Die Jüdische Bevölkerung Böhmen und Mährens

František Palacký berichtet in seinem Hauptwerk Die Geschichte der tschechischen Nation, dass die Anwesenheit von Juden in Böhmen bereits für das 10. Jahrhundert dokumentarisch nachgewiesen ist. Der Historiker Václav Tomek schreibt in seiner Geschichte der Stadt Prag, dass Juden wahrscheinlich zur Zeit der heidnischen Markomannen in Böhmen gelebt haben und in hohem Ansehen standen.

Im Jahre 1076 lebten 5.250 Juden in Prag. König Vratislav gewährte ihnen 1092 die gleichen Rechte wie den deutschen Kaufleuten. Aber schon 1096 kam es durch deutsche Kreuzritter, die auf dem Weg ins Heilige Land durch Prag zogen, zu einem ersten Pogrom. Die Juden wurden zur Taufe gezwungen, wer sich widersetzte, erschlagen. Proteste des Prager Bischofs Kosmas wurden nicht beachtet.

Unter der Regierung König Wenzels I. wiederholten sich die durch Kreuzfahrer verübten Pogrome Mitte des 13. Jahrhunderts. Vom König heimlich unterstützt, leisteten die Juden dieses Mal Widerstand. An die 200 Kreuzfahrer wurden getötet.

Dennoch nahm in Folge der Einfluß der Juden in Prag ab, der der deutschen Kaufleute zu. Die Kreuzfahrer waren es gewesen, die in Böhmen den Antisemitismus auslösten.

Die Rechte der Juden beruhten auf Privilegien, die ihnen von König Přemysl Otokar II. im Jahre 1254 gewährt worden waren. Diese Privilegien wurden vom König Johann von Luxemburg und 1356 von Karl IV. bestätigt, der ihnen zudem das Recht auf eine eigene Fahne zuerkannte (heute noch in der Altneusynagoge zu sehen).

In der Hussitenzeit wurden Bemühungen unternommen, den Juden Gleichberechtigung zu gewähren. Sie durften die Ghettos verlassen und die Zahl der jüdischen Gemeinden in Böhmen und Mähren verdoppelte sich.

König Wladislaw II. erließ im Jahre 1492 eine weithin unbekannte Verordnung: Es wurde den Juden das Recht gewährt, doppelte Zinsen zu verlangen. Wo ein Christ 10 Prozent im Jahr nahm, konnte ein Jude 20 Prozent verlangen: „ Erst müssen sie dem König geben, was des Königs ist, dann müssen sie dem Gott, dem sie dienen, ihren Zins entrichten, sie müssen in jedem Amt bezahlen, an das sie sich wenden, und schließlich müssen sie auch etwas haben, um selbst mit ihren Frauen und Kindern leben zu können.“

Das also war der „jüdische Zinswucher“ in der Praxis. Der König, der Adel und die Beamten erhielten Geld. Sie selbst durften kein Geld gegen Zinsen verleihen, weil dies durch die Gesetze der Kirche verboten war. So blieben sie rein und sündenlos, profitierten aber dennoch, weil die Juden ihnen ihren Anteil an den geforderten Zinsen zahlen mußten.

Auf dem allgemeinen Landtag Böhmens wurde 1501 beschlossen, daß die Juden für alle Zeiten von der tschechischen Krone geduldet werden sollten. Beging einer von ihnen ein Verbrechen, so sollte nur er alleine aber nicht die gesamte Judenschaft bestraft werden. Dies war für die damalige Zeit eine sehr fortschrittliche Regelung.

Im Jahre 1622 wurde der erste Jude in den Adelsstand erhoben. Es war der Hofbankier Jacob Bassevi, der von Ferdinand I. den Adelstitel „von Treuenberg“ erhielt. Sein Wappen, blauer Löwe und acht rote Sterne, ist heute noch am Grabstein seiner Frau auf dem alten jüdischen Friedhof in Prag zu sehen.

1726 wurde die Zahl der jüdischen Familien in Böhmen und Mähren festgestellt. Man kam auf die Zahl 8.600. Dreißig Jahre später, 1753, wurden bereits 10.825 gezählt. Die Zahl der damals in Böhmen und Mähren lebenden Juden kann deswegen auf 50.–70.000 geschätzt werden. Die Juden lebten in ihren eigenen Gemeinden. Josef II. (1780–1790 beherrschte er auch Böhmen und Mähren) schaffte diese Judengemeinden ab, doch wurden gleichzeitig Erleichterungen geschaffen. Juden durften in Häusern außerhalb des Judenviertel wohnen, wenn sie dort eine Manufaktur betrieben. Geschäftsleute durften überall wohnen und überall ihren Geschäften nachgehen. Der Nachfolger Kaiser Josefs II., Leopold II., gestattete Juden den Besuch der Universitäten, den Erwerb der Doktorwürde und das Recht, als Anwalt vor Gericht zu erscheinen.

