Kárný, Miroslav

Miroslav Kárný wurde am 9. September 1919 als Sohn einer assimilierten jüdisch-tschechischen Familie in Prag geboren. Seine Eltern wohnten damals in der Altstadt, zogen erst später ins Letná-Viertel. Hier lebte die Familie Kárný dann bis zu ihrer Deportation nach Theresienstadt.

Der Vater war Geschäftsreisender. Er war schon früh aus der jüdischen Kultusgemeinde ausgetreten und so wurden auch die Kinder nicht im jüdischen Glauben erzogen. In der Familie feierte man Weihnachten und die anderen christlichen Feste. Judentum und jüdische Feiertage lernte Miroslav Kárný erst im Theresienstädter Ghetto kennen. Wie seine Geschwister, besuchte Miroslav Kárný ausschließlich tschechische Schulen. 1938 legte er das Abitur am Akademischen Gymnasium ab. In Letná betrieb die Familie einen Süßwarenladen, der in der Wirtschaftskrise in den 30er Jahren bankrott ging. Bis zur Deportation betrieb Miroslavs Mutter dann im gleichen Gebäude ein Galanteriewarengeschäft, das nicht besonders gut lief. Miroslavs Sinn für soziale Gerechtigkeit und die Armut seiner Familie brachte ihn in jungen Jahren in die Reihen der marxistisch orientierten Linken. 1937 wurde er Mitglied der Kommunistischen Partei. Schon als Mittelschüler engagierte er sich in der Organisation Mladá kultura (Junge Kultur), einer Sektion der Liga pro lidská práva (Liga für Menschenrechte). Nach dem Abitur begann er mit dem Studium von Tschechisch und Geschichte an der philosophischen Fakultät der Karlsuniversität in Prag. Er trat der kommunistischen Fraktion der Hochschulstudenten bei. Für seine erste an der Hochschule erarbeitete Studie wählte er das Thema ´ Hussitentum und die Juden“. Am 17. November 1939 endete das Studium Miroslav Kárnýs wegen der Schließung der Hochschulen durch die deutschen Okkupanten. Aus dem Studenten der Karlsuniversität wurde ein Landarbeiter, der in Planá nad Lužnicí arbeitete. Erst 1941 kehrte er nach Prag zurück. Am 24. November 1941 fuhr Miroslav Kárný zusammen mit 342 jungen Männern, dem sogenannten Aufbaukommando, nach Theresienstadt, um die Stadt für die Aufnahme von Sammeltransporten vorzubereiten. Damit begann für Miroslav Kárný ein etwas mehr als dreijähriger Aufenthalt in nationalsozialistischen Konzentrationslagern. Er half anfangs beim Ausräumen der Kasernen. Er transportierte das Gepäck der deportierten Personen und erhielt dann Arbeit im Wasserwerk zugewiesen, kontrollierte Pumpstation und Wasserstände. Diese Arbeit behielt er bis zum Ende seines Ghettoaufenthaltes in Theresienstadt.

Zunächst wohnte Miroslav Kárný in der Sudetenkaserne, teilte sich dann mit einem Mithäftling einen alten Ziegenstall. Im Sommer 1942 kamen auch seine Eltern und der jüngere Bruder Zdeněk ins Ghetto, seine Großmutter starb in Theresienstadt. Kárný schloss sich bald der Widerstandsbewegung im Ghetto an, gab zwei Jahre lang die handvervielfältigte illegale Zeitschrift „Přehled“ (Übersicht) heraus. Er lernte dabei die vier Jahre jüngere Margita Krausová kennen, die zu seiner Mitarbeiterin und Lebensgefährtin wurde. Das erste Mal heirateten sie im Januar 1944 im Ghetto, das zweite Mal Ende 1945 in Prag.

Im Herbst 1944 begann die letzte Welle der Transporte von Theresienstadt in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Jetzt wurden fast alle jungen Leute deportiert, Mitglieder in den Gremien der Selbstverwaltung und Mitglieder der bisher transportgeschützten Gruppen der Aufbaukommandos. In der Nacht zum 28. September 1944 fuhren 2.499 Personen mit dem Transport EK aus Theresienstadt ab, unter ihnen Miroslav Kárný und sein Bruder Zdeněk. Nach kurzem Aufenthalt in Dresden fuhr der Zug weiter nach Auschwitz.

Nach der Ankunft auf der Rampe wurde der Transport selektiert. Unter denen, die der Arzt auf der Rampe zum Tod in die Gaskammern schickte, befand sich auch Miroslavs Bruder Zdeněk. Wenig später meldete sich seine Frau Margita freiwillig für einen Ort in den Osten, weil sie hoffte, hier ihren Mann wiederzufinden. Am 6. Oktober 1944 wurden die Eltern Kárnýs mit dem Transport Eo nach Auschwitz deportiert und in den Gaskammern ermordet. Miroslav Kárný kam von der Rampe aus in das ehemalige Zigeunerlager in Birkenau (BIIe). Er wurde nicht tätowiert und galt als Durchgangsjude. Nach ca. 14tägigem Aufenthalt in Birkenau wurde er zusammen mit 1.500 anderen Häftlingen nach Kaufering deportiert, einem Außenlager des Konzentrationslagers Dachau. Hier wurden die Häftlinge, unter ihnen sowjetische Kriegsgefangene und ungarische Juden, vorwiegend für den Bau von Produktionsanlagen des Flugzeugbaus eingesetzt. Kárný überstand den Hunger, die schlimmen Wohnbedingungen in Erdhöhlen, längere Krankheit, den Marsch nach Landsberg und den Todesmarsch nach Allach bei Dachau, wo er schließlich befreit wurde.

