Der Kaiser von Atlantis

„Der Kaiser von Atlantis oder die Tod-Verweigerung“ ist ein Werk, dessen Ausstrahlung bis heute ungebrochen erscheint.

Die Musik stammt von Victor Ullmann, das Libretto von dem Maler und Dichter Petr Kien. Es gibt zwei geringfügig voneinander abweichende Ausgaben des Librettos. Der ursprüngliche Untertitel lautete Der Tod dankt ab. Mit Zustimmung Kiens änderte Ullmann den Text an einigen Stellen, so schwächte er direkte Anspielungen auf die aktuellen politischen Verhältnisse ab.

Es ist unklar, wann Ullmann an dieser Oper zu arbeiten begann. Die letzte Seite der 140seitigen Partitur, die auf der Rückseite von Häftlingsformularen geschrieben wurde, ist mit dem 8. November 1943 datiert. Die Oper war also zu dem Zeitpunkt fast fertig, als sich das Musik- und Kulturleben im Ghetto Theresienstadt sprunghaft entfaltete.

Das Thema war bildhaft und aussagekräftig, keiner, der nicht verstanden hätte, daß es um Hitler und um den Weltkrieg ging:
Der Kaiser von Atlantis herrscht als Tyrann über sein Land und führt Krieg, weil er sich bereichern und größere Macht gewinnen will. Dem als Person auftretenden Tod befiehlt er, die feindlichen Soldaten niederzustrecken. Aber der lehnt das ab, verweigert sich ganz und streikt. Nun stirbt überhaupt niemand mehr. Das Leben verfällt in Lähmung ohne den Tod, der Kaiser kann nichts mehr ausrichten, sein Land versinkt im Chaos. Verzweifelt fleht der Herrscher in seiner Ohnmacht den Tod an, mit seinem Werk doch wieder fortzufahren. Aber vergeblich. Am Ende willigt der Tod schließlich ein, seine Rolle wieder zu spielen, stellt aber zur Bedingung, daß der Kaiser das erste Opfer sein soll.

Der Kaiser von Atlantis ist als Kammeroper für sieben Sänger und dreizehn Instrumentalisten ohne Chor komponiert. Alles spricht dafür, daß Ullmann eine gewisse Vorstellung davon hatte, welche Theresienstädter Musiker die Partien übernehmen sollten. Das vorgesehene Orchester umfasste neben den üblichen Holzinstrumenten – Flöte, Oboe und Klarinette sowie Violine, Bratsche, Cello und Kontrabaß – eine Trompete, ein Altsaxophon, ein Tenorbanjo, Schlagzeug und Cembalo.

Ullmann arbeitete auch bei dieser Komposition mit Zitaten aus bekannten Werken oder Melodien, um bestimmte Absichten zu verdeutlichen und für jeden verständlich zu symbolisieren. Das Motiv des Todes ist Suks Asrael und Dvoraks Requiem entnommen, als parodierende Anspielung auf den Kaiser Overall und „sein“ Land zitiert er Passagen der deutschen Nationalhymne und Luthers ehrwürdigen Choral Ein feste Burg ist unser Gott. 1975, bei der Uraufführung in Amsterdam, unter der Leitung von Keery Woodward, aber auch bei späteren Inszenierungen in Europa oder den USA fühlten sich Kritik und Publikum in vieler Hinsicht an Werke von Kurt Weill erinnert. Diese Paralelle gilt aber nur bedingt. Es gibt Ähnlichkeiten bei einzelnen Bildern, der Gesamtcharakter der Musik ist aber durchaus eigenständig.

Mit den Proben für Der Kaiser von Atlantis wurde im Sommer 1944 begonnen, zu einer Aufführung kam es jedoch nicht mehr. Schächter sollte dirigieren und Karl Meinhardt die Regie übernehmen, beide arbeiteten mit den Sängern in L 411 und hielten hier alle Proben und Korepetitionen ab. Bühnenbild und Kostüme hatte Petr Kien entworfen. Folgende Besetzung war vorgesehen: Kaiser Overall – Walther Windholz, Tod – Karel Berman, Trommler – Hilde Aronson-Lindt, Mädchen – Marion Podolier, also ein Ensemble von höchstem Niveau.

Es ist unklar, warum es zu der Premiere und einer Aufführung nicht mehr kam. Es mag sein, daß die SS nach einer der Proben die Aufführung verboten hat, vielleicht sind aber auch die beteiligten Musiker nach Auschwitz deportiert worden, noch ehe die Inszenierung stand und die Proben abgeschlossen wurden. Möglicherweise haben die Akteure aber auch auf die Uraufführung verzichtet, weil sie erkannten, daß dieses unverhohlen antifaschistische Werk bei einer Aufführung wütende Reaktionen der SS provozieren könnte.

In der Geschichte der modernen Oper findet sich kein eindrucksvollerer Beweis dafür, wie ein groß angelegtes Kunstwerk brennende Fragen der Gegenwart allegorisch aufgreift, ohne dabei etwas von seinem künstlerischen Rang einzubüßen.

Quellen

  • 959
    959. Milan Kuna , Musik an der Grenze des Lebens Verlag Zweitausendeins, , Frankfurt/Main 1998 , S. 317f.

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