Hirsch, Alfred (Fredy)

11. Februar 1916 (Aachen) - 8. März 1944 (Auschwitz-Birkenau)

Fredy Hirsch wurde 1916 als zweiter Sohn des Lebensmittelgroßhändlers Heinrich Hirsch in Aachen geboren. In Aachen gab es eine größere jüdische Gemeinde (1933: 1.345 Mitglieder). Der Vater starb nach langer Krankheit bereits 1926. Die jüdischen Bürger Aachens waren integriert, Überlebende des Holocaust berichten von keinen Ausschreitungen vor 1933.

Fredy und sein älterer Bruder Paul organisierten sich früh in der jüdischen Pfadfinderbewegung (JPD), in der sich die Ideale der Pfadfinderbewegung mit zionistischen Ideen mischten. Mutproben, Übungen in Selbstverteidigung, lange Märsche, Geländespiele gehörten zu ihrem Programm. Die jungen Männer bereiteten sich auf die Reise nach Palästina und die Arbeit in den Kibbuzim vor. Fredy wurde sehr bald Leiter einer Gruppe im JPD. Über die ersten Schuljahre Fredys gibt es keine Angaben, aber ab 1926 besuchte er die Aachener Hindenburgschule, die sich besonders auf naturwissenschaftliche Fächer konzentrierte. Es war eine Oberrealschule, die er 15jährig, im Jahre 1931 mit einem Abschluß beendete. Er war ein mittelmäßiger Schüler, der einmal „ausgezeichnet“ aber mehrfach „genügend“ auf seinem Zeugnis aufweisen konnte.

Nach dem Machtantritt Hitlers begannen die Schwierigkeiten. Bruder Paul war inzwischen in der Leitung der jüdischen Jugend Aachens. In einem Aufruf wies er darauf hin, daß nur für wenige Auswanderungsmöglichkeiten vorhanden wären, die meisten müßten in ihrer deutschen Heimat um die Überlebensmöglichkeiten kämpfen.

Nach 1933 fiel die Familie Hirsch auseinander. Paul besuchte das jüdisch-theologische Seminar in Breslau und ging später als Reformrabbiner nach Bolivien. Fredy wollte nicht mit ihm gehen.

Fredy Hirsch zog 1933 nach Düsseldorf, wo er Leiter des JPD wurde. 1934 ging er nach Frankfurt/Main, wo er eine Gruppe von 15 Mädchen und Jungen führte. Aus dieser Zeit stammt die erste Erwähnung seiner Homosexualität. Es kann sein, daß dies einer der Gründe dafür war, daß sich Fredy entschloß, Deutschland zu verlassen und als 19jähriger nach Prag zu gehen. Er war ein ausgesprochen gutaussehender, sportlicher junger Mann, der in Deutschland zweifach in Lebensgefahr war, wegen seines Judentums und wegen seiner Homosexualität.

Ab dem 25. November 1935 war Fredy Hirsch in Prag gemeldet. Er schloß sich dem Makkabi Hatzair an und wurde bald zu einem Madrich (Leiter). Er arbeitete als Trainer und organisierte „Makkabiaden“, große jüdische Sportfeste, die vom olympischen Gedanken ausgingen. Eine solche von ihm organisierte Makkabiade fand 1936 in Žilina (Slokwakei) statt.

Nach kurzem Aufenthalt in Prag zog Fredy nach Mähren (Mährisch-Ostrau), wobei er immer Schwierigkeiten hatte, seinen Aufenthalt in der CSR zu legitimieren. 1936 gibt er noch die deutsche Staatsangehörigkeit an, im Dezember 1939 wird er bei den Behörden als Staatenloser geführt.

In Brünn, wo er ebenfalls für den Makkabi arbeitete, wurde er wahrscheinlich von der Jüdischen Gemeinde bezahlt. Er trainierte mit den jüdischen Jugendgruppen, führte Sommerlager durch, wobei er von überlebenden Teilnehmern als diszipliniert, sportlich, fordernd beschrieben wird, als jemand, der von den Jugendlichen ein Höchstmaß an Leistung verlangte. Fredy war in dieser Zeit auch aktives Mitglied im Hechaluz, einer zionistischen Jugendorganisation, deren Ziel die Förderung der Auswanderung nach Palästina war. Er hätte selbst die Möglichkeit zur Auswanderung gehabt, nutzte sie aber nicht.

