Produktionsstätten im Theresienstädter Ghetto

Die Produktionsabteilung war eine Unterabteilung der Wirtschaftsabteilung der „Jüdischen Selbstverwaltung“ des Ghettos Theresienstadt. Leiter dieser Abteilung war bis zur Befreiung Dr. Ing. Rudolf Freiberger.

Die Produktionstätigkeit dieser Abteilung teilte sich in zwei Gruppen auf, die sich durch ihre Zweckmäßigkeit unterschieden: Die Gruppe 1 befasste sich mit der Produktion für den inneren Bedarf des Ghettos, Gruppe 2 mit der Produktion für den Gebrauch außerhalb des Ghettos (für Privatunternehmen und für militärische Dienststellen in Nazideutschland).

Nach Rudolf Freiberger gehörten folgende Produktionsstätten zur Produktionsabteilung:

Nach Freiberger betrug die höchste Anzahl von Arbeitskräften in der Produktionsabteilung 4.000. Er kann jedoch nicht sagen, zu welchem Zeitpunkt diese Zahl erreicht wurde. Er geht davon aus, daß zwischen dem 30. September 1942 und dem 30. September 1943 durchschnittlich 27.666 Personen im Alter zwischen 16 und 65 in Theresienstadt lebten. Wenn 4.000 von ihnen in der Produktion tätig waren, stellten diese 14,5 Prozent der oben angegebenen Bevölkerungsgruppe dar.

Betriebe für den Eigenbedarf des Ghettos

Werkstätten für die Metallverarbeitung

Die Werkstätten für Metallverarbeitung befanden sich auf dem ehemaligen Bauhof am Leitmeritzer Tor, einem ehemaligen Militärobjekt. Hier befanden sich Werkstätten für Bau- und Maschinenschlosserei. Zu ihren Aufgaben gehörte die Instandsetzung des Maschinenparks, die Erzeugung von Ersatzteilen, Werkzeugen usw.. Hier befand sich ebenfalls eine LKW-Reparaturwerkstatt.

Holzverarbeitende Betriebe

Es gab eine relativ kleine Zimmereiwerkstatt und eine verhältnismäßig große Tischlerei in der ehemaligen Militärreitschule. Hier wurden Zehntausende der im Ghetto üblichen Stockbetten hergestellt (meist 2-3 stöckig), Tische, Stühle, Hocker für das Jugendheim, Krankenhaus, Betriebe usw., Regale und Bauteile. Das Holzlager befand sich in unmittelbarer Nähe der Werkstätten in der Reithalle.

Montage von Holzkonstruktionen

Montiert wurden Bauteile, die entweder in der Tischlerei hergestellt oder von außen zugeliefert wurden. In dieser Werkstatt wurden auch Regale für verschiedene Produktionsstätten hergestellt.

Die Bäckerei

Die Bäckerei befand sich im Block A IV gegenüber der > Hannover-Kaserne in den Gebäuden der alten Heeresbäckerei. Sie war ursprünglich für die Garnison der Stadt bestimmt gewesen und als die Bevölkerung des Ghettos sprunghaft anstieg, reichte ihre Kapazität nicht mehr aus. Es mussten weitere Maschinen und ein Backofen beschafft werden. Eine geringe Anzahl von Fachleuten lernte ungelernte Arbeitskräfte an. Es gelang dann die Herstellung von 16.000 Kg Brot pro Tag. Zwischen dem 31. Juli 1942 und dem 30. Juli 1943 erreichte die Zahl der Ghettoinsassen ihren Höhepunkt. Der Mittelwert betrug 46.900 bei einer Spanne, die von 43.400 bis 53.300 reichte. Bei einem mittleren Durchschnitt war die Bäckerei imstande, 360 g Brot pro Person an einem Tag zu backen. Beim höchsten Stand der Einwohnerzahl, d.h. ungefähr 58.000 Personen, waren es 276 g pro Person und Tag. Zu den größten Problemen in der Bäckerei gehörte es, die Materialverluste so gering wie möglich zu halten. Ein chemisches Labor kontrollierte systematisch die Erzeugnisse, um den ausgewiesenen Mehlverbrauch mit dem aufgrund von Analysen festgestellten Mehlverbrauch zu vergleichen.

Die Wäscherei

Die Wäscherei, die in den Gebäuden der alten Mühle an der Egerbrücke untergebracht war, diente früher dem Militär und war für die hygienischen Verhältnisse im Ghetto ebenso wichtig wie die Bäckerei für die Ernährung. Die technische Ausrüstung der Wäscherei war gut, reichte jedoch mit der Kapazität von ca. 23.000 Kg Wäsche pro Monat nicht aus. Ergänzende Einrichtungen wurden installiert, die zum Teil im Ghetto selbst hergestellt und projektiert wurden wie z.B. 2 Trockenräume, eine Büglerei, die Sortierung und die Expedition. Durch diese Maßnahmen gelang es, die Kapazität auf 90.000 Kg pro Monat zu erhöhen.

