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Pollak, Helga

Helga Pollak wurde als einziges Kind von Otto und Frieda Pollak am 28. Mai 1930 in Wien geboren. Sie hatte eine behütete Kindheit. Ihr Vater war Besitzer des „Palmhofes“, eines großen Konzertcaféhauses. In einer großen Etagenwohnung des gleichen Hauses war sie herangewachsen. Otto Pollak, der aus Kyjov/Gaya stammte, war 1916 nach Wien übergesiedelt und als Feldkanonier im 1. Weltkrieg so schwer verwundet worden, daß ihm ein Bein amputiert werden mußte. Er war Kriegsinvalide, ausgezeichnet mit der "Silbernen Tapferkeitsmedaille 1. und 2. Klasse“, ein Umstand, der ihm später das Leben retten sollte. 1919 eröffnete er mit seinem Bruder zusammen den Palmhof, der sehr bald bekannt wurde und Künstler wie Richard Tauber, Hans Moser und Fritz Imhof anzog. Konzerte aus dem Palmhof wurden im österreichischen Rundfunk übertragen. Otto Pollak hatte Gelegenheit, das Land frühzeitig zu verlassen. Er tat es nicht. Bereits 1934 wurde der Palmhof im Zusammenhang mit dem Putsch der österreichischen Nazis und der Ermordung des Regierungschefs Engelbert Dollfuß Zielscheibe terroristischer Aktionen der Nazis. Zwei Bombenanschläge wurden gegen das Caféhaus verübt. Die Lage spitzte sich immer mehr zu. 1938 trennte sich Otto Pollak im gütlichen Einvernehmen von seiner 14 Jahre jüngeren Frau Frieda. Helga bekam im Radio mit, wie der Bundeskanzler Schuschnigg am 11. März abdankte. Am nächsten Tag marschierten deutsche Truppen durch Wien. Aus vielen Fenstern hingen Hakenkreuzfahnen. Überall in Österreich und vor allem in Wien kam es zu antijüdischen Maßnahmen und Exzessen, die noch schlimmer waren als die im Reich. Am 20. Mai 1938 traten die Nürnberger Rassegesetze in Österreich in Kraft. Die Sommerferien verbrachte Helga bei Verwandten in Kyjov in der CSR. Die Eltern entschlossen sich, Helga in der CSR zu lassen. Sie sollte in Brünn die deutsche Schule besuchen. Da sie sich jedoch allein und verlassen fühlte, wurde sie zu den Verwandten nach Kyjov gebracht, wo sie nun die tschechische Schule besuchte. Dann wurde das Sudetenland besetzt und die deutschen Truppen stand nahe Kyjov. Ein halbes Jahr später marschierten sie auch in die Resttschechei ein. Ihre Mutter war inzwischen nach England emigriert und auch Helga sollte im Rahmen einer Aktion des Hechaluz mit einem Kindertransport nach England gehen. Der Ausbruch des Krieges am 1. September verhinderte dies. Dann wurden alle Juden aus den öffentlichen Schulen ausgeschlossen und Helga mußte erneut nach Brünn in eine jüdische Schule. 1941, inzwischen galt für alle Juden im Protektorat ein Reiseverbot, fuhr sie wiederum zu ihren Verwandten nach Kyjov.

Das Caféhaus ihres Vater in Wien war inzwischen arisiert worden. Seine Wohnung hatte er samt dem wertvollen Mobiliar aufgeben und in eine andere ziehen müssen. Während des Novemberprogroms wurden 42 jüdische Synagogen und Bethäuser zerstört, zahllose jüdische Geschäfte wurden geplündert und zerstört, 6.547 Juden wurden verhaftet, 3.700 landeten im KZ Dachau, viele wurden ermordet. Diese Ereignisse lösten eine Massenflucht aus. Mehr als hunderttausend Juden verließen das Land. Erste Deportationen fanden statt, so im Oktober 1939, als 1.584 jüdische Männer aus Wien in das polnische Gebiet von Nisko am San verschickt wurden. Im September 1941 konnte Otto Pollak die Übersiedlung nach Kyjov erwirken. Unter beengten Verhältnisse lebten Helga und ihr Vater fortan bei den Verwandten, alle immer mehr eingeschränkt durch die auch im Protektorat geltenden Judengesetze. Im Januar 1943 schließlich wurde sie gemeinsam mit ihrem Vater über Ungarisch-Brod nach Theresienstadt =>deportiert, wo sie am 23. Januar 1943 ankamen. Helga hat inzwischen begonnen Tagebuch zu schreiben und wird dieses Tagebuch während der gesamten Ghettozeit fortsetzen.

