Loewenstein, Dr. Karl
aus dem Prominentenalbum der Jüdischen
Selbstverwaltung vom 1. Januar 1944
siehe auch => Prominente und =>Das
Theresienstadt-Konvolut
Geboren am 2. Mai 1887 in Siegen. Staatenlos, vormals Deutscher Staatsbürger. Geschieden. In Theresienstadt seit dem 17. Mai 1942. Realgymnasium. 1914 Signaloffizier der Nordsee-Vorposten-Flottille. Ausgezeichnet mit EK I und II, dem Hausorden der Hohenzollern. Quelle: 535)
Loewenstein, von halbjüdischer Herkunft, war im kaiserlichen Deutschland Seeoffizier und stand durch viele Jahre dem deutschen Kronprinzen nahe.
Nach dem Krieg beteiligte er sich an den Freischarkämpfen in Oberschlesien und wurde dann Bankier in Berlin (1924–1941 Direktor des Bankhauses Busse & Co). Als Angehöriger der Bekennenden Kirche kam er mit der =>Gestapo in Konflikt, wurde im November 1941 verhaftet und in das Ghetto Minsk deportiert. Nach einem halben Jahr in diesem Lager unerhörten Grauens wurde er durch eine Intervention des Generalkommissars Kube an höchster Stelle im Mai 1942 nach Wien verschickt und einige Tage später nach Theresienstadt geschafft (angeblich im Zuge eines Gnadenaktes des Führers)
Loewenstein kam durch schwere Mißhandlungen, die er in Minsk erlitten hatte, im schlechten Gesundheitszustand in Theresienstadt an, wurde sofort in Gewahrsam genommen und von tschechischen =>Gendarmen bewacht. Offenbar wußte das Lagerkommando nicht, was man mit ihm anfangen sollte, fürchtete jedoch seine Kenntnisse über die Vorgänge in Minsk und wartete Befehle aus Berlin ab. Indes wurde er im Gefängnis untergebracht und bevorzugt beköstigt. Am 23. September 1942 wurde er aus der Haft vom Lagerkommandanten =>Seidl zum Chef des „Sicherheitswesens“ bestellt. Nun war Loewenstein in seiner neu geschaffenen Stellung der erste Mann neben dem =>Judenältesten in der =>Selbstverwaltung.
Loewenstein faßte in der neuen Abteilung =>„Ghettowache“ Feuerwehr, eine „Detektivabteilung“ und die „Wirtschaftsprüfstelle“ zusammen. Er führte sie mit starker Hand und erhielt das Vertrauen seiner Untergebenen. Aber er hatte bald auch Feinde in anderen Abteilungen, wo man jeden seiner Schritte mißtrauisch beobachtete und mit allen Mittel bekämpfte. Seine Beziehungen zu =>Edelstein waren anfangs gut, verschlechterten sich dann jedoch, seine Beziehung zu =>Eppstein war unerträglich. Loewenstein hatte freien Zugang zum Lagerkommandanten, dem sein unerschrockenes Auftreten gefiel. Loewenstein wurde deswegen oft von der Leitung mit schwierigen Interventionen beauftragt.
Loewenstein hat für das Lager viel bei der SS durchgesetzt. Die Prügelstrafen und andere Härten wurden aufgehoben. Für seine Untergebenen tat er, was in seiner Macht lag. Seine Anordnungen waren knapp, entschieden und militärisch straff. Auf diese Weise wollte er die ihm notwendig erscheinende Disziplin und Ordnung erreichen. Ungerechtigkeit und krumme Wege waren ihm verhaßt. Er scheute sich nicht, Mißstände, vor allem Diebstahl und Korruption, unnachsichtig anzugreifen. Hierbei ging er leider undiplomatisch vor, führte einen verwickelten Kampf gegen fast alle Abteilungen, schuf sich immer neue Feinde. Bei geschickterer Vorgehensweise hätte er wohl mehr erreicht. So war er wohl ein Ritter ohne Furcht und Tadel. Als er innerhalb der Leitung immer schonungsloser Mißstände aufdeckte, wurde er so mißliebig, daß die Leitung zu einem Gegenschlag ausholte und ihn durch widerliche Intrigen und Machenschaften in einen durch Rechtsbeugung gekennzeichneten „Prozeß“ vor dem „Ghettogericht“ aus dem Sattel hob und ihn zu vier Monaten Gefängnis verurteilte. =>Burger hätte ihn gerne gestützt, aber Loewenstein schwieg beständig, schlug alle anderen ihm vorgeschlagenen Stellungen aus. Er überlebte Theresienstadt.
