Schächter, Raphael

Schächter wurde im Jahre 1905 in Braila/Rumänien geboren. Seit 1919 lebte er jedoch in Brünn, wo er am Konservatorium Klavier und Komposition studierte.

Später zog er nach Prag, besuchte dort die Meisterschule und schloß sein Klavierstudium ab. Bei Pavel Dědeček absolvierte er eine Dirigentenausbildung. 1934 kam er ans Theater von E. F. Burian, von 1937 an leitete er die Kammerspiele.

Am 30. November 1941 wurde er nach Theresienstadt deportiert (Transportnummer H/128).

In Ghetto gründete er einen Chor und studierte z.B. „Die verkaufte Braut“ von Smetana ein, darüber hinaus tschechische und Mozartopern. Bei vielen musikalischen Veranstaltungen wirkte er als Klavierbegleiter mit. Er organisierte und studierte viele musikalische Werke ein, u. a. das Requiem von Verdi. Schächter wurde am 16. Oktober 1944 unter der Nummer 943 nach Auschwitz deportiert. Bei der Evakuierung des KZs Auschwitz kam Schächter bei einem der Todesmärsche ums Leben.

Milan Kuna schreibt:

„ Die erste Oper, die demonstrativ andeutete, wie auf kulturellem Gebiet zu verfahren sei, war Prodaná nevěsta (Die verkaufte Braut) von Smetana. Rafael Schächter (...), ein künstlerisch und organisatorisch überaus befähigter Dirigent, hatte sie einstudiert. Im Herbst 1942 leitete er die Smetanaoper von einem schadhaften, auf einigen Kisten aufgestellten Klavier aus. Er begleitete die Chöre und Solisten mit Hilfe eines Klavierauszugs, den irgendjemand mit seinem 50-Kilo-Gepäck ins Ghetto geschmuggelt hatte. Die Prodaná nevěsta (Die verkaufte Braut) beeindruckte alle sehr. Egon Redlich schrieb über die Premiere der Oper in Theresienstadt: ‚Am 25.11.1942 – Mittwoch: ...Heute fror die Milch im Topf ein. Gefährliche Kälte. Die Kinder ziehen sich nicht aus, und so vermehren sich die Läuse nur so. Heute war Premiere der Verkauften Braut. Es war die schönste Vorstellung, die ich hier gesehen habe.’ Aber auch die weiteren Aufführungen waren so eindrucksvoll, daß sie sich niemand entgehen lassen wollte. Der jugendliche Schriftsteller Ivan Klima war von der ´Theresienstädter´ Verkauften Braut ebenfalls bezaubert. In seinem Büchlein ‚Wie man den Wohlstand überlebt’ erinnert er daran: ‚...auf dem Dachboden einer Kaserne habe ich die Aufführung der Verkauften Braut gesehen. Eine Aufführung in einem kleinen, heissen Raum, ohne Kostüme, ohne Orchester, nur von einem alten Klavier begleitet – das Erlebnis war weit stärker als im gewöhnlichen Leben, die Menschen hörten völlig verzaubert zu, viele weinten...alles, was irgendwie mit Kunst in Verbindung stand, richtete den Menschen auf, erhob ihn über das Grauen des Lagerlebens, riss ihn aus der Angst, die ihn auf Schritt und Tritt verfolgte.’ Rafael Schächter und sein Ensemble aus gefangenen Amateur- und Berufssängern waren unglaublich fleißig: Für die Einstudierung einer Oper reichten oft nur zwei Monate. Nach Smetanas Oper Die verkaufte Braut folgten die Mozartopern Figarova svatba (Figaros Hochzeit), und Kouzelná flétna (Die Zauberflöte) und Smetanas Hubička (Der Kuss).

Höhepunkt des kulturellen Lebens in Theresienstadt war Verdis Requiem.

Die Bedeutung seiner Aufführung reichte weit über die Theresienstädter Festungswälle hinaus. Nur die mächtige, sozusagen phantastische Eingenommenheit Rafael Schächters für die Schönheit dieses Werkes bewirkte, daß die Musik des italienischen Meisters im Repertoire des tschechischen Chors auftauchte.

Warum kam diese katholische Totenmesse wohl gerade im jüdischen Theresienstadt zu so außerordentlicher Geltung? Rafael Schächter musste gegen die gefangenen Intellektuellen ankämpfen, die entgegen seiner Meinung versuchten, Oratorienkompositionen mit jüdischer Thematik durchzusetzen, denn wo sonst als gerade in Theresienstadt konnten diese anderswo verbotenen Werke interpretiert werden? Schächter hatte aber mit hellseherischem Weitblick erkannt, daß auch hier, im Konzentrationslager für Juden, die Verknüpfung der kulturellen Bemühungen der jüdischen Künstler mit der Kulturtradition des Westens, die aus dem Christentum hervorging, demonstriert werden musste. Beim Singen von Verdis Messe von Tod und Erlösung reichten sich hier Christen und Juden im gemeinsamen Kampf gegen Hitlers Gewaltherrschaft die Hände. Es sollte eine Totenfeier für alle Opfer dieses schrecklichen Ringens mit der nazistischen Hydra sein. Die Legende berichtet, dass Adolf Eichmann das Singen dieses Werkes von den gefangenen Juden als sarkastische Verhöhnung aller natürlichen ethischen Lebensnormen mit der Absicht erzwungen habe, dass die Juden sich selbst ihr Requiem sängen. Und tatsächlich wurden nach der Premiere alle einhundertzwanzig Mitglieder von Schächters Chor, die sich an der Einstudierung dieses Werkes beteiligt hatten, ins Gas abtransportiert. Nur der Dirigent und die Solosänger blieben zurück. Schächter studierte dann das Werk mit leidenschaftlichem Willen und wiederum einhundertzwanzig Sängern erneut ein. Einige Wochen nach der Aufführung wurde auch dieser Chor in ein Vernichtungslager deportiert. Sollte auf dieser herrlichen Komposition ein Fluch liegen oder wurde alles von jemanden im Hintergrund gesteuert? Rafael Schächter studierte das Requiem zum dritten Mal ein, konnte jedoch nicht mehr als sechzig Sänger dafür gewinnen. Die Realität des Lebens verwob sich mit der eichmannschen Legende! Die todgeweihten Menschen sangen ihre eigene Totenmesse! Als aber in Begleitung von SS-Offizieren eine Delegation des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes in Theresienstadt eintraf, um sich davon zu „überzeugen“, daß die Juden hier in relativem Wohlstand lebten, sang ihnen Schächters Chor das berühmte "Dies irae" direkt ins Gesicht! Vielleicht wird die Zukunft diese Tat verstehen und Gott jene verurteilen, die den Gefangenen und zum Tode Verurteilten dieses Leid zugefügt hatten!

Quellen

  • 824
    824. Josef Bor , Theresienstädter Requiem Buchverlag Der Morgen, , Berlin 1964 , S. 116.
  • 825
    825. Vojtěch Blodig u.a. , Kultur gegen den Tod Oswald-Verlag, , Prag 2002 , S. 20f.

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