Pitter, Premysl

1895–1975

Humanist, dessen Wirken für jüdische Kinder und deutsche Kinder nach Kriegsende 1945 von H.G. Adler besonders gewürdigt wird.

Olga Fierz, die schweizerische Helferin Pitters, erinnert in ihrem in Basel 1956 erschienenen Buch „ Über den Erdenstreit – Erinnerungen an bewegte Zeiten in Prag“ daran und schreibt, daß Pitter am 22. Mai 1945 die ersten 40 jüdischen Kinder aus Theresienstadt übernommen hat und am 26. Juni 1945 die ersten 30 deutschen Kinder aus tschechischer Gefangenschaft gerettet und in seinen Heimen untergebracht hat. Viele deutsche Kinder seien dabei aus der Kleinen Festung geholt worden.

Premysl Pitter sammelte Anfang der dreissiger Jahre, als sich die Tschechoslowakei, wie andere Länder auch, in einer schweren Wirtschaftskrise befand, Geld für die Errichtung eines Kinderhauses im Arbeiterbezirk Ziskow. Das nach dem böhmischen Reformator Jan Milíč aus Kroměříž genannte Milíč-Haus wurde am 24. Dezember 1933 gegründet. Es wurde mit der Zeit zu einer bedeutenden Bildungseinrichtung. Vor allem Kinder aus sozial schwachen Familien wurden hier betreut und gefördert. Pitter wurde dabei von verschiedenen Pädagogen, z. B. Olga Fierz unterstützt. Bereits 1934 begann Pitter durch Vermittlung der englischen Quäkerkirche Kinder deutscher Emigranten aufzunehmen, die vor dem Naziregime aus Deutschland geflohen waren. Während der Naziokkupation riskierten Pitter und seine Mitarbeiter immer wieder ihr Leben, um verfolgten jüdischen Kindern zu helfen, sie zu verstecken und zu versorgen. Im Januar 1945, als die Gestapo in Prag noch unbegrenzte Macht ausübte, gründete Pitter einen Ausschuss zur Hilfe für jüdische Kinder, wenn sie aus dem KZ zurückkämen. Seine Verbindung zum tschechischen Widerstand und seine Position als Mitglied der Sozial- und Gesundheitskommission des Tschechischen Nationalrates führten dazu, daß ihm noch in den ersten Tagen des tschechischen Aufstandes im Mai 1945, als in den Straßen Prags noch geschossen wurde, vier Schlösser als Erholungsheime für die Kinder zur Verfügung gestellt wurden. Bereits damals protestierte Pitter gegen den „Gestapoismus“, gegen die Nachahmung der nazistischen Greuelmethoden, die von den tschechischen Behörden gegenüber den Deutschen angewandt wurde. Er verschaffte sich Zutritt zu den Internierungslager für Deutsche, erstattete den Behörden Bericht über die erschütternden Verhältnisse und erwirkte die Bewilligung, Kinder ohne Angehörige und kranke Kinder in seinen Erholungsheimen unterzubringen. Die deutschen Kinder kamen ganz gegen die Logik der Zeit in eine Umgebung, die sich durch Freundlichkeit, aufgeklärte erzieherischer Grundsätze und vor allem durch vorbehaltlose Solidarität auszeichnete. Pitter musste sich deswegen mehrfach gegen Anschuldigungen, er unterstütze feindliche Elemente, verteidigen. Pitter holte die Kinder aus den Konzentrations- und Internierungslagern und schuf ihnen in den Erholungsheimen ein vorrübergehendes Zuhause. Jüdische und deutsche Kinder wurden gleich liebevoll betreut, waren jedoch in ihrer Verfassung und in dem inneren Drama, das sie erlebten, verschieden. Während jüdische Kinder bereit waren zu helfen und deutsche Kinder aufzunehmen, waren diese nicht nur Kinder der Feinde, sondern selbst durch Feindseligkeit geprägt. Jahrelang im Gefühl der Überlegenheit und des Hasses erzogen, verhärteten sie sich im Unglück. „Wir fürchteten, daß ihr Charakter vollkommen gekrümmt sein würde. Er war es jedoch nicht“ (Olga Fierz). Freilich waren sie misstrauisch und verschlossen. Nur langsam öffneten sie ihre Herzen. Etwa 800 Kinder betreute Pitter in seinen Einrichtungen, wurde dabei von vielen freiwilligen Helfern unterstützt.Hans Günther Adler arbeitete zeitweilig mit ihm zusammen.

Eines der deutschen Kinder hat sich damals notiert: Auf die Aufforderung, den deutschen Kindern doch die Greueltaten zu erzählen, die von Deutschen begangen worden waren, entgegnete Pitter: „Nein, das werde ich nicht tun. Ich glaube nicht, daß ich jemanden dadurch besser machen könnte, daß ich ihm das Böse erzähle. Die Menschen können nur dadurch besser werden, daß wir ihnen das Gute zeigen.“

Pitter war nie ein Nationalist, aber ein Patriot im anspruchsvollem Sinne. „Mit welchen Namen brüstete sich das tschechische Volk vor der ganzen Welt? Waren es nicht Hus, Commenius und Masaryk, Namen, die für Humanismus und Demokratie stehen? Von den Nazis erwartete niemand etwas Gutes. Aber vom tschechischen Volk! Wo ist also die größere moralische Schuld?“ Mit diesen Worten beendete Pitter einer seiner zahllosen Artikel gegen den Abschub/Vertreibung, Begriffe, die er immer wieder benutzte.

Nach der kommunistischen Machtübernahme wurde Pitters Position immer schwieriger. Seine enge Mitarbeiterin Olga Fierz wurde als unerwünschte Ausländerin schon früh abgeschoben, Pitter verließ 1951 das Land, er musste vor einer drohenden Verhaftung fliehen. In Valka bei Nürnberg versah dieser evangelische Prediger und Pädagoge dann soziale Dienste in einem Lager für Ostflüchtlinge. Zusammen mit Olga Fierz ging er dann in die Schweiz, wo er nach dem Zusammenbruch des Prager Frühlings tschechische Emigranten betreute.

Quellen

  • 637
    637. Hans Günther Adler , Theresienstadt 1941 - 1945, Das Antlitz einer Zwangsgemeinschaft Mohr - Verlag, , Tübingen, 2. Aufl. 1960 , S. 730.
  • 638
    638. Radio Prag 7 , 11 2004,

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