Am 2. Mai 1945 hatte der Delegierte des Internationalen Roten Kreuzes Paul Dunant den Schutz des Lagers übernommen. An diesem Tage wurden in der Kleinen Festung noch 52 Häftlinge hingerichtet. Kommandant Rahm hingegen hielt sich an die Vereinbarungen. Am 3. Mai wurde von der SS die Kaserne EI freigegeben, in die ab 4. Mai die Häftlinge aus der Kleinen Festung überführt wurden. Am 4. Mai wurden die Funktionäre des Tschechischen Roten Kreuzes und eine Gruppe tschechischer Ärzte zugelassen, die sich aber hauptsächlich um die Häftlinge aus der Kleinen Festung kümmerten und sich den Juden im Ghetto gegenüber nicht gerade freundlich verhielten.
Am 5. Mai zog die SS aus Theresienstadt ab. Rahm soll noch am 6. Mai unbewaffnet im Ghetto gesehen worden sein. Er hatte eine letzte Unterredung mit Murmelstein, bevor er flüchtete. Murmelstein verlor sein Amt, Leo Baeck wurde zum Leiter des neuen Ältestenrates gewählt, der erste wirklich gewählte Vorsitzende des Ältestenrates.
Am 6. Mai erließ man folgenden Aufruf, erstmals in deutscher und in tschechischer Sprache:
Männer und Frauen in Theresienstadt !
Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes hat den Schutz von Theresienstadt übernommen. Dem Vertreter dieses Komitees, Herrn Dunant, steht die Führung von Theresienstadt zu. Er hat die unterschriebenen Mitglieder des Ältestenrates mit der Leitung der Selbstverwaltung betraut.
In Theresienstadt seid ihr sicher! Der Krieg ist noch nicht beendet! Wer Theresienstadt verläßt, setzt sich allen Kriegsgefahren aus.
Theresienstadt hat die Betreuung der Märtyrer der Kleinen Festung übernommen. Das verlangt vermehrte Arbeitsleistung, die auch zur Vorbereitung der Rücktransporte notwendig ist. Es muß weiter gearbeitet werden.
Der Postverkehr ist nunmehr ohne Zensur oder sonstige Beschränkung in jeder Sprache gestattet. Zur Einleitung dieses Verkehrs wird jeder Einwohner von Theresienstadt, der es wünscht, eine frankierte Postkarte erhalten, sobald solche in genügender Zahl zur Verfügung stehen werden.
Es werden Zeitungen angeschafft und öffentlich angeschlagen werden. Die schweren Krankheiten, die augenblicklich hier noch herrschen, machen eine strenge Einhaltung der Quarantäne-Vorschriften notwendig. Daher haltet sie genauestens ein!
Nach Beendigung des Krieges werden die Rücktransporte raschestens beginnen und nach Massgabe der von der Regierung zu erlassenden Vorschriften durchgeführt werden.
Haltet Ruhe und Ordnung! Helft uns bei der Arbeit, die Eure Rückreise ermöglichen soll. Geht jeder der ihm zugewiesenen Arbeit auf seinem Platze nach !
Dr. Leo Baeck, Dr. Alfred Meissner, Dr. Heinrich Klang, Dr. Eduard Meijers
Theresienstadt, am 6.Mai 1945
Am 6. Mai wehte vom Rathausturm nicht mehr die SS-Flagge, sondern die Fahne des Internationalen Roten Kreuzes.