Volle Gleichberechtigung vor dem Gesetz erlangten die Juden allerdings erst 1848 und dann endgültig 1860, als die Staatgrundgesetze erlassen wurden. Hinsichtlich des jüdischen Bevölkerungsanteils kamen die amtlichen Zählungen auf folgende Ergebnisse:

Seit der Jahrhundertwende hatte die Zahl der Juden in Böhmen und Mähren durch Auswanderung oder Wechsel des Glaubensbekenntnisses abgenommen, denn die Volkszählung registrierte nur die Personen, die sich zur jüdischen Religion bekannten.

Nach der Volkszählung von 1930 waren von den 67.173 erwerbstätigen Juden 37.883 selbständige Unternehmer, die übrigen 29.290 waren als abhängig Beschäftigte tätig. Die Zahl der Arbeiter belief sich auf 5.435, die der Büroangestellten auf 13.969. Der Rest übte verschiedene andere Berufe aus.

Bereits nach dem Diktat von München, der Besetzung des sogenannten Sudetenlandes und der Intervention Hitlers, war man in der Tschechoslowakei strenger gegen deutsche und österreichische Emigranten vorgegangen. Die meisten dieser Emigranten waren Juden. Es gab ungefähr 15.000. Dazu kamen 25.000 jüdische Flüchtlinge aus den besetzten Grenzgebieten, die an Hitlerdeutschland abgetreten werden mußten.

Am 13. Dezember 1938 sprach der damalige tschechoslowakische Ministerpräsident Beran vor der Nationalversammlung über das Programm der neuen Regierung. In seiner Rede erklärte er, daß die Haltung des Staates gegenüber Juden, die lange auf dem Gebiet der CSR gelebt und sich dem Staat gegenüber positiv verhalten hätten, nicht ungünstig sein werde. Zu diesem Zeitpunkt waren jedoch schon Verwaltungsvorschriften mit dem Ziel erlassen worden, Juden aus öffentlichen Stellungen zu entfernen und ihnen den Zutritt zu bestimmten Berufen zu erschweren.

Dies war die Lage, als die Deutsche Wehrmacht am 15. März 1939 den tschechischen Reststaat besetzte, durch Führererlaß das Protektorat Böhmen und Mähren proklamiert wurde und die Nazis die „Lösung der Judenfrage“ in die Hand nahmen.

Der Beginn der Judenverfolgung im Protektorat Böhmen und Mähren

Im Juli 1939 wurde nach dem Wiener Vorbild in Prag von Adolf Eichmann die „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ eingerichtet. Die Hauptaufgabe dieser Zentralstelle bestand nicht in der Bearbeitung von Auswanderungsgesuchen, sondern in der Erfassung des gesamten jüdischen Vermögens und aller jüdischen Personen nach der Definition der Nürnberger Gesetze sowie die Verbringung dieser Personen in Konzentrationslager, um sie später zu liquidieren.

Wenig später wurden im gesamten Protektorat die Nürnberger Gesetze mit den im Reich geltenden Stichtagen (15. September 1935 und 31. Juli 1936) zur Anwendung gebracht.

Von nun an gab es täglich unangenehme Überraschungen für die Juden. Tagtäglich wurden Gesetze, Verordnungen, Dekrete, Verbote, Anweisungen, Direktiven und Aufforderungen veröffentlicht, die von der Reichsregierung, dem Reichsinnenministerium, dem Reichsprotektor, von verschiedenen Oberlandräten, der Gestapo, der Zentralstelle für jüdische Auswanderung und anderen Stellen erlassen worden waren. Jede Protektoratsdienstelle, die inzwischen alle mit Nazis besetzt waren, erließ schließlich Verordnungen und Direktiven, die, wie vordem im Reich, nur das Ziel hatten, die jüdischen Bürger zu erniedrigen, sie schrittweise von der menschlichen Gesellschaft auszuschließen, von ihrer Umgebung zu isolieren und völlig zu unterwerfen.

