Gradowski, Salmen

Salmen Gradowski war Mitglied des Sonderkommandos in Auschwitz-Birkenau und Zeuge der Liquidierung der Gefangenen des Theresienstädter Familienlagers am 8. März 1944.

Gradowski arbeitete vor dem Krieg in dem kleinen Geschäft seines Vaters in dem polnischen Ort Suwalcki. Er träumte davon, mit seiner Frau und seiner ganzen Familie nach Palästina auszuwandern. Es ist ihm nicht gelungen, seinen Schwager David Sfard dafür zu gewinnen. Der bat sich ein Jahr Bedenkzeit aus. In dieser Zeit kam Polen jedoch unter die faschistische Herrschaft. Die gesamte Familie Gradowski wurde am 8. Dezember 1942 nach Auschwitz deportiert. Während Salmen Gradowski für die Arbeit im Sonderkommando ausgewählt wurde, wurde seine Familie am gleichen Tag vergast. Sechzehn Monate danach, im März 1944, begann Gradowski mit Aufzeichnungen, die – in einer Flasche und einer Dose versteckt - zu unterschiedlichen Zeiten, an unterschiedlichen Orten und von unterschiedlichen Personen entdeckt wurden. Gradowski selbst kam am 7. Oktober 1944 als ein Führer des blutig niedergeschlagenen Aufstandes des Sonderkommandos ums Leben.

Im März 1945 wurde in dem mit Asche und Erde vermengten Boden des Krematoriums III eine Flasche gefunden, in der sich ein Notizbuch mit Aufzeichnungen Gradowskis, 81 beschriebene Seiten, befand. In diesen Aufzeichnungen schildert Salmen Gradowski das Leben vor Auschwitz, seine Deportation und die erste Zeit seiner Haft in Auschwitz. Die Aufzeichnungen brechen ab, als er in das Sonderkommando eingereiht wird. Der Text endet mitten im Satz und es war klar, daß es einen zweiten Teil geben musste, der anderswo versteckt war. Jahrzehntelang blieben die Nachforschungen der Historiker erfolglos. Tatsächlich war der zweite Teil direkt nach der Befreiung in einer Blechdose gefunden worden. Der unbekannte polnische Finder hatte sie an den in Auschwitz lebenden Chaim Wolnermann verkauft, der dann Anfang 1947 nach Israel auswanderte. Wolnermann bereitete den Text auf eine Herausgabe vor, suchte jedoch vergeblich einen Verleger, die Zionisten wollten von Juden, die ohne Widerstand wie Schafe zur Schlachtbank gegangen sind - so Gradowski - , in dieser Zeit nichts hören. 1977 gab Wolnerman den Text in einer Privatausgabe heraus.

Viele Seiten dieser Handschrift sind den Geschehnissen im März 1944 im Familienlager gewidmet. Gradowskis Kapitel über die „schreckliche, blutige Nacht zu Purim 1944“, als die SS „unser Purim in Tish be-av verwandelte“, den Freudentag in einen Trauertag, wurde von Katerina Capková inzwischen übersetzt (in Theresienstädter Studien und Dokumente 1999 veröffentlicht).

Gradowskis Aufzeichnungen weisen Fehler auf und einige Passagen scheint er literarisch „geschönt“ zu haben, sie stimmen grundsätzlich aber mit anderen Quellen überein und bilden ein einzigartiges Dokument. Gradowski beschreibt die Vorbereitungen der SS, die den Häftlingen erzählt hat, daß die Gefangenen in ein Arbeitslager nach Heydebreck verlegt werden sollen, die das Sonderkommando vorher zum Ausruhen schickte, zusätzliche Posten anforderte (was sonst nie geschah), deren Stellplätze festlegte, das ganze Areal der Krematorien abriegeln ließ. Gradowski meint auch, daß die Deutschen es darauf anlegten, die Juden zu Purim umzubringen. Gradowski schildert die Ereignisse im Krematorium II, in denen die Frauen und Mädchen ermordet wurden, er schildert im einzelnen das Drama, das sich im Vorraum der Gaskammer und in ihr selbst dann abspielte. Mit liebevoller Bewunderung bezeugte er, wie tapfer die Theresienstädter Frauen starben. Keine von ihnen bat um Gnade, um ihr Leben. Betrunkene SS-Männer beschleunigten mit Geschrei und Schlägen ihr Ausziehen. In den Tod gingen Mütter, die ihr Kind in den Armen küssten. Die Mutter eines kleinen Mädchens mit langen Zöpfen verfluchte die herumstehenden SS-Offiziere, der anwesenden SS-Frau spuckte sie ins Gesicht. Eine andere Frau stürzte sich auf den Kommandanten der Krematorien und versetzte ihm drei Ohrfeigen. Eines der Mädchen lehnte es ab, sich zu entkleiden und rief die anderen zum Widerstand auf. Sie wurde erschossen. Die Gaskammer füllte sich etappenweise, je nachdem, wie die Autokolonnen anrückten. Gradowski verzeichnete das Erstaunen und Erschrecken der anwesenden SS-Elite, als aus der Gaskammer der Gesang der Internationale, der Hatikwa und der tschechoslowakischen Nationalhymne Kde domov můj ertönte. Der Gesang aus der Gaskammer klang wie eine Warnung an die SS, daß bald das Ende ihrer Macht und die Vergeltung kommen würden.

Im Anschluss an die Ermordung der Frauen im Krematorium Nr. II wurden die Männer des Familienlagers im Krematorium Nr. III ermordet.

Quellen

  • 407
    407. Katerina Capkova , Das Zeugnis des Salmen Gradowski , in: Theresienstädter Studien und Dokumente 1999 Academia-Verlag, , Prag , S. 105ff.

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