Gabelin, Lore

Lore Gabelin wurde am 1. August 1921 in Krefeld geboren. Ihre Eltern waren Else und Friedrich Müller. Die Mutter stammte aus der jüdischen Familie Coppel, der Vater, Elektromeister, aus einer alten katholischen Familie. Ihre jüngere Schwester hieß Ilse.

Das Elektrogeschäft lief nach 1933 nicht so gut. Bei dem Versuch, speziell jüdische Kunden anzuwerben, wurde Friedrich Müller denunziert und für einige Tage in Schutzhaft genommen. Von der Gestapo gedrängt, sich scheiden zu lassen, lehnte der Vater mit den Worten ab „ich verrecke eher in der Gosse, eh´ ich meine Familie verlasse.“ Ende 1937 musste Müller aufgrund der wirtschaftlichen Schwierigkeiten sein Haus verkaufen. Der Versuch des Vaters, im Ausland Fuß zu fassen, scheiterte und so musste sich der Vater als Hilfsarbeiter bei der Firma Krupp verdingen.

Lore Müller wurde in der Krefelder Dionysiuskirche katholisch getauft und besuchte die katholische Volksschule, später eine städtische Mädchenschule. Ihre jüngere Schwester wurde in die jüdische Volksschule eingeschult, später kam sie in ein jüdisches Kinderheim in den Niederlanden.

Die Mutter hielt die jüdischen Feiertage ein und besuchte in Begleitung ihres katholischen Mannes die Synagoge. Als Lore in die städtische Mädchenschule wechselte, bekam sie ab 1932 auch jüdischen Religionsunterricht.

Da sie katholisch getauft war und die katholische Grundschule besucht hatte, wurde sie nach den Nürnberger Gesetzen von 1935 als ´Mischling ersten Grades´ eingestuft. Ihre Schwester, die auf der jüdischen Volksschule gewesen war, galt als jüdisch. Die Mutter war nach eigenem Verständnis Jüdin. Ihre Ehe mit einem Katholiken galt nach den Nürnberger Gesetzen als ´privilegierte Mischehe. Dies hatte zur Folge, daß 1941, als der Judenstern Pflicht wurde, nur die jüngere Schwester Ilse ihn tragen musste. Lore fand das ungerecht und veranlasste den Vater, die Einstufung zu überprüfen. Am 28. April 1943 ordnete die Staatspolizei Düsseldorf an, daß alle Genannten den Judenstern zu tragen hätten und daß die Ehe des Friedrich Müller mit der Jüdin Sara geb. Coppel, nach Paragraph 3 der polizeilichen Verordnung über die Kennzeichnung von Juden vom 1. September 1941 als nicht privilegiert gelte und die Ehefrau den Judenstern zu tragen habe. Lore Gabelin wurde nach der Machtergreifung in ihrer Klasse langsam isoliert, nur wenige Schülerinnen und eine Lehrerin hielten den Kontakt zu ihr, als auch sie dann den Judenstern zu tragen hatte. Als die Eltern merkten, wie sehr Lore unter der Situation litt, nahmen sie sie von der Schule. Lore Gabelin, die ihre Berufsausbildung nicht beenden konnte, arbeitete in verschiedenen Stellungen. 1940 bekam sie vom Arbeitsamt eine Stelle bei einem Bauern in Wittich zugewiesen, ab 1941 arbeitete sie als Bürogehilfin in Krefeld.

Alle ab 1937 unternommenen Auswanderungsversuche scheiterten. 1941 wurde der 85jährige Großvater, der jüdische Metzger Hermann Coppel, wegen sogenannter „Unzurechnungsfähigkeit“ in das jüdische Altersheim Bendorf-Sayn eingewiesen. Er wurde ein Opfer des Euthanasieprogramms der Nazis.

Am 25. Juli 1942 fand die erste große Deportation jüdischer Bürger von Krefeld nach Theresienstadt statt. Betroffen waren Ida Coppel, die Ehefrau Hermann Coppels und die Großtante Sara Coppel, die von Theresienstadt weiter nach Auschwitz deportiert und dort ermordet wurde.