Aufgrund einer Verordnung vom 5. März 1940 mußten sich alle Personen jüdischer Abstammung (also auch die anderer Religionszugehörigkeit) bei der Jüdischen Kultusgemeinde melden und wurden registriert. Dann wurden alle durch Lebensmitteleinschränkungen betroffen: Ihre Lebensmittelkarten wurden mit einem „J“ abgestempelt. An Besitzer solcher Karten durfte kein Weißgebäck, kein Fleisch und keine Eier abgegeben werden. An Juden durften keine Hülsenfrüchte, kein Obst, keine Marmelade, Dünstobst, Käse oder andere Molkereiprodukte, Süßwaren, Fisch, Fischprodukte, Geflügel, Wild, Hefe, Sauerkraut, Zwiebel, Knoblauch, Honig und alkoholische Getränke einschließlich Bier zugeteilt werden. Auch Tabak und Tabakwaren wurden nicht an Juden verkauft. Die sofortige Verhaftung war die Folge, wenn bei den häufigen Kontrollen Waren dieser Art in den Wohnungen gefunden wurden.

Kleiderkarten und Karten, die zum Bezug von Stoffen berechtigten, durften an Juden nicht ausgegeben werden. Kopfbedeckungen, Koffer, Rucksäcke, irgendwelche Lederwaren durften nicht an Juden verkauft werden, die sowieso nur in der Zeit von 15.00–17.00 Uhr nachmittags einkaufen durften.

Das Betreten von Parkanlagen, Kinos, Theatern, Museen, Ausstellungen und Büchereien, von öffentlichen Räumen wie Bädern usw. waren für Juden verboten. Nach 20.00 Uhr abends durften sie ihre Wohnungen nicht mehr verlassen. Sie durften nicht die Bürgersteige benutzen, mußten viele der Straßen und Plätze meiden. Ihre Aufenthaltsgemeinde durften sie nur mit schriftlicher Erlaubnis der Gestapo verlassen. Nur im Besitz einer solchen Erlaubnis durften sie die Eisenbahn benutzen und hier auch nur das letzte Abteil des letzten Waggons. Nur in Ausnahmefällen waren die öffentlichen Verkehrsmittel in den Städten von ihnen nutzbar und auch hier wiederum nur die Plattform des letzten Waggons.

Juden mussten jede Arbeit annehmen, die ihnen vom Arbeitsamt zugewiesen wurde. Sie hatten keinen Anspruch auf Bezahlung von Überstunden oder von Sonn- oder Feiertagsarbeit. Sie hatten kein Recht auf Urlaub. Arbeitszeitbestimmungen galten nicht für Juden. Sie erhielten kein Krankengeld. Was die Arbeitgeber auf diese Weise einsparten, mussten sie an die Zentralstelle, das heißt an die SS, abführen.

Jüdischen Kindern durfte kein Schulunterricht gegeben werden, auch das private Unterrichten war verboten. Im Oktober 1941 wurden alle Synagogen und Bethäuser geschlossen und von nun an als Lagerhäuser für das den jüdischen Familien abgenommene Eigentum genutzt.

Bereits am Versöhnungstage 1939 wurden den Juden alle Radioapparate weggenommen. Später mußten sie Photoapparate, Schreibmaschinen und Rechenmaschinen abliefern, ferner Fahrräder, Musikinstrumente, Schallplatten und Plattenspieler, Skier, Skiausrüstung, Pelzmäntel, Wollsachen und andere „Luxusgegenstände“.

Alle jüdischen Vereine und Körperschaften wurden aufgelöst, später alle Kultusgemeinden (vor der Okkupation gab es 136 in Böhmen und Mähren). Nur die Prager Kultusgemeinde blieb als Exekutivorgan bestehen. Sie mußte die Weisungen der Zentralstelle für jüdische Auswanderung durchführen. Später wurde sie Ältestenrat der Juden genannt.

Vor Beginn der Deportationen wurde die jüdische Bevölkerung erneut registriert. Die von der Zentralstelle nun selbst vorgenommene Registrierung fand unter entwürdigenden Bedingungen statt.

Nicht alle Personen jüdischer Abstammung ließen sich registrieren. Tausende tauchten unter. Mit ihrer Suche wurde die tschechische Polizei beauftragt.

Bereits am 1. März 1940 mußten die Juden den Polizeibehörden ihre Kennkarte vorlegen. Sie wurde mit einem „J“ abgestempelt. Ab 1. September 1941 mußten sämtliche jüdischen Personen ab dem sechsten Lebensjahr den Davidstern tragen.

Pläne zur „Endlösung“

Am 31. Juli 1941 war der Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD, SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich von Göring mit der Vorbereitung und Durchführung der „Endlösung“ der Judenfrage beauftragt worden.

Quellen

  • 374
    374. Rudolf Iltis (Rd.) , Theresienstadt Europa-Verlag, , Wien 1968 , S. 10f.
  • 375
    375. , Neues Lexikon des Judentums Bertelsmann Lexikon Verlag, , Gütersloh 1998 , S. 818.

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