Unterricht im Ghetto

Das Unterrichten von jüdischen Kindern im Ghetto war verboten. Freizeitgestaltung, Malen, Sport, Basteln und Spiel waren erlaubt.

„Es genügt, wenn sie bis hundert zählen können“, hatte ein Beamter des Rosenberg-Ministeriums die Ansichten Hitlers zum Herrenvolk und Untermenschentum zusammengefasst und dabei ein entscheidendes Prinzip der NS- Politik formuliert. “Jeder Gebildete ist ein künftiger Feind. Die Religion lassen wir ihnen als Ablenkungsmittel. An Verpflegung bekommen sie nur das Notwendigste. Wir sind die Herren, wir kommen zuerst.“

Das gesamte Erziehungswesen unterlag im deutschen Machtbereich einer strengen Kontrolle. Für die jüdische Selbstverwaltung hieß es daher, diese Kontrolle zu umgehen, um ihre pädagogischen Ziele und Interessen nicht zu verraten. Daher ließen sie sich von dem Prinzip leiten, daß das geistige Potential der Erwachsenen den Kindern zugute kommen sollte und daß die Vermittlung von Wissen sowie von jüdischer Kultur und Tradition zu den höchsten Aufgaben im Ghetto gehörte. Hierin waren sich die Vertreter des tschechisch-jüdischen Widerstandes im Ghetto – Jakob Edelstein, Ing. Zucker, Dr. Leo Jagennowitz, Gonda Redlich, Fredy Hirsch, Ing. Milos Salus, Victor Ullmann, um nur einige zu nennen – einig. Es galt, die geistige Freiheit zu schützen und zu wahren.

Unterrichtet wurde dennoch und der tägliche Unterricht in den Heimen (auch im Mädchenheim L 410) war ein stabiler Pfeiler des Tagesablaufs im Heim. Die spezifische Situation im Ghetto Theresienstadt brachte als Ergebnis dieser Überlegungen ein ausgeklügeltes Unterrichts- und Betreuungssystem hervor.

Willy Groag, ein zionistischer Jugendführer und ab Spätherbst 1943 Leiter des Mädchenheims L 410, beschrieb es auf folgende Weise: „ Die Mehrheit der Lehrer gehörte zionistischen und an zweiter Stelle kommunistischen Organisationen an. Da man aber keine Chance ungenutzt lassen wollte, die Entwicklung der Kinder bzw. ihre spezifischen Begabungen und Interessen zu fördern, zog man natürlich auch unabhängige Persönlichkeiten für die Arbeit im pädagogischen Bereich heran. Deshalb wurden Neuankömmlinge im Ghetto, die für diese Arbeit infrage kamen, von der Leitung angehalten, ihren Lebenslauf bei der Jugendfürsorge einzureichen. Je nach beruflicher Qualifikation oder pädagogischer Erfahrung wurden sie dann eingeteilt – in die offene Fürsorge oder eines der Heime, als Betreuer oder Lehrpersonal. Auf diese Weise gewann die Jugendfürsorge neben engagierten Zionisten und Kommunisten außergewöhnliche Persönlichkeiten aus allen Bereichen – Lehrer, Professoren, Wissenschaftler, Künstler.

Die Kinder hatten wohl mehr zu lernen, als die Kinder in Brünn oder Prag, denn normalerweise unterrichteten an einer tschechischen Grundschule keine so hochkarätigen Lehrer, Künstler und Professoren wie in Theresienstadt. Zudem war der Lehrstoff im gesamten Protektorat reglementiert, der Lehrstoff von der Ideologie der Nazis durchdrungen. Wenn der Unterricht in Theresienstadt auch heimlich stattfinden musste, so lernten die Kinder doch das, was von den Nazis eigentlich verboten war. Ein richtiger Lehrplan konnte dabei zwar nicht eingehalten werden, denn immer wieder gingen Kinder oder auch Lehrer auf Transport, aber gelernt wurde immer und viele Kinder entwickelten untereinander einen regelrechten Wettbewerb um gute Noten. Dagmar Lieblová erzählte, daß der Unterricht so gut war, daß die Kinder nach der Befreiung die Klasse besuchen konnten, in die sie altersmäßig auch gehörten, / (.*/

Quellen

  • 1005
    1005. Recherche Jürgen Winkel nach Informationen von Dagmar Lieblova
  • 1006
    1006. vergl. Hannelore Brenner-Wonschick , Das Mädchen von Zimmer 28 Droemer-Verlag, , München 2004

zurück zur Übersicht