1906 – 1979
Josef Bor wurde 1906 als Kind einer tschechisch-jüdischen Familie in Moravská Ostrava (Mährisch-Ostrau) geboren. Wie sein Vater studierte er Jura, engagierte sich früh gesellschaftspolitisch. Mutig und unerschrocken verteidigte er 1932 die streikenden Bergarbeiter des mährischen Kohlereviers. Nach dem Abschluß des Münchener Abkommens und der Besetzung des sogenannten Sudetengaues durch die Deutsche Wehrmacht protestierte er in dem tschechisch-jüdischen Blatt „ ROZVOY“ gegen die Verfolgung der Sinti und Roma, die von den deutschen Faschisten wie die Juden als "minderwertige Rasse" angesehen und in die Konzentrationslager deportiert wurden.
Bor erlebte im Frühjahr 1939 den Einmarsch der deutschen Truppen in Prag und die schnell einsetzende Verfolgung der jüdischen Bevölkerung. Er sah, wie sie aus dem öffentlichen Leben verdrängt wurden, ihre Arbeitsplätze und Wohnungen verloren, schließlich in die Lager verschleppt wurden. Auch die Familie Bor war betroffen.
Im Juni 1942, zur Zeit der grausamen Repressalien wegen des Attentates auf den „Stellvertretenden Reichsprotektor“ Reinhard Heydrich, wurden er und seine Familie mit einem sogenannten Aufbaukommando in das neu geschaffene Ghetto Theresienstadt, 60 Km nördlich von Prag, deportiert. Die Schwester Bors und ihre zwei kleinen Kinder wurden sofort weiter nach Osten deportiert und in Chelmo/Polen ermordet. Der siebzigjährige Vater starb im Ghetto Theresienstadt. Bors Mutter, seine Frau und seine beiden kleinen Kinder, wurden im Oktober 1944 zusammen mit ihm nach Auschwitz deportiert und sofort nach ihrer Ankunft in die Gaskammer geschickt. Josef Bor mußte in einer nahegelegenen Fabrik der IG-Farben in Monowitz Schwerstarbeit verrichten. Er wurde, wie er in dem autobiographischen Roman „Die verlassene Puppe“ beschreibt, zur Nummer, zu der Nummer, die er eintätowiert sein ganzes Leben lang am Handgelenk trug. Nach der Auflösung des Lagers im Januar 1945 - die Front kam immer näher - , nahm er an einem der Todesmärsche in Richtung Westen teil. Buchenwald war die nächste Station. In der Nähe von Jena wurde er zusammen mit anderen Leidensgenossen von amerikanischen Truppen befreit.
Er kehrte in die Heimat zurück und fand in Prag ein neues Zuhause. Er heiratete erneut. Wie er, hatte auch seine neue Lebensgefährtin die Hölle von Auschwitz überlebt. Sie bekamen einen Sohn und eine Tochter. In den ersten Jahren nach dem Krieg war er im tschechoslowakischen Verteidigungsministerium unter dem späteren Präsidenten Josef Svoboda tätig. Wie Svoboda wurde auch er 1948 aus allen Funktionen entlassen. Es folgten schwere Jahre, in denen sich die KPC einem "Selbstreinigungsprozeß" unterzog. Und wieder waren es vor allem Juden, die sich in den Schauprozessen verantworten mußten. Bor war in den fünfziger Jahren mit der Projektierung von Hüttenwerken beschäftigt und als Anwalt und Rechtsberater großer Industriebetriebe tätig.
Seine erste Arbeit als Schriftsteller, der autobiographische Roman „Die verlassene Puppe“, erschien erstmals 1961 und wurde von den Lesern und Kritikern hochgeschätzt. In ihm schildert Bor seine Kindheit in Kutná Hora und sein Leben in Auschwitz. Das Buch erschien 1964 erstmals in deutscher Sprache.
Mit der nachfolgenden Novelle „Theresienstädter Requiem“ trat Josef Bor 1963 an die Öffentlichkeit und leistete damit einen hervorragenden Beitrag zum Verdi-Jahr, studiert doch der Held der Novelle, der jüdisch-tschechische Dirigent Rafael Schächter, im Ghetto Verdis großes musikalisches Werk mit dem mittelalterlichen lateinischen Text ein. Mit der Einstudierung und Aufführung dieses Werkes will er sich und alle entrechteten und gequälten Menschen aufrichten und mit ihnen die leidenschaftliche Forderung erheben „Libare me!“. Nicht Verzweiflung, sondern der Ruf nach Gerechtigkeit und Freiheit übertönt alles: „Freiheit für uns!“