1942 heiratete Lore Müller den ebenfalls aus einer katholisch-jüdischen Mischehe stammenden Werner Gabelin. Der Krefelder Standesbeamte ordnete für beide Eheleute als ´rassische Einordnung´ an ´Mischling 1. Grades'. Das junge Paar fand nur mit Mühe eine Wohnung. Am 26. September 1942 wurde mit Richard der erste Sohn der Gabelins geboren. 1943 wurden beide Eheleute als Juden eingestuft und waren fortan von der Deportation bedroht. Am 17. September 1944 wurden die noch in Krefeld lebenden Juden, vorwiegend Partner aus ´Mischehen', sowie ´Halbjuden´ von der Polizei festgenommen und zu einem Sammelplatz gebracht.

Da der Sohn der Gabelins Richard nicht auf der Liste stand, konnte ihn der Großvater Friedrich Müller mit nach Hause nehmen. Lore, ihr Mann, ihre Mutter und die Schwester Ilse wurde zusammen mit anderen in den Schlachthof Düsseldorf-Derendorf gebracht. Frauen und Männer wurden getrennt. Frau Müller und Tochter Ilse kamen in ein Arbeitslager der Organisation Todt bei Zeitz. Lore Gabelin, die damals im 6. Monat schwanger war, kam mit der Männergruppe auf Transport. In Duisburg, Oberhausen, Essen und Bochum stiegen Männer zu. Zehn Tage verbrachten alle in einem Kuhstall des kleinen Ortes Vorwohle und wurden dann nach Berlin gebracht und dort auf dem Gelände des früheren Israelitischen Krankenhauses interniert. Nach fast einem Monat, am 13. Oktober 1944, wurden Lore Gabelin und ihr Mann in einem geschlossenen Möbelwagen zum Anhalter Bahnhof gebracht. Von dort ging es ins Lager Theresienstadt. Lore Gabelin hatte die Transportnummer 1/117-14921. In der Schleuse wurden sie gründlich kontrolliert, die erste Nacht in einer Notunterkunft untergebracht, dann wurde Lore von ihrem Mann getrennt. Die Gabelins hatten Glück, andere wurden gleich weiter transportiert nach Auschwitz. Lore wurde in der Glimmerspalterei eingesetzt, eine als kriegswichtig angesehene Arbeit.

Am 21. Dezember 1944 wurde in der Hohenelber Kaserne (dem Krankenhaus) ihr Sohn Thomas geboren, den sie zunächst Daniel nennen musste. Im Siechenheim fand sie ihre Großmutter Ida Coppel wieder, die trotz ihrer 76 Jahre die schlechten Lebensbedingungen und die Selektionen überstanden hatte.

Im Februar 1945 trafen Lores Mutter und Schwester in Theresienstadt ein. Das im Oktober 1944 fast liquidierte Lager begann sich wieder zu füllen. Evakuierungstransporte aus den Lagern des Ostens trafen in Theresienstadt ein und brachten den Flecktyphus mit.

Anfang 1945 wurde das Lager befreit. Lores Mutter, die sich zur Pflege der Typhuskranken gemeldet hatte, infizierte sich und starb am 1. Juni 1945 an ihrem 51. Geburtstag.

Am 20. August 1945 kehrte Lore Gabelin mit ihrem Mann Werner und dem Sohn Daniel (Thomas) nach Krefeld zurück. Hier sah sie ihren Sohn Richard wieder, der sie nicht mehr erkannte. 65 Verwandte der jüdischen Zweige der Familie Müller und Gabelin waren während des Holocaust auf die eine oder andere Weise umgebracht worden. Lore und Werners Pläne, in die USA auszuwandern, scheiterten an der Mitgliedschaft Werners in der KPD und der VVN. So bauten sich die Gabelins eine neue Existenz in Krefeld auf. Lore Gabelin wurde Mitglied der neu in der Stadt gegründeten jüdischen Gemeinde.

Quellen

  • 773
    773. Ingrid Schupetta , Lore Gabelin - Eine biographische Skizze aus der NS-Zeit in: Theresienstädter Studien und Dokumente 1995 Academia-Verlag, , Prag , S. 194ff.

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