Nach dem Einmarsch der Deutschen leitete Fredy Hirsch eine Gruppe von 12-14 jährigen Jungen in Prag. Der Verein hieß „Havlagah“, was auf deutsch „Zurückhaltung“ bedeutet. Diese Jungen besuchten die Alija-Schule in Prag und sollten über Dänemark nach Israel auswandern. Nicht allen gelang es. Hier kam Fredy wohl auch erstmal in Kontakt zu Egon Redlich, dem späteren Leiter der Jugendfürsorge in Theresienstadt. Redlich war damals Leiter des Makkabi Hatzair in Prag. Es ist nicht klar, ob Hirsch damals schon wußte, daß es bei der Frage der Auswanderung der Kinder nach Palästina um Leben und Tod ging.

Die jüdische Bevölkerung des Protektorats war sehr schnell allen Beschränkungen ausgesetzt, mit denen es die deutschen Juden seit 1933 im steigenden Maße zu tun hatten. Nur daß der Prozeß der Beschränkung und Einengung in einem viel schnelleren Tempo vor sich ging. Dies traf natürlich auch die jüdischen Kinder, die keine Parks, Kino, Freizeitstätten, Sportanlagen usw. mehr besuchen durften. Bereits im Oktober 1938 waren jüdische Mitglieder aus dem tschechischen Turnverein SOKOL ausgeschlossen worden. Nun mußte die jüdische Gemeinde sich dieser Beschränkungen annehmen, Kinder durch „wandernde“ Lehrer unterrichten lassen usw.. Eine besondere Bedeutung hatte der im Stadtteil Strašnice gelegene Spielplatz Hagibor, der zum Betätigungsfeld für Fredy Hirsch wurde.

Hier trafen sich die Kinder unter der Leitung von Fredy, der sehr großen Wert auf freiwillige Disziplin, physische Tüchtigkeit und Kollektivgeist legte. Er fand großen Anklang unter den Kindern, obwohl er meist deutsch und nur schlecht Tschechisch sprach. In der damals noch herausgegebenen (zensierten) jüdischen Zeitung „Židovské listy“ erschienen unter dem Namen Fredy Hirsch Anfang 1940 verschiedene Artikel, in dem er sich mit Auswanderungsfragen beschäftigte. In dieser Zeit schloß Hirsch Freundschaft mit Heinz Prossnitz, der später nach Theresienstadt und Auschwitz deportiert wurde.

Die Verbote und Einschränkungen für Juden nahmen zu. Am 4. Oktober 1941 rief einer der Leiter der jüdischen Bewegung in Prag, Jakub Edelstein, Vertreter der zionistischen Jugendbewegung zusammen, um sie zu Aspekten einer Massenevakuierung zu befragen. Unter ihnen waren Fredy Hirsch sowie Egon Redlich. Bei einer weiteren Besprechung wurde von den Jugendorganisationen eine Transporthilfe organisiert, die von Fredy Hirsch geleitet wurde. Hirsch wußte von bevorstehenden Transporten nach Łódź. Inzwischen lebte er zusammen mit Egon Redlich und anderen Jugendfunktionären in Prag II.

Inzwischen hatte das Reichssicherheitshauptamt (RSHA) die Errichtung des Ghettos Theresienstadt beschlossen. Am 19. November 1941 informierte SS-Obersturmbannführer Siegfried Seidl die Repräsentanten der jüdischen Kultusgemeinde, daß am 24. November 1941 ein Transport junger Männer (das sogenannte Aufbaukommando) nach Theresienstadt gesandt werden müsse, um dort die Errichtung des Ghettos vorzubereiten. Genau 324 Männer wurden an diesem Tag als „Aufbaukommando 1“ nach Theresienstadt geschickt. Unter ihnen war Josef Bor. Mit dem „Aufbaukommando 2“ folgten weitere 1.000 Männer. Am 4. Dezember 1941 kamen 24 Mitarbeiter der Jüdischen Gemeinde Prag als der sogenannte „Stab“ nach Theresienstadt. Ihre Aufgabe war es, die organisatorische Struktur des Ghettos aufzubauen. Unter ihnen waren Egon Redlich und Fredy Hirsch. Noch war nichts organisiert, als der erste Transport ganzer Familien am 30.11. in Theresienstadt eintraf, weitere folgten bereits im Januar. Doch am 9. und am 15. Januar 1942 wurden bereits die ersten Transporte aus dem gerade entstandenen Ghetto in den Osten, nach Riga, verschickt.

