Steiner, Jiří

Am 20. Mai 1929 wurden die Zwillinge Jiří und Zdeněk Steiner in Prag geboren. Ihr Vater Pavel betrieb in Prag einen Textilgroßhandel. Stoffe wurden eingekauft und im ganzen Land verkauft. Zu den Geschäftspartnern des Vaters gehörten auch deutsche Geschäftsleute. 1935 wurden die Zwillinge eingeschult. Als Kinder bekamen sie die Aufregung mit, die Hitlers im Radio übertragene Reden bei ihren Eltern auslösten.

Noch bevor die Wehrmacht am 1. Oktober 1938 das sogenannte Sudetenland besetzte, flohen viele. Als die Deutschen am 15. März 1939 in Prag einmarschierten, lebten 31.000 Juden in der Stadt. Hinzu kamen Tausende von Geflüchteten aus Deutschland und den Sudetenland. Die Familie unterlag schnell den von den Deutschen im Rahmen der Judenverfolgung ergriffenen Maßnahmen. Sie verloren ihre Geschäfte, ihre Arbeit, durften nur zu bestimmten Zeiten in bestimmten Geschäften bestimmte Waren einkaufen, durften keine Tram mehr benutzen, die Parkanlagen nicht betreten usw.. Die Zwillinge konnten nicht mehr zur Schule gehen und wurden heimlich zusammen mit anderen Kindern daheim unterrichtet.

1941 wurde die Familie Steiner aus ihrer Wohnung vertrieben.

Schon wenige Monate nach dem Einmarsch der Deutschen waren Transporte Prager Juden in den Osten verschickt worden (z.B. Lublin, 26. Oktober 1939).

Die Zwillinge machten sich dreimal in der Woche auf den Weg zum vier km entfernten Hagibor-Sportfeld. Bis sechs Uhr abends wurden hier im Sommer Programme für Kinder angeboten. Für die Kinder, die nicht mehr ins Theater, zu Sportveranstaltungen usw. durften, war dies eine besondere Abwechslung. Einer der Organisatoren dieser Hagiborprogramme war Fredy Hirsch.

Die Zwillinge Jiří und Zdeněk waren 13, als sie im Dezember 1942 von Prag aus nach Theresienstadt deportiert wurden. Die beiden Jungen landeten mit dem Vater in der Sudetenkaserne, während die Mutter in die Hamburger Kaserne kam. Jiří erkrankte bald nach der Ankunft an Durchfall und einer schweren Lungenentzündung, dann wurden die Zwillinge vom Vater getrennt, kamen in eines der Kinderheime (Hannover-Kaserne). Obwohl der Unterricht verboten war und es so gut wie keine Lehrmaterialien gab, wurden die Jungen in fast allen Fächern heimlich unterrichtet. Der Vater arbeitete in der Kanzlei, die Mutter in einem Textilgeschäft. Die Zwillinge nahmen an Theateraufführungen und Konzerten teil, die auf den Dachböden stattfanden oder an von Fredy Hirsch organisierten Turnfesten.

Dann hieß es plötzlich, die Steiners kämen in einen Transport nach Mähren. Am 5. September 1943 wurden sie in Viehwaggons verladen, immer 60–70 Personen in einen Waggon. Nach drei Tagen hielt der Zug auf einem Bahnhof. Die Türen wurden aufgerissen und die Gefangenen von SS-Leuten brutal aus den Waggons geprügelt. Sie waren in Auschwitz. Sie mussten sich in Gruppen aufstellen, das Gepäck in den Waggons zurücklassen. Sie mussten in Fünferreihen antreten und wurden von der SS mit Stockschlägen in das 3 km entfernte Birkenau getrieben. In der ersten Nacht mussten sie auf nassem Beton schlafen, wurden plötzlich geweckt. Alle wurden registriert und tätowiert, ihre Köpfe wurden kahlgeschoren und sie bekamen Häftlingskleidung, nur ihre Schuhe durften sie behalten. Pavel Steiner bekam die Nummer 147741, Zdeněk die Nummer 147742 und Jiří 147743 eintätowiert. Die Nummer der Mutter ist nicht bekannt. Die Steiners kamen in das neu installierte Theresienstädter Familienlager. Zunächst durften die kleinen Jungen bei ihren Vätern, die Mädchen bei ihren Müttern bleiben, später wurde dank Fredy Hirsch ein Kinderblock eingerichtet. Jiří Steiner berichtet, daß es hier besseres Essen und keine Appelle gab. Es wurden Spiele gespielt, heimlich Unterricht abgehalten, Theaterstücke einstudiert und bei den Aufführungen waren nicht selten die SS-Bewacher unter den Zuschauern.