Das bedeutet, daß zum Zeitpunkt der höchsten Einwohnerzahl des Ghettos (siehe Bäckerei) die Wäscherei imstande war, 1,92 Kg Wäsche pro Kopf und Monat zu bewältigen, beim absoluten Höchststand der Einwohnerzahl des Ghettos mit 58.000 Personen, waren es 1,55 Kg pro Monat und Person. Da das Objekt der Wäscherei außerhalb der Ghettomauern an der Eger lag, wurden die dort Beschäftigten auf ihrem Weg zur Arbeit durch tschechische Gendarmen begleitet.

Die Reparaturwerkstätte für Schuhe und Kleidung

In diesen Werkstätten waren 800 Arbeiter beschäftigt. Zu den Reparaturen kam später auch eine Erzeugung von Konfektion und Schuhen aus altem Material. Zeitweilig wurde hier auch Verbandszeug und Scharpie (faseriges Baumwoll- oder leinenmaterial, Vorläufer der heutigen Verbandswatte) für die Krankenhäuser hergestellt.

Die Annahmestelle

Die Annahmestelle übernahm Schmutzwäsche, Kleidung und Schuhe zum Reparieren, gab die gewaschene Wäsche aus, die ausgebesserte Kleidung und die reparierten Schuhe. Bewilligungsscheine für diese Dienstleitungen wurden von der Produktionsabteilung herausgegeben, und zwar gemäß den Kontingenten, die von der Jüdischen Ghettoverwaltung festgelegt wurden. In der Regel wurden die Bewilligungsscheine an einzelne Insassengruppen gegeben. So erhielt z.B. die Arbeitszentrale Bewilligungsscheine für die Arbeitenden, die Jugendfürsorge für die Jugendheime usw..

Neben der Zentralwäscherei gab es noch ein Netz kleinerer Waschküchen und Reparaturwerkstätten in den Wohnhäusern, die der Abteilung für innere Verwaltung unterstanden.

Die Kartoffeldarre

Die Kartoffeldarre entstand Anfang des Jahres 1945. Die Proviantur hatte für die fachgerechte Lagerung von Kartoffeln keine ausreichenden Lagerräume. Die bisherigen Maßnahmen und Kontrollen, die das Verfaulen der Kartoffeln verhindern sollten, schienen nicht ausreichend gewesen zu sein. Deswegen richtete die Produktionsabteilung eine Trockenvorrichtung für Kartoffeln – eine Darre – ein. Dadurch wurden 20 bis 30 Tonnen Kartoffeln vor dem Verfaulen bewahrt. Diese Kartoffeln wurden dann über die normale Zuteilung hinaus freigegeben. Auch wurde eine Konversion von Brotmehl bewilligt, so daß die Extrazuteilungen von Brot an Schwerarbeiter erhalten bleiben konnte, selbst in einer Zeit, da außerordentliche Schwierigkeiten in der Versorgung eintraten.

Die Seifenersatzproduktion

Die Seifenersatzproduktion befand sich in einer kleinen von einem hochqualifizierten Chemiker geleiteten Werkstatt. In einer Zeit des akuten Seifenmangels war diese Produktion von großem Wert.

Erzeugung orthopädischer Behelfe und Bandagen. Augenoptik und Uhrmacherwerkstatt

Diese kleinen Werkstätten waren in der Regel in ehemaligen Ladengeschäften untergebracht und erwiesen sich als besonders nützlich.

Produktion für Kunden außerhalb des Ghettos

Die vom Lagerkommandanten Seidl Ende 1941 oder Anfang 1942 angeordnete groß angelegte Konfektionserzeugung im Ghetto wurde nicht verwirklicht. Nachdem eine große Anzahl von Nähmaschinen angeliefert und in der Sudetenkaserne aufgestellt wurden, entschied eine Inspektion, an der auch Eichmann teilnahm, daß das Projekt fallen gelassen werden solle. Freiberger vermutet, daß die Aufgabe dieses Projektes etwas zu tun haben könnte mit der Funktion Theresienstadt`s als Durchgangslager und der zu diesem Zeitpunkt beginnenden Osttransporte.

Erzeugung von kunstgewerblichen Gegenständen, Galanterie und Kartonagen

Das Material zur Herstellung dieser Waren wurde von privaten Firmen geliefert. Diese Firmen stellten auch die für die Herstellung benötigten Maschinen. Freiberger meint, da die Lagerkommandantur und auch die Mitarbeiter der Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Prag ein materielles Interesse hatten, denn anders ließe es sich wohl nicht erklären, daß der deutsche Unternehmer, für den diese Werkstatt arbeitete, eine jüdische Frau hatte, deren nahe Verwandte in der Werkstatt arbeiteten. Das in LKWs angelieferte Material bot Gelegenheit, Briefe, Lebensmittelpakete und Rauchwaren zu schmuggeln. Erst nach geraumer Zeit wurde die Tätigkeit der Werkstätten begrenzt, Freiberger vermutet Zwistigkeiten unter den SS-Leuten als Grund.