Redlich berichtet in seinem regelmäßig geschriebenen und größtenteils erhaltenen Tagebuch darüber. Er hatte viel mit Hirsch zu tun. Im Juli 1942 kamen Transporte aus Aachen und Fredy Hirsch traf Bekannte wieder.

In den ersten Monaten konnten die Ghettobewohner die Häuser und Kasernen nicht verlassen, da die tschechische Zivilbevölkerung noch nicht ausgezogen war. Männer und Frauen waren getrennt untergebracht, Kinder oftmals von ihren Eltern getrennt. Nach und nach entstand so etwas wie eine Jugendfürsorge, wurden Kinder erst in Zimmern, später in Heimen zusammengefaßt und betreut. Zum Leiter wurde Egon Redlich bestimmt, seine Vertreter waren Fredy Hirsch und Bedřich Prager. Fredy Hirsch sollte eine so große Rolle spielen, daß sich die Kinder unter der Jugendfürsorge hauptsächlich ihn vorstellten. Da sich Fredy Zugang zur sogenannten „Schleuse“ verschafft hatte, war sein Gesicht das erste, was die mit den Transporten ankommenden Kinder sahen. Hirsch spielte eine Rolle in der Reklamierungskommission. Er konnte Kinder, die auf die Transportlisten gesetzt waren, aus dem Transport herausnehmen und wie es scheint, nutzte er diese umstrittene Methode mehrfach. Umstritten war dies (z. B. mit > Redlich) deswegen, weil der Herausgenommene durch einen anderen ersetzt werden mußte.

Die Kinderheime kamen aufgrund der Initiative des Ältestenrates zustande. Man wollte den Kindern die Härte der überfüllten Ghettounterkünfte ersparen. Die Jungen zwischen 10–15 Jahren wurden so in der ehemaligen Schule, dem Knabenheim L 417, zusammengefaßt. Die Betreuer versuchten, die Jungen zu einem Kollektiv zusammenzuschweißen. Zwei Jahre lang erschien die oftmals handgeschriebene und nur in einem Exemplar vorhandene Zeitschrift „Vedem“, die auch erhalten geblieben ist. Fredy tauchte als Vertreter der Jugendfürsorge hier oft auf. Seine Besuche waren gefürchtet, denn sein Hang zur Ordnung wurde von den Kindern oftmals als eine der Qualen von Theresienstadt bezeichnet. Fredys Homosexualität war scheinbar auch unter den Kindern oftmals Thema. Er suchte die Nähe der Jungen, es hat jedoch nie eine Annäherung gegeben, die über das Kameradschaftliche hinausging. Es ist unklar, welche Rolle Hirsch in den ideologischen Auseinandersetzungen spielte, die es unter den Betreuern der Kinder natürlich auch gab. Im Jahresbericht des Heimes L 417 von Juli 1943 schreibt Fredy Hirsch in einem vierseitigen Beitrag u. a.: „Wir erlebten, daß in den letzten anderthalb Jahren Begriffe, die sonst als unantastbar in der menschlichen Gemeinschaft galten, eine Umwertung erfuhren, die viele von uns nicht verstehen können. Früher war so jede Antastung des Eigentums anderer mit unrechtmäßigen Mitteln Diebstahl. Heute wird es mit dem Begriff „Schleusen“ zu einer empfehlenswerten Tat, die die Tüchtigkeit des einzelnen kennzeichnet. Früher galt das Gesetz, daß der Starke den Schwachen zu schützen hat. Heute glaubt jeder, daß er ohne die Benutzung seiner Ellenbogen seinen Lebensraum nicht erhält.“

Viele Zeit und Mühe investierte Hirsch in die Organisation des sportlichen Lebens in Theresienstadt. Es gelang ihm, auf dem Wall hinter der Jägerkaserne Platz für einen Sportplatz zu bekommen. Der wurde reichlich genutzt. 22 Mannschaften nahmen hier an der Theresienstädter Makkabiade teil. 2.000 Jugendliche traten am 24. Mai 1943 bei dieser Makkabiade vor Fredy Hirsch an. Hirsch spielte den Kindern jedoch auch auf der Flöte vor, machte sie mit dem deutschen Liedgut bekannt. Er übte Schattenspiele ein, fertigte mit den Kindern Puppen an. Er muß mit Irma Lauscherová zusammen gearbeitet haben.

