Die Juden in den Niederlanden

Die ersten Juden, die sich in den Niederlanden im Hochmittelalter ansiedelten, wurden im Zuge der Pogrome um 1348 wieder vertrieben. Zu einem dauerhaften Zuzug von Juden kam es erst gegen 1590, als die in Spanien vertriebenen „Marranen“, zum Schutz getaufte Juden, sich in den Niederlanden niederließen. Sie traten hier wieder zum Judentum über. In den nächsten 50 Jahren siedelten sich mit den „Hoogduitsen“ und den Juden aus Polen weitere Juden in den Niederlanden an. Erstere flüchteten vor den Pogromen im Rheingebiet, die anderen vor den Kosaken. Diese beiden aschkenasischen Gruppen vermischten sich bald miteinander, besaßen sie doch mit dem „Jiddischen“ eine gemeinsame Sprache. Die wohlhabenderen sogenannten „Portugiesen“ bildeten jedoch für lange Zeit eine abgeschlossene Gemeinschaft, die bis zur Emanzipation der Juden im Jahr 1796 bestand.

In den Niederlanden wurde nie ein allgemein gültiges Judenreglement erlassen. Jede Stadt entschied selbst über die Aufnahme von Juden und nach ihrer Aufnahme wurde ihnen Religionsfreiheit gewährt. Ghettos und die äußerliche Kennzeichnung waren untersagt. Die jüdischen Gemeinden waren sehr selbstständig, allerdings war ihnen der Zutritt zu den Zünften versagt. Ab 1796 lebten die Juden der Niederlande freier als ihre Glaubensgenossen in den anderen europäischen Ländern. Sie beteiligten sich rege am Handel, ließen sich vor allem im Westen des Landes, in Amsterdam, Rotterdam und Middelburg nieder, seltener in anderen Orten. Während die Aschkenasim, die bald die Mehrheit stellten, jiddisch sprachen, sprachen die Sephardim portugiesisch und benutzten Spanisch als Schriftsprache. Die portugiesische Gemeinde hatte einen mächtigen und reichen Kern. Die portugiesischen Kaufleute waren in das internationale Handelsnetz integriert und hatten großen Anteil an der Blüte während des sog. Goldenen Zeitalters. Sie spielten eine wichtige Rolle in der Zuckerindustrie, in der Diamantenschleiferei, der Seiden- und Tabakindustrie.

Ihre aschkenasischen Glaubensgenossen waren in der Regel arm, betrieben kleinen Handel, Viehhandel und Schlachtereien. Nach 1770 entstanden über das Land verstreut Hunderte von kleinen jüdischen Gemeinden. Im Verlaufe des 18. Jahrhunderts machte die Assimilation große Fortschritte, die Mehrheit der Juden nahm die holländische Sprache an. Obwohl die Juden verstärkt am sozialen Leben in den Niederlanden teilnahmen, blieben sie eine in sich abgeschlossene Gruppe. Dies hing wohl auch mit der speziellen niederländischen Gesellschaftsstruktur zusammen, die man als „Versäulung“ bezeichnen kann. Die niederländische Bevölkerung teilte sich in Gruppen (Säulen) auf, je nach ihrer religiösen oder politischen Zugehörigkeit. So gab es die protestantische, die katholische, die sozialistische und die liberale Säule, jede mit ihrer eigenen Zeitung, einer eigenen Partei, eigenen Schulen und Vereinen. Die Juden bildeten nie eine eigene Säule, hatten aber dennoch eine eigene Zeitung. Die niederländischen Juden fühlten sich als Niederländer, die zionistische Bewegung hatte in Holland nie eine große Anhängerschaft. Nur etwa drei Prozent der niederländischen Juden waren Zionisten.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam es zu einer weiteren Einwanderungswelle jüdischer Migranten, die vor den Pogromen in Galizien, in Litauen und Polen geflüchtet waren. Sie fanden Platz im umfangreichen jüdischen Proletariat, das 60 % der Amsterdamer jüdischen Bevölkerung ausmachte.

Bei der letzten Vorkriegszählung im Jahre 1930 wurden fast 112.000 Angehörige jüdischen Glaubens gezählt. Zu dieser Zeit fiel die jüdische Geburtenrate, die jüdische Bevölkerung veralterte. 82 % der Juden lebten in den Provinzen Nord- und Südholland, allein in Amsterdam lebten 59 % aller Juden Hollands.

Nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten in Deutschland veränderte sich die Situation. Viele jüdische Flüchtlinge aus Deutschland nutzten die Niederlande als Durchreiseland, viele ließen sich jedoch auch hier nieder. Etwa 24.000 deutsche Juden dürften sich längerfristig in den Niederlanden aufgehalten haben. Für die deutschen Juden hatte Holland große Anreize: es lag nahe der Heimat, die Sprache war dem Deutschen ähnlich, viele hatten Bekannte oder Verwandte in Holland. In dem neu erbauten Viertel Nieuw Zuid entstand eine deutsche Kolonie mit eigenen Kabaretts und zwei Verlagen. Es gelang den deutschen Juden meist schnell, in den Niederlanden Fuß zu fassen, wenn sie dort auch nicht überall auf Sympathie stießen. Die Niederländer verabscheuten an den deutschen Juden nicht das Jüdische, sondern das Deutsche.

Dennoch wurde ihnen Hilfe zuteil. Schon im Jahre 1933 wurde durch den Zionisten und Professor für das Altertum, David Cohen, das „ Comité voor Joddsche Vluchtelingen“ errichtet. Der Zustrom der Flüchtlinge verstärkte sich nach der Reichspogromnacht 1938. Alleine zwischen dem 10. und dem 30. November 1938 kamen weitere 7.000 – 8.000 Flüchtlinge in den Niederlanden an. Zu diesem Zeitpunkt begann die niederländische Regierung den Flüchtlingsstrom anzuhalten, die Grenzen zu bewachen und die jüdischen Flüchtlinge zurück zu schicken, obwohl ihnen in Deutschland das KZ drohte. Im Herbst 1938 entschied die niederländische Regierung, Sammellager für die neu angekommenen Flüchtlinge zu errichten, das größte in der entlegenen Provinz Drente war das Lager Westerbork. Am 9. Oktober 1939 wurden die ersten tausend jüdischen Männer deutscher und österreichischer Herkunft in Westerbork eingewiesen. Die Männer wurden auf den umliegenden Torffeldern beschäftigt. Die Lagerinsassen waren schlecht untergebracht und schlecht versorgt. Als die Niederlande am 10. Mai 1940 von den deutschen Truppen besetzt wurden, fanden sie einen Teil der jüdischen Bevölkerung bereits „konzentriert“ vor.

Quellen

  • 704
    704. Anna Hájková , Die Juden aus den Niederlanden in Theresienstadt, in Theresienstädter Studien und Dokumente 2002 Academia-Verlag, , Prag , S. 137ff.
  • 705
    705. , Neues Lexikon des Judentums Bertelsmann Lexikon Verlag, , Gütersloh 1998 , S. 613.

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