderes Vergnügen: Mit dem vollen Strahl eines Wasserschlauchs zielte er auf jede einzelne der alten, halb verhungerten und kranken Frauen. Einige stürzten und konnten sich nicht mehr erheben. Sie sind auf dem Hof erfroren oder starben in den folgenden Tagen und Wochen an ihren Verletzungen oder den nachfolgenden Erkrankungen. Meine Großmutter kam in Einzel- und Dunkelhaft, weil sie versucht hatte, einigen Frauen aufzuhelfen und sich voller Verachtung bei dem Folterer "bedankt" hatte: Wenigstens ihr habe die "Behandlung" nicht geschadet, ihr Bluthochdruck sei nun endlich wieder normal. Sie wurde von ihm geschlagen und bekam Einzel- und Dunkelhaft. Verwunderlich, daß Malloth sie nicht erschlagen hat. Der "schöne Toni" hatte seinen Namen so erworben: Nach jedem sadistischen Schlag soll er sich mit einer unnachahmlich eitlen Geste erst ordnend durchs Haar gefahren sein, um anschließend lächelnd seine Uniform wieder glattzustreichen. Meine Großmutter hat mir diese Szene immer und immer wieder vorgeführt.
Sie hat als einzige Überlebende dieses Transports in Köln nach dem Krieg Anzeige erstattet und ihre Aussage zu dem Massaker und den anderen Verbrechen gemacht. Leider weiß ich nicht mehr bei wem oder wo. Sie hat auch versucht, sich der Namen der Frauen zu erinnern, die in der Zeit vom 18. 11. 44 bis 18. 4. 45 in der > "Kleinen Festung' "elend krepiert" sind. Ihr sind 24 Namen eingefallen. Die Namen der ermordeten Männer kannte sie nicht, da Männer und Frauen schon in Köln streng voneinander getrennt worden waren.
Einige von mir in der Wohnung meiner Tante vor wenigen Jahren gefundene Dokumente, von deren Existenz ich bis dahin nichts wußte, haben eine Rekonstruktion der Ereignisse, vor allem, was die genauen Daten der Deportation meiner Großmutter und also den Transport insgesamt betrifft, möglich gemacht.
Demnach ist meine Großmutter am 1. 10. 44 abends in der > "Kleinen Festung' angekommen, während die dortige Karteikarte (1994) die Anwesenheit meiner Großmutter erst zum 4. 10. 44 datiert. Die Postkarten, die meine Großmutter aus der Kleinen Festung schrieb, belegen die Angaben der Zellen, in denen sie sich befand (8, 30, 31) und die Anfangsbuchstaben der Wachleute, die die Post kontrollierten. Da die Gefangenen weder Uhren noch Kalender besaßen, sind nur ungefähre Daten oder keine angegeben. Jedoch sind die Poststempel zumeist lesbar.
Zusätzlich stieß ich in der Literatur auf Anmerkungen bei H. G. Adler, der verschiedentlich auf Transporte von Köln nach Theresienstadt eingeht und beklagt, die Liste sei sowohl "unklar wie unvollständig". Ferner: "Hier sei auch erwähnt, daß im Sommer 1944 auf Befehl des ´sonst keineswegs herzlosen´ Rahm ein Transport aus Köln, der aus 60 Frauen und einer unbekannten Anzahl von Männern bestand, ´zur schnelleren Liquidierung´ statt in die ´Mustersiedlung´ in die ´Kleine Festung' abgeschoben wurde. Unter diesen Armen, die schnell zugrunde gingen, war eine Frau von 92 Jahren." An anderer Stelle heißt es bei H. G. Adler, er habe erfahren: "Für den 1. 10. 44 wird ein Transport angegeben: ´300 Männer, die nach der Ankunft auf der Kleinen Festung Theresienstadt mit Stangen erschlagen wurden. 280 Frauen'."
Es kann kaum ein Zweifel bestehen, daß es sich trotz der unterschiedlichen Datierungen jeweils um denselben Transport handelt, mit dem meine Großmutter in der "Kleinen Festung' angekommen ist.
Auch im Museum Theresienstadt hat man die gleiche Vermutung wie Adler, daß die Wachmannschaft aus Ärger über die unerwartete Ankunft des Altentransports am Abend die männlichen Teilnehmer des Transports erschlagen habe.
Um genauere Daten habe ich mich jahrelang bemüht. Es gibt aus der fraglichen Zeit in den Kölner Archiven weder die Transportlisten zu unserer Deportation vom 21. 1. 43 von Köln nach Berlin, noch die Liste zum Transport meiner Großmutter vom 1. 10. 44 von Köln nach Theresienstadt. Diese Unterlagen sind im Krieg verbrannt oder vernichtet worden. Prof. Dr. Matzerath, Leiter des NS-Dokumentationszentrums in Köln, hat erst durch meine Dokumente die beiden Transporte realisieren können und mir daraufhin die oben erwähnte Namensliste gesandt, mit der Vorstellung, sie könne von meiner Großmutter sein. Auch sandte er mir aus dem Gestapo-Bestand die Kopie von drei Karteikarten, die meine Familie betrafen. Sie waren unter anderem von Kölner Bürgern nach dem Krieg auf der Straße gefunden worden.
Meine Großmutter starb 1955.
Als die Medien 88/89 über einen gewissen Anton Malloth berichteten, der von Italien nach München abgeschoben worden sei, wurde mir erst durch die Nennung des Beinamens "schöner Toni" und den Ort "Kleine Festung' Theresienstadt bewußt, daß dies der Mann war, dessen grauenhafte Taten mich seit meiner Kindheit begleiten und den zu finden ich mir nie hatte vorstellen können.
Ihm, der sich als hilfloser Greis im Prozeß zu zeigen beliebte, ist nach jahrzehntelanger Schonung durch die Ermittler aus Dortmund, im Prozeß in München jede erdenkliche Fairness widerfahren. Er hat weder Reue noch ein Wiedererkennen mit dem Mann gezeigt, der er gewesen ist. Er hat die Zeugen wie Luft behandelt und seine Menschenverachtung noch einmal unter Beweis gestellt.
Im Gefängnis gehegt und gepflegt wird er - verglichen mit seinen damaligen Opfern - einen geradezu paradiesischen Lebensabend genießen können. Auch ihm garantiert das Grundgesetz: "Die Würde des Menschen ist unantastbar". Die Geltung dieses Artikels würde ich jederzeit - selbst für Malloth - verteidigen. Zumindest haben seine Opfer durch das Urteil etwas von ihrer Würde zurück erhalten.
Im Gedenken an seine zahlreichen ungenannten Opfer wünsche ich dem verurteilten Täter eines: daß er sich irgendwann an jenes Massaker erinnert, an dem er so lustvoll teilgenommen hat, und daß ihn - wenn auch nur für einen Moment - die Vorstellung ergreifen möge, er - der Greis - sei nun unter jenen, die zu erschlagen er sich gerade mit seinen Komplizen angeschickt hat.