Im Sommer 1944 kamen etwa 1.200 Kinder aus Bialystok nach Terezín. Sie spielten irgendeine geheimnisvolle Rolle in den Plänen der SS. Sie wurden isoliert untergebracht und es war bei Todesstrafe verboten, Kontakt zu ihnen aufzunehmen. Fredy Hirsch versuchte es dennoch und wurde dabei erwischt. Er wurde in den am 6. September 1943 nach Auschwitz-Birkenau gehenden Transport (als Nummer 4) hineingesteckt. Der Transport kam in das gerade errichtete Theresienstädter Familienlager in Auschwitz-Birkenau. Nur wenig später wurden die Bialystoker Kinder (zusammen mit ihren Betreuern) nach Auschwitz deportiert und ohne Selektion vergast.

Im September 1943 wurden zwei Transporte aus Theresienstadt (DI und Dm) mit insgesamt 5.007 Menschen nach Auschwitz-Birkenau deportiert und dort im Sektor BIIb zwischen dem Quarantänelager für Männer und dem Lager für Ungarinnen untergebracht. So entstand das „Theresienstädter Familienlager“. Männer und Frauen lebten in getrennten Blocks voneinander, konnten einander aber sehen. Nach wie vor ist unklar, warum die SS das Lager einrichtete. Auch hier spielte wohl die SS-Propaganda eine Rolle.

Im Dezember 1943 kam ein weiterer Transport aus Theresienstadt in das Familienlager.

In diesem Transport war auch Dagmar Lieblová mit ihrer Mutter.

Unter den 5.007 Gefangenen der ersten beiden Transporte waren 274 Kinder unter 15 Jahren. Unklar ist weiterhin die Entstehung des Kinderblocks, der mit Wissen der SS eingerichtet und unterhalten wurde.

Die Kindern schliefen nachts bei ihren Eltern und wurden morgens von den Erziehern abgeholt. Fredy Hirsch, der seinen Posten als Lagerkapo aufgab und Leiter des Kinderblocks wurde, bestand auch in Auschwitz auf Disziplin und strenger Hygiene. In Sauberkeit und guter körperlicher Konstitution sah Hirsch die einzige Möglichkeit zum Überleben. Diese Hygiene und eine etwas bessere Verpflegung trugen dazu bei, daß die Kinder des Blocks 31 nicht starben. Die Kinder waren vom Appell befreit, sie wurden in kleinen Einheiten unterrichtet, zum Zeichnen und Theaterspielen angehalten. Nicht selten wurden die Theaterstücke dann im Beisein der SS aufgeführt. Der Kinderblock unterstand Mengele, der den Block öfters besuchte und sich hier seine Zwillinge holte, mit denen er medizinische Versuche anstellte.

Hirsch, der oftmals auch mit Mengele verhandelte und immer wieder versuchte, so viel wie möglich für die Kinder herauszuholen, befand sich in einer schwierigen Situation. Er fühlte sich für alle verantwortlich, auch für die 500 Kinder, die nach dem Dezembertransport in den Kinderblock kamen. Er war 28 Jahre alt und bekam bereits graue Haare. Das Kriegsende schien näher zu rücken, jeder Tag war kostbar. Als ein Junge (der später beim Schlafen auf einer Pritsche gefunden wurde) beim Appell fehlte, wurde er in die Kommandantur bestellt und blutig geschlagen.

Er hatte schon eine Sonderstellung inne und gewiß war es seine Art, die den Nazis imponierte. Er war immer sauber gekleidet, trug geputzte Stiefel, trat sportlich auf. Hana Fischel schrieb über sein Auftreten: „Man hat Fredy Hirsch gebraucht. Man hat seine Fehler gekannt und man wußte, daß, auch wenn sein Benehmen manchmal herablassend war, er nur unser Bestes wollte, und man hat ihm seine kleinen Eitelkeiten und Eigentümlichkeiten verziehen, weil man gesehen hat, daß das, was er dadurch erreicht, viel wichtiger ist, seine persönlichen Schwächen spielten dabei keine Rolle.“

Als im Februar 1944 Eichmann das Familienlager besuchte, ließ er sich gerade von Fredy Hirsch über die dortigen Verhältnisse berichten. Jeder Fehler konnte sich verhängnisvoll für den ganzen Kinderblock auswirken. Es gab Gerüchte, daß Hirsch im Auftrag der Deutschen einen Bericht geschrieben haben soll, der die Situation in Auschwitz geschönt darstellt und in die Schweiz geschickt wurde. In den Archiven fehlt jedoch jede Spur davon. Hirsch hatte beträchtlichen Einfluß. Die Zahl der Betreuer wurde zwar von der SS bestimmt, aber er hatte Einfluß darauf, wer einen solchen Posten, der mit Vergünstigungen verbunden war, bekam.