Die Kinder bekamen trotz ihrer „idyllischen Insel“ durchaus mit, was in Auschwitz geschah. Sie sahen die Kamine der Krematorien rauchen und Häftlinge in den elektrischen Zäunen sterben. Im März 1944 wurden die Häftlinge ihres Transportes aus dem Familienlager in das Quarantänelager überstellt. Man munkelte, es gehe auf Transport, andere wiederum behaupteten, der Transport würde liquidiert. Dann wurde vom Rapportführer eine Liste mit Namen verlesen. Auch Jiří Steiner und sein Bruder gehörten zu denen, deren Namen aufgerufen wurden. Die Zwillinge wurden zusammen mit etwa 70 anderen Personen in den Krankenbau des Familienlagers gebracht und mussten hier die Nacht verbringen.

In dieser Nacht wurden alle anderen Mitglieder des Septembertransportes in den Gaskammern von Birkenau vergast. Ihr Beschützer, Fredy Hirsch, hatte am Abend zuvor Selbstmord begangen. Jiří und Zdeněk waren wie viele andere Zwillinge von Dr. Mengele reklamiert worden. In den folgenden Monaten wurden die Häftlinge von Mengele und anderen (Häftlings-) Ärzten immer wieder untersucht, gewogen, gemessen usw.. An etwa 150 Zwillingspaaren führte Mengele diese Untersuchungen durch. Die Mädchen waren im Frauenlager, die Jungen im Krankenrevier untergebracht, wo sie mit Kleinwüchsigen zusammenlebten, die von Mengele ebenfalls untersucht wurden. Die Zwillinge ahnten bereits, daß sie ihre Eltern nie wiedersehen würden und bekamen Gewissheit durch den Angehörigen eines in den Krematorien arbeitenden Häftlinge des Sonderkommandos. Die Zwillinge bekamen mit, wie am 2. August 1944 das "Zigeunerlager" geräumt wurde und 2.897 Sinti und Roma in die Gaskammern geschickt wurden.

Wenig später entgingen die Zwillinge nur knapp dem Tod in der Gaskammer, weil sie in Abwesenheit Mengeles selektiert wurden. Dann näherte sich die Rote Armee, das Lager wurde aufgelöst. Die SS flüchtete, erschoß im Lager zurückgebliebene Häftlinge und Kranke und trieb die anderen zu Todesmärschen zusammen. Jiří und Zdeněk gelang es, sich im Stammlager bei anderen Tschechen zu verstecken, bis sie am 27. Januar den ersten Rotarmisten auf der Lagerstraße sahen.

Jiří war damals 15 Jahre alt, war 130 cm groß und wog 28 kg.

Auf Lastwagen wurden sie Anfang März 1945 nach Spisska Nová Ves in die Slowakei gebracht, kamen für kurze Zeit in die Obhut einer jüdischen Familie und wurden dann in ein Soldatenkinderheim in die Hohe Tatra gebracht. Im August wurde das Heim nach Prag verlegt. Beide hatten große Probleme, sich den neuen Umständen anzupassen. Kurzzeitig lebten sie bei einer Tante, dann trennten sie sich. Jiří begann eine Ausbildung in der chemischen Industrie in Litvinow, Zdeněk eine Ausbildung in einem Textilbetrieb in AS. 1947 kam Zdeněk bei einem Autounfall ums Leben. Später arbeitete Jiří, der zweimal verheiratet war, Kinder und Enkelkinder hat, als Redakteur einer Jugendzeitschrift. Ab 1970 war er dann als Öffentlichkeitsreferent der Staatlichen Tschechoslowakischen Versicherung tätig.

Nur einmal, im März 1966 kehrte Jiří nach Auschwitz zurück und gedachte all der Opfer, vor allem aber der Angehörigen seiner Familie. Von den 18 dazugehörigen Personen überlebten nur drei.

Quellen

  • 1102
    1102. Alwin Meyer , Die Kinder von Auschwitz Lamuv-Verlag, , Göttingen 1995 , S. 96ff.

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