Kasztner, Rezsö (Rudolf)

(1906 – 1957)

Journalist, Jurist und zionistischer Politiker. Er war in der zionistischen Gewerkschaft aktiv, anfangs in seiner Heimatstadt Cluj und nach der Annexion Siebenbürgens durch Ungarn im Jahr 1940 in Budapest. Anfang 1943 wurde er stellvertretender Vorsitzender und de facto der führende Kopf beim Waad Haezra Wehazala Bebudapest, der zionistischen Bewegung unter Otto Komoly. Das Komitee hielt Kontakt zur slowakischen Pracovná Skupina mit Gisi Fleischmann und Rabbiner Michael Dov Weissmandel und über sie zu Polen, außerdem zu einer Gruppe von Geheimboten aus Palästina in Istanbul, darunter Haim Barlas, Menachem Bader und Venja Pomerantz.

Das Komitee war über den Mord an den Juden in Polen im Bilde und versuchte, Informationen darüber zu verbreiten, diesen wurde jedoch nicht geglaubt, trotz der Berichte polnisch-jüdischer Flüchtlinge, die nach 1942 in Ungarn eintrafen. 1943 half das Komitee, insbesondere Joel Brand, jüdische Flüchtlinge aus Polen und der Slowakei heimlich nach Ungarn zu holen. Trotz interner Meinungsverschiedenheiten versuchte das Komitee, Vorbereitungen für eine mögliche deutsche Besetzung zu treffen und beschäftigte sich sogar mit der Frage des bewaffneten Widerstands. Ein Widerstand in Ungarn erwies sich jedoch als illusorisch angesichts des latenten Antisemitismus der Bevölkerung, des Fehlens jeglichen Widerstandes gegen die Deutschen und der Tatsache, daß die meisten jungen Juden zum Arbeitsdienst unter der Kontrolle der ungarischen Armee gezwungen worden waren.

Als im März 1944 die Wehrmacht Ungarn besetzte, nahm das Komitee Kontakt zu einer Gruppe der SS auf, die für das Vernichtungsprogramm unter Adolf Eichmann verantwortlich war. Derartige Kontakte hatten in der Slowakei zu Freikauf-Verhandlungen geführt, nach Überzeugung der jüdischen Unterhändler Voraussetzung für die Rettung der noch lebenden slowakischen Juden und der Verhandlungen über den Europa-Plan. Kasztner sah in Verhandlungen mit den Deutschen den einzigen noch möglichen Weg zur Rettung der Juden in Ungarn.

Es wurden große Geldsummen an die SS gezahlt, und im Mai 1944 wurde Joel Brand nach Istanbul geschickt, um über die Freilassung einer großen Zahl von Juden im Austausch gegen Lastwagen und anderes Material zu verhandeln (Blut gegen Ware). Brand wurde von Andor Grósz begleitet, einem Vierfach-Agenten, der den Ungarn und den Deutschen diente.

Die Historiker sind sich in der Bewertung von Brands Vorschlag nicht einig, aber es gibt keinen Zweifel daran, daß er von Himmler selbst formuliert worden war. Als Brand von den Briten festgehalten wurde, nahmen seine Frau und Kasztner direkt Verhandlungen mit Eichmann auf. Ende Juni ging ein Zug mit 1.684 Juden, die von einem Ausschuss unter dem Vorsitz von Komoly und Kasztner ausgesucht worden waren, aus Ungarn ab – vorgeblich nach Spanien oder in die Schweiz. Der Zug fuhr jedoch ins Lager Bergen-Belsen, wo diese Juden interniert wurden.

Unter ihnen waren auch Kasztners Familie und Freunde aus Cluj, hauptsächlich bestand die Gruppe aber aus Vertretern aller politischen und religiösen Organisationen sowie wohlhabenden Leuten, die große Summen zur Unterstützung anderer Juden bezahlt hatten. Kasztner war überzeugt, daß dieser Zug das Ende des Mordprogramms einleiten würde und weitere Züge in die angebliche Freiheit folgen könnten.