Ende Februar, als die sechsmonatige Quarantäne des Septembertransportes zu Ende ging, kursierten Gerüchte im Familienlager. Informationen besagten, daß sie alle ins Gas sollten. Die SS versuchte unter den Häftlingen den Eindruck zu erwecken, als sollten sie zum Arbeiten nach Heidebrück fahren. Es wurden Postkarten verteilt. Sie sollten schreiben, daß es ihnen gut gehe und um ein Päckchen bitten.

Allerdings sollten sie auf den Karten ein falsches Datum angeben, den 25. August.

Hirsch, der aktiv nicht in der Widerstandsbewegung gearbeitet haben wird, erhielt trotzdem durch sie Informationen und wußte, was den Angehörigen des Septembertransportes bevorstand. Es gibt Informationen, daß an einen Aufstand gedacht war, sich die Häftlinge des Sonderkommandos in den Krematorien darauf vorbereitet hatten und es gibt Informationen, die besagen, daß man in Fredy Hirsch den Leiter dieses Aufstandes sehen wollte. Hirsch war vor eine schwere Entscheidung gestellt und er entschied sich wohl dafür, nichts zu tun, weil er durch einen Aufstand das Leben aller gefährdet hätte. Am 7. März sollten die Arbeitskommandos nicht ausrücken und alle Häftlinge in den Lagern bleiben.

Gegen mittag hatte noch eine Besprechung stattgefunden, an der Hirsch teilnahm. Er bat sich eine Bedenkzeit aus. Als man ihn eine Stunde später fand, war er bewußtlos, er hatte eine Überdosis von Schlaftabletten genommen.

Ebenfalls gegen Mittag gingen SS-Leute durch den Block und riefen die Namen von Personen auf. Diese konnten zurück ins Familienlager gehen.

Angeblich war Fredy Hirschs Name auch auf der Liste. Etwa 70 Personen aus dem Septembertransport überlebten die Nacht vom 8./9. März 1944, 38 von ihnen erlebten die Befreiung. In der Nacht wurde das Quarantänelager von SS umstellt, die Häftlinge auf LKWs geladen und zu den Gaskammern gefahren. Vereinzelt sollen Häftlinge dabei Widerstand geleistet haben. Sie wurden erschlagen. 3.792 Menschen wurden in dieser Nacht ermordet, größtenteils tschechische Juden. Hirsch wurde angeblich bewußtlos in die Gaskammer getragen.

Durch das Ghetto Theresienstadt gingen etwa 10.000 Kinder. Für die meisten war es eine Durchgangsstation. Im letzten Kriegswinter blieben hier, in relativer Sicherheit, 1.086 von ihnen. Alle anderen wurden nach Osten verschickt. Endstation war meistens Auschwitz-Birkenau. Kinder, die jünger als 14 waren, hatten bei der Selektion keine Chance. Die Überlebenden kann man an den Fingern einer Hand abzählen, von den älteren kehrten nach dem Krieg knapp 150 zurück. Fredy Hirsch hatte jeden zu retten versucht. An ihn erinnert heute eine bescheidene Gedenktafel im Garten des ehemaligen Heim L 417 in Theresienstadt.

Zuzana Ruzicková, die als Mädchen im Kinderblock war, sagte bei der Enthüllung: „Wir Juden haben keine Heiligen. Wir haben jedoch die Zaddikimdie Gerechten – oder könnte man vielleicht übersetzen – die Anständigen. Fredy Hirsch war ein Mensch, er hatte seine Fehler, er war kein Heiliger. Er war jedoch ein Gerechter – ein Zaddik. Und so wollen wir hoffen, daß, wenn der Letzte von uns, die wir ihn kannten, dahingegangen ist, künftige Generationen stehenbleiben vor dieser Tafel und sagen: Dies muß ein guter, ein tapferer Mensch gewesen sein.“

Quellen

  • 399
    399. vergl.Lucie Ondřichová , Fredy Hirsch Hartung Gorre Verlag, , Konstanz 2000

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