Nach einigen Wochen in Quarantäne kehrte er nach Prag zurück, dreieinhalb Jahre, nachdem er vom Masaryk-Bahnhof aus mit dem Aufbaukommando 1 nach Theresienstadt gefahren war. In Prag traf er seine Frau Margita wieder, die im KZ Kudowa-Sakisch befreit worden und schon vor ihm nach Prag zurückgekehrt war.

Am 1. Juli 1945 begann Miroslav Kárný als Redakteur bei der Rudé Právo (Rotes Recht) in Prag zu arbeiten. 1951 wurde er im Zuge der Kampagne gegen die sogenannte zionistische Gefahr entlassen. Sein Stiefbruder Jiří, der bis 1952 Generalsekretär der tschechoslowakischen Industrie war, wurde zusammen mit Josef Smrkovský und anderen in einem der letzten großen politischen Prozesse 1954 verurteilt.

Miroslav Kárný arbeitete ab 1952 in der Redaktion der Zeitschrift „Kladenský kovák“ (Kladnoer Metallarbeiter) in den Vereinigten Stahlwerken Kladno. Hier begann er sich der Forschungsarbeit zu widmen. Die Ergebnisse veröffentlichte er zusammen mit anderen Autoren in der Studie „ Sto let kladenských železáren“ (Hundert Jahre Kladnoer Eisenwerke). Das 1959 herausgegebene Buch wurde zum Standardwerk für die Geschichte der Industriebetriebe in der Tschechoslowakei. Wenig später wurde er Vorsitzender der Kommission für die Geschichte der Betriebe.

1958 begann er in der Redaktion der Tageszeitung „Svoboda“ (Freiheit) zu arbeiten und wurde später ihr Chefredakteur. Er war an den Vorbereitungen für den „Prager Frühling“ beteiligt, arbeitete 1968 im Zentralausschuss der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei, den er 1969 verlassen musste. 1974 wurde er pensioniert und widmete sich fortan ganz der historischen Forschung. Bereits 1974 erschien seine erste Studie über die Geschichte des Ghettos Theresienstadt, ein Jahr später eine zweite. 1976 wurde sein Projekt „Nazistische Lösung der Judenfrage in tschechischen Ländern“ angenommen.

Ergebnisse dieser Forschung veröffentlichte er in der Zeitschrift "Judaica Bohemiae" und in ausländischen Periodika. Die Ergebnisse seiner 15jährigen Arbeit fasste er 1989 in dem Buch „Konečné řešeni: Genocida českých židů v německé protektorátní politice“ (Endlösung: Der Genozid der tschechischen Juden in der deutschen Protektoratspolitik) zusammen, das 1989 im Verlag Academia herausgegeben wurde. Weitere Veröffentlichungen in „ Hlas revoluce“ (Stimme der Revolution) des Verbandes der antifaschistischen Widerstandskämpfer und anderen Zeitschriften, die unermüdliche Arbeit in den Archiven, ließen ihn bereits vor der Wende zu einen im In- und Ausland geschätzten Fachmann der Holocaustforschung werden.

Nach der Wende beteiligte sich Miroslav Kárný Anfang der 90er Jahre an dem Aufbau der Theresienstädter Initiative, der internationalen Vereinigung der Häftlinge des Theresienstädter Ghettos. Er war einer der zehn Gründer und bis 2001 auch der stellvertretende Vorsitzende. 1994 war er Mitbegründer der Stiftung Theresienstädter Initiative, die der Ort wurde, an dem sich die Erforschung der Geschichte des Theresienstädter Ghettos konzentrierte. Viele Jahre lang veröffentlichte er seine Studien in ausländischen Sammelbänden und Fachzeitschriften. 1994 initiierte er die Entstehung des Jahrbuches „Theresienstädter Studien und Dokumente“ und es ist vor allem sein Verdienst, daß dieses Jahrbuch inzwischen internationale Anerkennung erworben hat. Fünf Jahre später initiierte er die Gründung der „Bibliothek des Instituts Theresienstädter Initiative“, in der Monographien herausgegeben werden sollten. Miroslav Kárný war Organisator und Vorbereiter von Fachkonferenzen, die in den neunziger Jahren in der Gedenkstätte Theresienstadt veranstaltet wurden.

Sein großes Verdienst aber ist die Mitarbeit am Aufbau der Datenbank aller Theresienstädter Ghettohäftlinge und die Herausgabe dreier Bände des Theresienstädter Gedenkbuches. Zusammen mit anderen setzte er den Opfern des Holocaust ein Denkmal. Bis zuletzt arbeitete er an dem Manuskript des „Terezínské kalendáriums" (Theresienstädter Kalendarium).

Miroslav Kárný starb am 9. Mai 2001.

Jiří Koutoc, ehemaliger Häftling und Freund des Verstorbenen, schrieb nach seinem Tod: „Wenn ein künftiger Historiker noch tieferblickend und vollständiger den tschechischen Holocaust wird darstellen wollen, wird er zu dieser großen Synthese unbedingt das Werk Miroslav Kárnýs brauchen.“

Quellen

  • 369
    369. Jaroslava Milotová , Miroslav Kárný (1919 - 2001) in: Theresienstädter Studien und Dokumente 2002 Academia-Verlag, , Prag , S. 25ff.
  • 776
    776. Miroslav Kárný , Sieben Monate Kaufering in: Theresienstädter Studien und Dokumente 2002 Academia-Verlag, , Prag , S. 13ff.

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