Der 'Kasztner-Transport'

Im Juli 1944 bekam der SS-Offizier Kurt Becher von Himmler die Erlaubnis, mit Kasztner zu verhandeln. Bald darauf wurden die Brand–Verhandlungen mit dem Vertreter des Joint Distribution Committee in der Schweiz, Saly Mayer, nahe der Schweizer Grenze weitergeführt. Auf das erste Treffen am 21. August 1944 folgte Himmlers Befehl, von der Deportation der Juden aus Budapest abzusehen, und aus Bergen-Belsen wurden 318 Juden aus dem Kasztner-Zug in die Schweiz entlassen. Im Dezember des gleichen Jahres wurden die übrigen Internierten aus dem Zug in Sicherheit gebracht. Kasztner gelang es, Becher zur Intervention zugunsten der Budapester Juden zu bewegen. Becher scheint aufgrund verschiedener Motive so gehandelt zu haben, das Ergebnis war jedenfalls die wachsende Bereitschaft Himmlers zu lebensrettenden Gesten vor dem Hintergrund der drohenden deutschen Niederlage. Die jüdischen Unterhändler machten sich die deutsche Illusion von der Möglichkeit eines Separatfriedens mit dem Westen zunutze.

Nach dem Krieg unterstützte Kasztner in Nürnberg die Untersuchungsbeauftragten bei der Prozessvorbereitung gegen die NS-Verbrecher. Sein Zeugnis zugunsten Bechers bewahrte diesen vor weiteren Nachforschungen bezüglich seiner NS-Karriere. Kasztner sagte auch zugunsten anderer Nationalsozialisten aus , z.B. für den Obergruppenführer Hans Jüttner, Chef des SS-Führungshauptamtes, der – allerdings eine bedeutungslose Geste – den Todesmarsch aus Budapest vom November 1944 mißbilligt hatte.

1954 verklagte Kasztner Malkiel Grünwald, der ihn beschuldigt hatte, Verrat begangen und den Tod vieler Juden verursacht zu haben. Der Prozeß in Israel entwickelte sich zu einem Verfahren gegen Kasztner selbst. Grünwalds Anwalt erhob Vorwürfe gegen die Mapai-Partei, die Kasztner auf die Kandidatenliste für die Knesset-Wahlen gesetzt hatte. Der Richter fasste die Vorwürfe des Grünwald-Anwalts mit dem Vorwurf zusammen, Kasztner habe seine Seele dem Teufel verkauft. Das bezog sich sowohl auf die Verhandlungen mit der SS, als auch auf den Zug, denn Kasztner habe mit diesem Zug seine Verwandten und Freunde retten wollen und es dafür unterlassen, alle ungarischen Juden zu warnen. Der israelische Gerichtshof diskutierte noch über Kasztners Berufung, als dieser von nationalistischen Extremisten ermordet wurde. In einem anschließenden Urteil wurde Kasztner vom Obersten Gerichtshof allerdings von allen Beschuldigungen freigesprochen, bis auf die Beschuldigung, er habe Nazis geholfen, sich der juristischen Verfolgung zu entziehen.

Tatsächlich waren zu jener Zeit Verhandlungen mit den Deutschen die einzige Möglichkeit, Juden zu retten. Der Kasztnerzug hätte ebenso nach Auschwitz gehen können. Im Winter 1944/45, als Kasztner selbst schon sicher in der Schweiz war, kehrte er freiwillig zurück und fuhr mit Becher nach Berlin, um zu versuchen, jüdische Menschen aus den KZs zu retten. Möglicherweise trug seine Intervention entscheidend dazu bei, daß sich die Leitung des KZ Bergen-Belsen kampflos ergab, anstatt ein Blutbad anzurichten.

Kasztner-Besuch am 16. April 1945

Kasztner war der erste freie Jude, der das Siedlungsgebiet Theresienstadt besuchen durfte. Er kam durch Vermittlung des von Himmler zum Reichssonderkommissar für die KZs ernannten Becher nach Theresienstadt. Kasztner gab sich den Gefangenen auch als Jude zu erkennen. Er wurde von Krumey, dem Stellvertreter Eichmanns, Hauptsturmführer Hünsche und Kommandant Rahm durchs Ghetto geführt, befragte Murmelstein, fragte vergeblich nach Eppstein. Kasztner besuchte Küchen, Quartiere, das Gericht, Heime, die Feuerwehr. Dann sah sich Kasztner zusammen mit den SS-Leuten den von Gerron gedrehten Film an. Zum Schluß des Besuches übergibt Kasztner den von Himmler unterzeichneten Befehl zur kampflosen Übergabe des Lagers.

Quellen

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    413. Enzyklopädie des Holocaust Bd. II Piper, , München/Zürich 1998 , S. 741ff.

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