Glimmerverarbeitung

Dagmar Lieblová, Josef Bor und andere Häftlinge erzählten, daß Häftlinge im Ghetto auch in der Glimmerverarbeitung haben arbeiten müssen.

Glimmer gehört zu einer Gruppe gesteinsbildender, blättriger Mineralien von auffälligem Glanz und vollkommener Spaltbarkeit. Chemisch: Aluminiumsilicate wie z.B. das grüne und chromhaltige Fuchsit.

Aufgrund der leichten Spaltbarkeit entlang der Schichtebenen läßt sich Glimmer in dünne transparente Scheiben aufspalten, die aufgrund des hohen Schmelzpunktes des Minerals in industriellen Schmelzöfen als Glasersatz zum Einsatz kommen. Daneben werden die Minerale als elektrische und als Wärmeisolatoren genutzt.

Die Glimmerspaltung im Ghetto Theresienstadt

Im September 1944 begann man in Theresienstadt aufgrund eines Befehls des Lagerkommandanten Rahm von Juni 1944 mit der Spaltung von Glimmer.

Der Beginn der Arbeiten, der ursprünglich auf den 1. Juli festgesetzt worden war, verzögerte sich um zwei Monate, da der erste Waggon mit Rohmaterial erst am 5. September in Theresienstadt ankam.

Das Rohmaterial kaufte die „Dienststelle“ (Kommandantur) zunächst bei der Rohstoffhandelsgesellschaft, Berlin, Glimmerspalterei G.m.b.H. Tabor (ROGOS). Später wurde das Rohmaterial von der Firma Possehl, Erz- und Chemikalienhandel G.m.b.H., Hamburg bezogen. Die Firma Possehl schien doppelt verdient zu haben, denn sie lieferte einmal das Rohmaterial für die Grobspaltung des Glimmers an die Blockerei und lieferte dann das dort gefertigte Halbprodukt an die Glimmerspalterei. Abnehmer des Endproduktes war die Reichsstelle für Elektrotechnische Erzeugnisse, kurz RETE genannt.

Am 28. Juli hatte die RETE bereits den Rohstoffpreis und den erwarteten Ertrag bekanntgegeben, die Preise für das Endprodukt am 30. August. Der Leiter der Zentralstelle für die Regelung der Judenfrage im Protektorat Böhmen und Mähren, SS-Sturmbannführer Hans Günther, hatte bereits angeordnet, daß die Regiekosten für die Glimmerspalterei durch Einkünfte gedeckt sein müßten.

Die Jüdische Verwaltung des Ghettos mißtraute den Angaben der RETE, sie rechnete damit, daß minderwertiges Rohmaterial nicht den gewünschten Ertrag liefern und sich dieses auf die Arbeitsbedingungen der in der Glimmerspalterei arbeitenden Frauen negativ auswirken würde. Sie drängte die „Dienststelle“, das Rohmaterial prüfen zu lassen. Ein im Auftrag der „Dienststelle“ durchgeführter Test ergab tatsächlich, daß das Rohmaterial nicht dem angekündigten Standard entsprach.

„Erzeugung von 243,8 Kg gespaltenen Glimmers aus Rohstoff der Klasse IIIc.... Verlust 45,9 % anstatt des zugelassenen Gewinns von 10,8 % aus eigenen Kosten.“

„Erzeugung von 348,6 Kg gespaltenen Glimmers aus Rohstoff der Klasse IV u. V. Verlust 55,3 % anstatt des zugelassenen Gewinns von 9,9 % aus eigenen Kosten.“

Bereits am 14. September 1944 wurde die Rohmateriallieferung reklamiert. Weitere Reklamationen folgten. Eine Inspektion, an der ein Vertreter der Firma RETE und ein höherer SS-Offizier (Obersturmbannführer Rittershausen) teilnahm, bestätigte die Reklamationen.

Obwohl Rahm anfangs einen Dreischichtbetrieb vorgeschrieben hatte, pendelte sich ein Zweischichtbetrieb mit einer achtstündigen Arbeitszeit ein.

Die von Rahm und besonders von Hans Günther geforderte Produktionssteigerung von 20,6 Gramm pro Arbeiterin und Stunde wurde bis zum 23. Oktober 1944 nicht erreicht, obwohl der mit der Oberaufsicht im Spaltereibetrieb von Rahm beauftragte SS-Hauptscharführer Kurt Ulbricht die Arbeiterinnen zu höheren Leistungen antrieb. Die Glimmerproduktion stieg, aber sie stieg nicht in dem von der SS gewünschten Ausmaß:

Entwicklung der Glimmerproduktion von September 1944 bis März 1945

Ursprünglich waren 800 Frauen für die Arbeit in der Glimmerspaltung vorgesehen, für die man die Südbaracken Nr. 1 und Nr. 3 ausgesucht hatte.

Die Zahl der dort arbeitenden Frauen stieg jedoch bald auf 1.300, von denen 1.170 in der Produktion tätig waren.

Am 4. Januar 1945 wurden 4.000 Kg gespaltenen Glimmers an die Firma RETE ausgeliefert. Dabei blieb es. Der Umfang des Auftrages belief sich auf 35.000 Kg. Davon wurden vom 1. September 1944 bis zum 31. März 1945 14.000 Kg erzeugt (40 % des Auftragvolumens). Etwa 10.000 Kg Glimmer blieben bis zur Befreiung in Theresienstadt. Eine Vernichtung dieser 10.000 Kg gespaltenen Glimmers und einer großen Menge von Rohmaterial konnte verhindert werden und lagerte bei der Befreiung im Ghetto.

Im Februar 1945 wurde die Blockerei (die Grobspaltung von Glimmer) von Prag nach Theresienstadt verlegt. Das durch die Grobspaltung erzeugte Halbprodukt wurde dann in die Glimmerspalterei gegeben.

Die Ansicht Rudolf Freibergers, daß durch die Verlangsamung des Arbeitsprozesses in der Glimmerspalterei Personen vor der Deportation gerettet wurden, kann durch die historische Forschung (siehe Editoren der Theresienstädter Studien und Dokumente) nicht bestätigt werden.

Quellen

  • 256
    256. Recherche Jürgen Winkel
  • 380
    380. Bertelsmann Lexikon , Band 8 , Stuttgart 1994 , S. 3698.

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