1895-1944
Franz Kahn wurde im Jahr 1895 in Pilsen geboren. Er wurde nach der Emigration seines Vaters in die USA von seiner Großmutter erzogen. Er studierte Jura, arbeitete jedoch nie in diesem Metier und benutzte auch nie den entsprechenden Titel. Bald wurde er zu einem führenden Mitglied der allgemeinen Jugendbewegung Blau-Weiß (Techelet-Lavan), die zunächst in Deutschland und während des 1. Weltkrieges in Böhmen gegründet wurde und die im Verlaufe des Krieges immer zionistischer wurde. Kahn wurde Soldat, kämpfte im 1. Weltkrieg und wurde schwer verwundet, verlor dabei eine Hand. Als seine zionistischen Freunde im Jahr 1920 nach Palästina emigrierten und dort das Kollektiv Cheftz-iba gründeten, schloss sich Kahn nicht an. Es ist anzunehmen, daß er glaubte, daß er der zionistischen Idee in der Diaspora mehr nützen könne.
Als im Jahre 1921 Dr. Josef Rufeisen zum Vorsitzenden der Tschechoslowakischen Zionistischen Organisation gewählt wurde, machte er Kahn zu seinem persönlichen Sekretär und wenig später auch zu seinem Stellvertreter. Kahn wurde zu einem der wichtigsten Organisatoren des 12. Zionistenkongresses, der im gleichen Jahr in Karlsbad stattfand. Von nun an bis zum Ausbruch des 2. Weltkrieges beteiligte sich Kahn aktiv an der Vorbereitung der zionistischen Kongresse.
Viktor Fischl-Avigdor Dagan, der Redakteur der Jüdischen Nachrichten, schilderte Kahn als einen Menschen, der seiner Familie ergeben und bei den Freunden und Bekannten beliebt war, der in der Lage war, geduldig die Meinungen anderer anzuhören und fähig, verantwortlich darauf zu reagieren. Ein anderer mit Kahn zusammenarbeitender Funktionär fügte hinzu: „Er war ein Mensch mit hoher Bildung, sich nach hohen Zielen sehnend, der die Wirklichkeit mit finsterem Blick betrachtete. Er hasste leere Worte und Selbstbetrug. Im Zionismus sah er die Verantwortung für das Schicksal des Jüdischen Volkes, eine globale Verantwortung, und deshalb schrieb er ihm die ständige Pflicht zu, sich um die Besserung der jüdischen Gemeinschaft in der Diaspora zu kümmern, allerdings vor allem in Palästina. Den Sinn seiner Funktion sah er in der Gestaltung eines geeigneten Rahmens der zionistischen Bewegung, und mit Liebe und auch außergewöhnlicher Initiative widmete er sich dieser organisatorischen Arbeit.“
Rufeisen und Kahn und andere Funktionäre in ihrem Umkreis fühlten sich zum Sozialismus hingezogen. Sie glaubten fest daran, daß dessen Grundsätze zur Grundlage des neuen jüdischen Staates werden würden, da sie ihre Wurzeln in der nationalen jüdischen Tradition seit dessen Entstehen hatten. Sie unterstützten deswegen die Linie, die Chaim Weizmann und die Organisation der Allgemeinen Zionisten und die Arbeiterpartei Palästinas (später Mapai) vorgab.
Kahn bemühte sich um den Kontakt zur Jugend und arbeitete hier eng mit Jakob Edelstein zusammen, der als Kopf der zionistischen Arbeiterbewegung bei der jüdischen Jugend sehr beliebt war.
Die deutsche Okkupation Österreichs im März 1938 und die steigende Angst vor dem aggressiven Hitlerfaschismus brachten Franz Kahn dazu, daß er auch in der CSR das Institut Alijat hanoar gründete, welches sich mit der Emigration von Jugendlichen nach Palästina beschäftigte. Hinzu kam in diesen Jahren das Problem der jüdischen Emigration aus Deutschland und Österreich. Juden aus dem Sudetenland mussten betreut werden. Die Masse der jüdischen Emigranten konzentrierte sich in Prag. Die zionistische Leitung, die in den zwanziger Jahren nach Mährisch Ostrau verlegt wurde, kehrte zurück nach Prag, denn hier saßen die ausländischen Vertretungen und waren die Konsulate angesiedelt, von denen man nun Visa besorgen musste. Auch Franz Kahn kehrte mit seiner Familie nach Prag zurück.
Als die Deutsche Wehrmacht am 15. März 1939 Böhmen und Mähren besetzte, schlug Kahn auf einer schnell einberufenen Versammlung vor, daß die führenden Funktionäre der zionistischen Bewegung und die in der Erziehung tätigen Funktionäre das Land verlassen sollten. Er selbst allerdings wollte bleiben.