Nach der =>„Schleuse“ wird sie von ihrem Vater getrennt. Sie bekommt ein Quartier im =>Mädchenheim L 410 zugewiesen, kommt in das Zimmer 28. In ihrem Tagebuch beschreibt Helga das Leben der Mädchen im Zimmer 28, ihre Freuden, ihre Streitereien, ihre Wettbewerbe. Sie registriert, was um sie herum vorgeht, den Hunger, die Not, Krankheit und =>Transport, das kulturelle Leben, die Bedeutung, die =>„Brundibár“ für die Kinder hatte, den Spaß am heimlichen Unterricht, die =>Verschönerungsaktion und den Besuch des =>Internationalen Roten Kreuzes. Sie notiert die Übungsstunden des Chores von =>Rafael Schächter, der im Keller des Kinderheimes das Requiem von Verdi einstudiert und die Ankunft der =>Kinder aus Bialystok. Sie beschreibt die Ängste bei der großen Zählung im =>Bohusovicer Kessel, Freundschaften mit den Jungen des benachbarten Jungenheimes und wie sich das Zimmer 28 aufgrund der in den Osten abgehenden =>Transporte leerte. Helga erkrankte an Enzephalitis, wurde gesund. Immer wieder neue =>Transporte, Freundinnen, die nach Auschwitz =>deportiert werden. Aufregung, als die Dreharbeiten zu =>Gerrons =>Film begannen, hunderte von Statisten gesucht wurden, Wanzenplage, Freude über Geburtstagsgeschenke. Im September 1944 beobachtete sie wie andere voller Hoffnung die Schwärme alliierter Bomber, die inzwischen von Italien aus ins Reich einflogen.

Am 23. Oktober 1944 verließ auch Helga Theresienstadt mit einem =>Transport nach Auschwitz. Helga hatte Glück. Sie blieb nur wenige Tage in Auschwitz und wurde bei der Selektion einer Gruppe von Frauen zugeteilt, die für Zwangsarbeit vorgesehen waren. Sie wurden nach Oederan in Sachsen =>deportiert, wo sie in einer Chemiefabrik arbeiten mußten. Ende April wurde sie mit einem dieser =>Elendstransporte wieder zurück nach Theresienstadt =>deportiert, wo sie ihren Vater wieder traf. Gemeinsam erlebten sie in Theresienstadt die =>Befreiung.

Aus der Quarantäne entlassen, fuhr sie mit einer Cousine und ihrem Vater zurück nach Kyjov. Hier standen sie der schrecklichen Tatsache gegenüber, daß fast ihre gesamte Familie ermordet worden war, 63 Personen würden nicht mehr zurückkehren. 1946 übersiedelte Helga zu ihrer Mutter nach London. Dort machte sie das Abitur und besuchte das College. 1951 heiratete sie einen aus Ostpreußen stammenden Emigranten, der sich vor den Nazis nach Bangkok gerettet und sich dort eine neue Existenz aufgebaut hatte. Sie lebte mit ihm zusammen zunächst in Bangkok, dann in Addis Abeba. Sie bekam zwei Kinder, mit denen sie 1957 zusammen mit ihrem Mann nach Wien zurückkehrte. Sie wollte ihrer taubstumm geborenen Tochter eine gute Ausbildung zukommen lassen.

Die amerikanische Filmemacherin und Holocaustüberlebende Susan Justman drehte zwei Filme über Helga Pollaks Leben : „Terezín Diary“ (1989) und „Voices of the Children“ (1997). Helga Pollak lebt heute in Wien. Einmal im Jahr treffen sich die überlebenden Mädchen aus dem Zimmer 28 des Mädchenheimes L 410 im Riesengebirge. Quelle: 649)