Dicker-Brandeis, Friedl

Das Leben der jüdisch-österreichischen Künstlerin verlief zwischen Wien, Weimar, Hronov und Theresienstadt und endete in Auschwitz-Birkenau 1944.

„Dieses Leben hat mich von tausend Toden losgekauft mit dem Malen“, schrieb Friedl Dicker-Brandeis 1938. Mit dem Malen hatte sie auch in Theresienstadt in ihren Kunstklassen für Kinder zwar nicht deren Leben aber deren Seelen bewahren können. Für die meisten im Lager gab es keine Zukunft aber es gab eine Vergangenheit: an diese knüpfte die Lehrerin in der Existenz zwischen Leben und Tod an. Mit ihr schufen die Kinder Werke, die keiner Beschreibung bedürfen. Hier manifestierte sich die doppelte Kunst als Pädagogin und als Künstlerin.

Ihre eigene Lehre absolvierte sie in der Aufbruchszeit der Kunstpädagogik zwischen Wien und Prag. Selbst Schülerin des Kunstpädagogen Franz Cizek, der in Wien sein reformatorisches Konzept verwirklichte, entwickelte Dicker-Brandeis ihr Können im Berliner Bauhaus weiter. Lehrer wie Itten, Feininger oder Klee prägten sie. Entsprechend der Konzeption einer ganzheitlichen, Körper, Seele und Geist gleichermaßen schulenden Ästethik, gründete sie zusammen mit dem Architekten Franz Singer 1926 in Wien ein eigenes Atelier.

Architektur, Kunstgewerbe und Malerei bildeten die Säulen ihres vielfältigen Schaffens. Sie fertigte Entwürfe für das Theater von Berthold Viertel, entwarf Möbel und widmete sich den Bildern. 1928 wird sie von Hans Hildebrandt als eine Künstlerin bezeichnet, die zu den „vielseitigsten und originellsten Frauenbegabungen der Gegenwart zählt.“ In Wien konzipierte sie einen Kindergarten im Goethehof. Er war eines der Renommierprojekte des sozialdemokratischen Wien und existierte heute leider nicht mehr. Die Möbel waren so konstruiert, daß sie immer nur von zwei Kindern zusammen bewegt werden konnten – Kooperation galt als Nährboden für das künstlerische Erwachen. Singen, Tanzen, Malen und Geschirr waschen, es war eine Symbiose zwischen Sein und Gestalten. Georg Eisler, der Sohn des Komponisten, hatte zusammen mit vielen anderen Kindern die Chance, in dieser schöpferischen Atmosphäre seine eigenen Talente zu entwickeln.

Als Friedl Dicker-Brandeis aus politischen Gründen verhaftet wurde, emigrierte sie nach ihrer Entlassung nach Prag. 1936 heiratete sie Pavel Brandeis und wurde tschechoslowakische Staatsbürgerin. Viele in ihrem Kreis engagierten sich im Spanischen Bürgerkrieg, sie machte ihn auch für sich zum Thema. Mit ihrem Bild: „Fuchs lernt Spanisch“ sagt sie: „Wir sind keine Krieger, aber die Zeit verlangt Opfer von uns und wir, naiv und waffenlos, folgen ihrem Ruf. Wir sind dem Tod geweiht, aber wir geben nicht auf.“ Wie schon in Wien setzte sie auch in Prag ihre politische Arbeit im Untergrund fort. Hier führte sie aber auch mit Kindern, die an der Emigration litten, ihre berühmten Kunstklassen. Zwischen Therapie und schöpferischem Ausdruck bewegte sich die Bewältigungsarbeit, vollzog sich ihre politische Überzeugung. Gruppenarbeit ging vor Einzelunterricht. Für die traumatisierten Kinder, die von ihrem Zuhause in ein fremdes Land vertrieben worden waren, bedeutet dies eine hilfreiche Therapie. Friedl Dicker-Brandeis wurde auch hier zu einem Zentrum der Inspiration. „Das unwiderstehliche Verlangen, die Essenz einer Sache zu erfassen, kann einen wahnsinnig machen“, sagte sie einmal „Alles Schöne birgt ein Geheimnis. Schönheit ist weder Form noch Abbild der Natur, sie manifestiert sich in den Veränderungen der Vielfalt.“ 1938 erhält sie ein Visum für Palästina, aber sie wandert nicht aus – sie bleibt. „Ich könnte prinzipiell morgen nach Israel auswandern, aber ich habe eine Mission zu erfüllen, ich muss bleiben, was auch immer geschieht.“ 1942 wird sie nach Theresienstadt deportiert. Über 5.000 Bilder entstanden hier unter ihrer Anleitung. Eine ihrer Schülerinnen erinnerte sich an sie mit den Worten: „Sie war selbst die Medizin. Und bis heute ist mir das Geheimnis ihres Gefühls der Freiheit unfassbar. Es übertrug sich von ihr auf uns wie elektrischer Strom.“ Sie sei stärker als gedacht, schrieb sie noch in einem letzten Brief. Selbst den Tod vor Augen, organisierte sie den Malunterricht für die Kinder, um sie mit Zeichnen abzulenken und vor der Wahrnehmung des Grauens zu schützen.

1944 wird sie nach Auschwitz deportiert, nicht ohne vorher die Bilder der Kinder in Koffer zu verpacken, die von Lagerleiter Willy Groag auf dem Dachboden versteckt und 1945 zur Jüdischen Gemeinde nach Prag gebracht wurden. Diese Zeichnungen sind ein Vermächtnis.

Quellen

  • 207
    207. vergl. Vom Bauhaus nach Theresienstadt , Katalog der Ausstellung des Jüdischen Museums Frankurt/M. 1991

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