Edelstein, Dr. Jakub

1903 – 1944

Vorsitzender des Ältestenrates des Ghettos Theresienstadt.

Edelstein wurde in Godorenka in Galizien geboren und zionistisch erzogen. Während des 1. Weltkrieges übersiedelte seine Familie nach Brünn (Brno), der Hauptstadt Mährens, und ab 1926 war er in den zionistischen Jugendorganisationen Techelet Lavan und Hechaluz aktiv. 1929 wurde er zum Vertreter von Techelet Lavan beim Hauptbüro der Hechaluz gewählt und 1933 zum Leiter des Palästinabüros ernannt. 1937 arbeitete Edelstein drei Monate lang in Palästina für den Keren Hajesod (Palästina-Gründungsfond). Nach Prag zurückgekehrt, nahm er seine Arbeit als Direktor des Palästina-Büros wieder auf.

Am 15. März 1939, dem Tag des deutschen Einmarsches in Prag, entschied die zionistische Führung der Tschechoslowakei, die jüdische Bevölkerung nicht zu verlassen. Edelstein war nun verantwortlich für die Fragen der Auswanderung nach Palästina und wurde bald offizieller Vertreter der Juden bei Kontakten mit den Deutschen.

Mit Erlaubnis der Gestapo reiste Edelstein mehrmals ins Ausland, um Mittel und Wege zur Beschleunigung der jüdischen Emigration zu finden.

Im Mai 1939 besuchte er Palästina, im November 1939 war er in Triest, Ende des Monats in Wien, im Februar 1940 verbrachte er zwei Tage in Genua und fuhr von dort aus nach Berlin. Im Herbst 1940 besuchte er Preßburg und im März 1941 Amsterdam. Edelstein tauschte mit den Vorsitzenden der jüdischen Gemeinden und zionistischen Funktionären Informationen aus und warnte sie vor den zukünftigen Entwicklungen. Er hatte mehrfach Gelegenheit, im Ausland zu bleiben, fuhr aber immer wieder nach Prag zurück.

Am 18. Oktober 1939 wurde Edelstein im Rahmen des deutschen Plans zur „Ansiedlung von Juden“ im Distrikt Lublin mit einer Gruppe von 1.000 Männern aus Moravská Ostrava nach Nisko am San südlich von Lublin deportiert. Der Plan schlug fehl, und ein Teil der Verschleppten kehrte zurück. Im November 1939 kam Edelstein wieder nach Prag. Er wollte mit allen Mitteln verhindern, daß die Juden aus der Tschechoslowakei nach Polen deportiert würden. Sein Hauptbestreben war nun , die Deutschen dazu zu bewegen, die Juden im Protektorat Böhmen und Mähren als Arbeitskräfte zu nutzen. „Jüdische Arbeit zur Rettung jüdischen Lebens“, war die Maxime von Edelstein Politik, und er machte den Deutschen wiederholt entsprechende Vorschläge.

Im Oktober 1941 beschlossen die Deutschen die Errichtung des Ghettos Theresienstadt zur provisorischen Unterbringung der Juden des Protektorats und als Sammelort für ihre spätere Deportation in den Osten. Die jüdische Führung mit Edelstein an der Spitze sah in der Gründung von Theresienstadt einen persönlichen Erfolg ihrer Bemühungen um die Genehmigung, daß die Juden im Protektorat bleiben könnten. Sie wußten nicht, daß Theresienstadt nur eine Zwischenstation auf dem Wege in die Vernichtungslager des Ostens war. Edelstein kam am 4. Dezember 1941 in Theresienstadt an und wurde erster Vorsitzender des Judenrats. Ein Stellvertreter, Otto Zucker, und ein Zwölferrat standen ihm zur Seite. Besonderen Wert maß man im Ghetto der Erziehung der Jugend bei und dem Versuch, das Ghetto zu einer produktiven Einrichtung zu machen. Im Januar 1943 wurde Edelstein aus seinem Amt entlassen aufgrund der Beschuldigung, die registrierte Zahl der Einwohner des Ghettos Theresienstadt stimme nicht mit der tatsächlichen Einwohnerzahl überein. Am 18. Dezember 1943 wurde er nach Auschwitz deportiert, wo er und seine Familie im Block 11 des Auschwitzer Stammlagers festgehalten wurden. Sein 12jähriger Sohn Ariel war zeitweilig im Kinderblock des Theresienstädter Familienlagers und wurde ebenso wie die Mutter Miriam von Fredy Hirsch betreut. Am 20. Juni 1944 wurde Jakob Edelstein erschossen, nachdem er zuvor die Hinrichtung seines Sohnes Ariel und seiner Frau Miriam hatte mitansehen müssen.