Jakob Edelstein war anderer Ansicht. Er sah in dieser bedrohlichen Situation eine Chance für die zionistische Bewegung, die Masse der jüdischen Bevölkerung zu erreichen. Eine Mehrheit in der zionistischen Führungsgruppe teilte die Meinung Edelsteins, die allerdings schon am gleichen Tag einen Dämpfer erhielt.
Am Nachmittag des 15. März wurde das Büro des Hechalutz, in dem Kahn und andere arbeiteten, von deutschen Sicherheitskräften durchsucht, die Mitarbeiter verhört und Kahn zur Kontaktperson zwischen den jüdischen Organisationen und dem Sicherheitsdienst bestimmt. Kahn ahnte schon damals, daß der Kontakt zu den Deutschen unweigerlich zur Folge hatte, daß die Juden ihn missachteten und er sträubte sich gegen eine solche Zusammenarbeit. Dagegen hielt Edelstein diese Zusammenarbeit für unbedingt notwendig und so hatte Edelstein in Folge intensiveren und häufigeren Kontakt zu den Deutschen als Kahn. Edelstein gab sich den Deutschen sehr unterwürfig und Kahn sagte einmal zu ihm: „ Steh wenigstens nicht stramm, wenn Du mit ihm (Fuchs, der Vertreter der Prages Gestapo) sprichst.“ Kahn und Edelstein galten in dieser Zeit als die offiziellen Vertreter der zionistischen Bewegung gegenüber den staatlichen Behörden.
Kahn war Mitglied des 21. Zionistenkongresses, der Ende August 1939 in Genf stattfand. Die Mitglieder der Protektoratsdelegation nahmen die Einladung ihrer Kollegen nicht an, in der Schweiz zu bleiben. Bis auf Dr. Fritz Ullmann kehrten alle ins Protektorat zurück, Ullmann sollte auf Bitten seiner Kollegen als Mittelsmann zur Freien Welt in Genf bleiben.
Im Oktober 1939 gelang es Kahn, seine Tochter und seinen Sohn nach England zu schicken. Seiner Tochter gelang die Weiterreise nach Palästina. Dr. März, ehemals Vorsitzender der zionistischen Organisation, war Ende 1939 nach Palästina emigriert und versuchte dort, Einreisepapiere für Kahn und seine Frau zu beschaffen. Kahn lehnte die Ausreise jedoch ab.
Edelsteins Konzept war es, die Juden durch Kooperation mit den Deutschen im Land zu behalten. Er wollte den Deutschen die Arbeitskraft tausender jüdischer Menschen schmackhaft machen. Kahn selbst sah keine Alternative, aber glaubte nicht daran, daß man auf diesem Wege die Juden retten konnte. Edelstein förderte deswegen die Pläne, einen Sammelort für Juden in Böhmen zu finden. Als er dann selbst im Dezember 1941 nach Theresienstadt kam, sah er, daß er von den Deutschen getäuscht worden war, die Juden in Theresienstadt von der Außenwelt isoliert waren und Theresienstadt auch kein Endpunkt, sondern nur Durchgangsstation auf dem Weg in den Osten war. Gerade dies hatte er verhindern wollen. Kahns düstere Prognosen erfüllten sich. Nach Edelsteins Weggang nach Theresienstadt konnten Kahn und seine Frau noch ein Jahr lang weiter in der jüdischen Gemeinde Prag arbeiten. Im Januar 1943 nahmen die Deutschen Kahn und Richard Friedmann am Arbeitsplatz fest und deportierten sie nach Theresienstadt. Einen Tag später folgten ihre Ehefrauen.
Kahn und Friedmann lehnten es ab, eine bedeutende Rolle in der jüdischen Selbstverwaltung Theresienstadts zu übernehmen, wohl auch, weil der Ältestenrat die Listen derer zusammenstellen musste, die in den Osten deportiert werden sollten. Kahn übernahm die Funktion des Fachleiters für das Vorlesungswesen im Rahmen der Kulturabteilung, wobei er sich auf zionistische oder andere jüdische Themen spezialisierte. Der Historiker Hans Günther Adler charakterisierte Kahn so: „Der klügste und der geachtetste, einer der begabtesten Zionisten im Ghetto.“
Kahn blieb auch im Ghetto unter den unmenschlichsten Bedingungen seinen demokratischen und humanistischen Grundsätzen treu.
Inzwischen versuchte Kahns in den USA lebende Schwester für Kahn und seine Frau amerikanische Pässe zu bekommen. Vergeblich.
Am 4. Oktober 1944 wurden Kahn und andere Funktionäre der jüdischen Selbstverwaltung nach Auschwitz deportiert und dort ohne Selektion in die Gaskammer geschickt.