Loewenstein hat viel für das Lager getan. Er verstand es, kostbare Medikamente für die Alten und Kranken zu besorgen. Er erzwang, daß man die Lebensmittel ordentlich und genau rationierte, organisierte Meßgeräte und plötzlich wurden die Portionen bei gleichem Ausgangsstand größer. Das gefiel den Gefangenen, mißfiel aber denen, die an der Krippe saßen. Loewenstein intervenierte erfolgreich bei der SS um die Freilassung von Gefangenen, er sorgte dafür, daß das Gefängnis in die Obhut der Ghettowache kam, ließ die Zellen mit Bettgestellen ausstatten usw..
Es gibt Menschen, die ihm nach dem Kriege vorwarfen, auch nur um
seines eigenen Vorteils willen gearbeitet zu haben.
=>H.G.
Adler tritt dem entschieden entgegen und
läßt Loewenstein
selbst sprechen:
"Ich werde nie vergessen, wie entsetzt
ich war, als ich die Verhungerten auf Lastwagen
liegen sah in der Abenddämmerung mit einem kleinen
Bestattungskommando aus der Dresdener Kaserne
abmarschierend und gleichzeitig das Küchenpersonal sich ein
Extra-Essen zubereiten. Noch am selben Tag stoppte
ich dies und erreichte, daß das
Küchenpersonal das gleiche Essen erhielt wie alle anderen
Insassen. Herr Schliesser (Leiter der Wirtschaftsabteilung)
intervenierte bei mir ohne Erfolg, behauptend,
dann würde mehr
gestohlen...."
Quelle: 536)
Zu den Kritikern Karl Loewensteins zählt auch der 2001 verstorbene Historiker =>Miroslav Kárný, selbst Überlebender Theresienstadts und bis dato wohl der versierteste Kenner der Materie. In einem Artikel zur Methodologie der kritischen Interpretation von Erinnerungen (s. Quelle) beschreibt er die Erinnerungen Loewensteins ("Minsk. Im Lager der deutschen Juden", Bonn 1961) als ausgesprochene Falsifikate, verfaßt zur Verteidigung seiner Minsker und Theresienstädter Vergangenheit. =>Kárný spricht von phantastischen Lügen und Konstruktionen, für die es weder lebende Zeugen noch schriftliche Belege gibt; Loewenstein beschuldige die führenden jüdischen Persönlichkeiten, deren Verteidigung gegen solche Vorwürfe durch die Gaskammern oder die Kugeln der SS nicht mehr möglich ist. So bezichtigt Loewenstein etwa den 1944 von der SS ermordeten Judenältesten =>Eppstein, beim SS-Lagerkommandanten zwei Gendarmen angezeigt zu haben, weil diese bei ihm zugunsten einiger Häftlinge interveniert hätten, um sie vor dem =>Transport nach Auschwitz zu retten; die beiden namentlich genannten Gendarmen seien daraufhin von der SS verhaftet und unter schwersten Mißhandlungen in ein Konzentrationslager gebracht worden. =>Kárný überprüfte diese Darstellung anhand des offiziellen "Verzeichnis verhafteter Angehöriger der Gendarmerie 1939-1945" und der infrage kommenden Ostentransporte und stellte fest, daß die beiden Gendarmen zu unterschiedlichen Zeitpunkten und mit anderer Begründung als von Loewenstein angeführt verhaftet worden waren; zudem wurde einer der beiden nach 2 Wochen, der andere nach 6 Monaten aus der Haft entlassen. Quelle: 537)