Vedem

siehe auch Rim Rim Rim Kamarad

Aufgrund einer Initiative des Erziehers Walter Eisinger hatten die Knaben des Heimes Nr. 1 (L 417) die nach einer Petersburger Schule genannte Republik „Schkid“ gegründet. In dieser Schule (während der Revolutionszeit in Petersburg) hatte es auch Zeitungen gegeben und auch diese Idee griffen die Knaben des Heimes Nr. 1 auf. Sie waren die ersten und wollten vorn sein, also nannten sie ihre Zeitschrift VEDEM, auf deutsch: „Wir führen“.

Diese Zeitschrift war ausschließlich die Sache der Jungen. Ihre Lehrer schrieben nur hie und da Beiträge. Jeden Freitagabend setzten sie sich zusammen und jeder, der in dieser Woche etwas geschrieben hatte, stand auf und las seinen Beitrag vor.

Die Zeitschrift wurde jeweils nur in einem Exemplar aufgelegt und wanderte von einem Leser zum anderen. Die erste Nummer ist mit dem 18. Dezember 1942 datiert, die letzte erschien wahrscheinlich am 30. Juli 1944. Insgesamt – mit den Abbildungen – liegen 800 Seiten Text vor, von denen die ersten 190 in Maschinenschrift, die übrigen in Handschrift auf DIN-A-4-Blättern geschrieben sind. Es war jedes Exemplar also ein Original und ein Unikat, und selbstverständlich war es vor den deutschen Bewachern zu verstecken. Die meisten Exemplare der Zeitschrift VEDEM sind in einem guten Zustand erhalten geblieben und werden im Archiv der Gedenkstätte Theresienstadt aufbewahrt.

Auch in anderen Heimen im Ghetto Theresienstadt sind solche Zeitschriften entstanden (z.B. Rim Rim Rim), allerdings keine vom Umfang und so langer Erscheinungsdauer wie VEDEM.

 

Die Zeitschrift "Vedem" in Theresienstadt bei Radio Prag:

[06-12-2003] Autor: Katrin Bock

Hans Krása"Erschöpfte Menschen ziehen durch die Strasse
die Kinder sind ganz bleich
sie tragen schwere Rucksäcke
der Transport nach Polen fährt gleich.
Es fahren die Alten
Es fahren die Jungen
Es fahren die Kranken
Es fahren die Gesunden
Werden sie überleben?
Das Gedicht des 14jährigen Zdeněk Weinberger ist eines von zahlreichen, die in der Zeitschrift "Vedem" zwischen Dezember 1942 und Sommer 1944 erschienen. Jiří Brady kam im Mai 1942 als 14jähriger in das Ghetto, auch er wohnte im Heim 1: "Ich hatte das Glück, dass wir in der ehemaligen Schule wohnten, in den Klassenräumen. In unserer Klasse waren wir 42 Jungen. Wir hatten das Glück, dass unser Leiter Valtr Eisinger war. Prof. Eisinger sagte, dass wir Jungs unsere eigene Selbstverwaltung aufbauen sollten, wir sollten entscheiden, wer was machen soll. Wir haben beschlossen, eine eigene Republik zu gründen. Wir haben unseren Präsidenten gewählt, wir haben entschieden, wer für das Essen sorgen muss, wer aufräumen muss, wer sich um die Kranken kümmert.' Valtr EisingerJiří Brady"Die Zeitschrift wurde handschriftlich verfasst, d.h. zuerst auf einer alten Schreibmaschine, bis das Farbband nicht mehr ging. Die Zeitschrift erschien einmal in der Woche, zwei Jahre lang. Insgesamt waren dies 800 Seiten, 100 Jungen haben das Zimmer bewohnt, immer wieder wurden welche in den Osten geschickt, immer wieder kamen neue.' "Wenn ich einen roten oder weißen Zettel mit dem Buchstaben M oder J erhalte, nehme ich Handtuch, Seife, Waschlappen und begebe mich ins Hohenelbe-Zentralbad. Dort stelle ich mich in den Haufen von Männern oder Jungen, die warten, bis sich die Tür öffnet. ... Das Zentralbad hat zwei Duschräume und ein Bassin, in das man nur selten kommt. In dem Raum bedient ein Junge den Wasserhahn: er dreht ihn zweimal in Intervallen von sieben Minuten auf. In der Pause dazwischen seift man sich ein.' Leitender Kopf der Zeitschrift war der aus Prag stammende, 14jährige Petr Ginz. Er sorgte dafür, dass sich alle Jungs an der Zeitung beteiligten und Texte verfassten. Petr Ginz illustrierte seine Texte selbst. Eines seiner Bilder erlangte 60 Jahre nach seiner Entstehung Weltruhm: der erste israelische Astronaut Ilan Ramon, dessen Weltraummission Anfang dieses Jahres so tragisch endete, nahm Petr Ginz Bild "Mondlandschaft" mit in das All. "Ich habe nur sehr wenig geschrieben, weil ich gearbeitet habe. Aber die anderen Jungen hatten wirklich mehr Begabung. Einer von ihnen war > Petr Ginz, dessen Bild in den Weltraum ging. Mit > Petr Ginz habe ich über zwei Jahre zusammengewohnt, mit ihm kam ich auch nach Auschwitz. Er ging damals in die eine Richtung, ich in die andere. Ich hatte keine Ahnung, dass die anderen direkt ins Gas gingen.' (Jiří Brady)