Edelsteins Aktivitäten sind Gegenstand von Kontroversen gewesen. Die einen werfen ihm vor, er hätte mit den Deutschen zusammengearbeitet und die Ereignisse falsch interpretiert. Die Kritik richtet sich gegen seine Politik aber nie wurden seine persönliche Aufrichtigkeit und Integrität angezweifelt. Andere betrachten Edelstein als Helden, der sich für sein Volk geopfert hat.

Der Historiker Hans Günther Adler schreibt: „Es ist nicht leicht, Edelstein gerecht zu würdigen. Er stammte aus einer frommen galizischen Familie und hatte seit vielen Jahren in Prag als zionistisch-sozialistischer Funktionär der Gruppe Poale Zion gewirkt. Er war religiös und achtete auch in Theresienstadt auf die Einhaltung des Sabbat und der Feiertage. Er trat einfach und bescheiden auf, doch es fehlte ihm an Offenheit. Seine Intelligenz war durchschnittlich, worüber eine gewisse Verschlagenheit nicht täuschen konnte. Fehlte es auch seinen Ansichten an Tiefe oder genügendem Weitblick, so waren sie doch subjektiv ehrlich, aber dogmatisch starr bis zum Vorurteil. Er bewies ziemlich viel Humor und war in seinen Verhandlungen mit SS-Männern in Prag und Theresienstadt recht geschickt, freilich seinen deutschen Partnern viel mehr unterlegen, als er ahnte. Je länger er mit ihnen verkehren mußte, desto weniger war er ihnen gewachsen, und das mit ihm getriebene Spiel durchschaute er nicht rechtzeitig. Vor dem Lager trat er als Sprecher nicht ohne Demagogie auf, wie sie bei kleineren Funktionären so häufig ist. Seine Vorstellungen vom Judentum waren durch eine wenig klare zionistische Brille getrübt. Leider verstand er es nicht, sie zu einer Zeit abzulegen, als es um ganz andere Dinge ging, als persönlichen, sei es noch so aufrichtigen Anschauungen zu dienen. Edelstein zerbrach an seiner Aufgabe, zerbrach an Theresienstadt, doch Männlichkeit muß ihm zugebilligt werden. Sein tragischer Untergang adelt ihn, und er hat sein Bestes versucht, wenn er auch auf seinem furchtbaren Weg nicht nur scheitern mußte, sondern manchmal auch aus eigener Schwäche strauchelte.“

Der nachmalige Judenälteste Edelstein wurde von der SS für mehrere Wochen nach Amsterdam abkommandiert, um hier einen ähnlichen administrativen Apparat zwischen der befehlenden "Zentralstelle" und dem ausführenden "Judenrat" einrichten zu helfen, wie er in Prag bereits funktionierte.

Quellen

  • 136
    136. Hans Günther Adler , Theresienstadt 1941 - 1945, Das Antlitz einer Zwangsgemeinschaft Mohr - Verlag, , Tübingen, 2. Aufl. 1960 , S. 116ff.
  • 210
    210. Enzyklopädie des Holocaust , Bd. I Piper, , München/Zürich 1998 , S. 380ff.
  • 1079
    1079. Hans Günther Adler , Theresienstadt 1941 - 1945, Das Antlitz einer Zwangsgemeinschaft Mohr - Verlag, , Tübingen, 2. Aufl. 1960 , S. 848f.

zurück zur Übersicht