Die Kartonagenproduktion arbeitete auch für den Eigenbedarf des Ghettos. Hier wurden die Kartons für die Urnen hergestellt.

Holzsohlenproduktion

Die Erzeugung von Holzsohlen befand sich in einer Ecke der Reitschule, deren größte Fläche die Tischlerei einnahm. Die Holzsohlen wurden maschinell hergestellt und waren wohl für Gefangenenlager bestimmt. Der Umfang der Erzeugung war eher gering.

Die Kistenproduktion

Die Kistenproduktion, allgemein bekannt unter der Bezeichnung K-Produktion, hatte die Aufgabe, Verpackungskisten für Werkzeuge zur Reparatur von Lastwagen herzustellen. Abnehmer war die deutsche Wehrmachtsverwaltung, der Umfang der Bestellung betrug 120.000 Kisten. Während der Entstehung des Projektes, der Installation des Betriebes und des eigentlichen Arbeitsvorganges, war in Theresienstadt ein Beauftragter der Wehrmachtsverwaltung zugegen, ein Wehrmachtsoffizier Neumann (Rang unbekannt). In Neumanns Gegenwart erließ Lagerkommandant Seidl Ende April 1943 den Befehl zur Errichtung der K-Produktion.

Auf dem zentralen Platz in Theresienstadt wurden auf Befehl Seidls Circuszelte errichtet, ein Förderband auf Rollen installiert, ein Kistenlager, Materiallager und Expeditionslager errichtet. Die Installierung sollte bis zum 18. Mai 1943 fertig sein, 2.000 Kisten nach Neumanns Befehl pro Tag hergestellt werden.

Der Auftrag sollte am 20. Juli 1943 abgewickelt werden. Diese Frist konnte aus verschiedenen Gründen, vor allem aber wegen der schleppenden Materiallieferungen nicht eingehalten werden. Die K-Produktion schien für die Wehrmachtsverwaltung von besonderem Interesse zu sein, da mehrfach hohe Offiziere (darunter ein General) die Anlagen besichtigten. Fehlendes Material führte zu Arbeitszeitverkürzungen (von zehn auf acht oder weniger Stunden täglich) und zum zeitweiligen Stillstand. Neumann ordnete an, daß Material als Reserve gehalten werden solle, um in Falle einer Inspektion das Herstellungsband vorführen zu können. Der Auftrag wurde erst im September 1943 erfüllt.

Reparaturwerkstatt für Uniformen

Die Werkstätten wurden unregelmäßig mit Lieferungen versorgt. Abnehmer der reparierten Uniformen war das Heeresbekleidungsamt in München. Die Uniformen wurden waggonweise mit der Bahn verschickt. Zeitweilig wurden Uniformen mit weißer Farbe bespritzt, um Tarnanzüge zu bekommen.

Freiberger berichtet, daß eine schriftliche Beschwerde des Heeresbekleidungsamtes wegen kaputter Uniformen in den Lieferungen von der Kommandantur zurückgewiesen worden sei, wohl auch, weil sie sich nicht dem Vorwurf der Sabotage habe aussetzen wollen.

Glimmerproduktion

Von September 1944 an wurde von ca. 1.300 Ghettoinsassen (hauptsächlich Frauen) Glimmer für die Reichsstelle für elektrotechnische Erzeugnisse (RETE) gespalten. Es war der größte kriegswichtige Auftrag für das Ghetto.

Die Blockerei

In der Glimmerblockerei wurde aus Rohmaterial ein Halbprodukt hergestellt.

Sie wurde ursprünglich in Prag betrieben. Die Belegschaft bestand aus den jüdischen Partnern nicht geschiedener Mischehen. Diese „arisch versippten“ Personen wurden im Februar 1945 nach Theresienstadt deportiert und die Blockerei danach nach Theresienstadt verlegt. Das in der Blockerei durch grobes Spalten entstandene Halbprodukt wurde sortiert und aufgrund von Messung und Durchsieben vom Abfall befreit. Im Prager Betrieb hatte die Arbeitszeit neun Stunden betragen. Die Abteilung für Kalibrierung arbeitete in drei Schichten. In Theresienstadt wurde die Nachtschicht gestrichen, die Arbeitszeit auf acht Stunden heruntergesetzt (15. März 1945). In der Blockerei arbeiteten u.a. auch ein Ingenieur und zwei Verwaltungskräfte.

Zeitweilig wurden in dieser Werkstatt Säckchen mit Tintenpulver gefüllt. Dafür wurden vorwiegend ältere Frauen eingesetzt.

Quellen

  • 662
    662. Rudolf Freiberger , Zur Geschichte der Produktionsstätten im Theresienstädter Ghetto , in: Theresienstädter Studien- und Dokumente 1994 Academia-Verlag, , Prag , S. 90ff.

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