Die Zeitschrift überlebte im Gegensatz zu den meisten ihrer Verfasser den Krieg - von den rund 100 Jungen, die die geheime Republik Schkid zwischen 1942 und 1944 bewohnten, überlebten nur 15 den Holocaust. Auch Valtr Eisinger, der es geschafft hatte, den Jungen ein Gefühl von Zuhause zu geben, und sie durch seinen Enthusiasmus zu ungeahnten Leistungen angespornt hatte, kam um - wahrscheinlich während eines der Todesmärsche. Jiří Brady kehrte nach Kriegsende nach Prag zurück:

"Nur einer von den 100 Jungs blieb die ganze Zeit in Theresienstadt. Sein Vater war Schmied und kümmerte sich um die Pferde der SS-Leute und so konnte Zdeněk Taussig die Zeitschrift in der Schmiede verstecken und so hat sie überlebt. Nach dem Krieg emigrierte Taussig 1946 in die USA. Die Zeitschrift übergab er mir. Ich habe sie nicht als etwas Besonderes oder als historisches Dokument betrachtet und in einer Schuhschachtel zuhause aufbewahrt. Als ich 1949 emigrierte habe ich sie Kurt Kotouč gegeben. Der entschied, daraus ein Buch zu machen. Aber die Kommunisten haben verboten, so ein Buch herauszugeben, weil es angeblich antikommunistische, zionistische Propaganda war, was natürlich Unsinn war. So erschien das Buch zunächst illegal im Samizdat.'Krematorium"Die Zentralleichenkammer befindet sich fast an der Grenze von Theresienstadt. Sie ist tief in den Schanzen untergebracht. Ihr Eingang sieht wie ein Höllentor aus. Jeden Augenblick kommt knarrend ein Gefährt mit einer Leiche angefahren und dahinter weiß gekleidete Träger. In den Sackgassen der Korridore sind Brettersärge gestapelt. Manche sind voll, zum Abtransport vorbereitet, andere sind leer.'Hanuš Hachenburg"Was bin ich?
Zu welchem Volk gehöre ich?
Ich, auf ziellosen Irrwegen ein Kind.
Ist meine Heimat der Ghettowall
Oder ist sie das Land mit den Knospen so lind,
vorwärts stürmend, lieblich und klein -
Will Böhmen, will die Welt meine Heimat sein?
Ich stehe hier mit meiner Seele ein und sage:
Bin ein Mensch dieser Welt, nun vorwärts denn!'

Quelle: http://www.radio.cz/de/artikel/48233

Quellen

  • 1010
    1010. Křížková/Kotouč/Ornest (Hg.) , Ist meine Heimat der Ghettowall? Gedichte, Prosa und Zeichnungen der Kinder von Theresienstadt Dausien-Verlag, , Hanau 1995

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