Antisemitismus (historisch)
Statt Antisemitismus sollten wir hier besser den Begriff Judenhaß verwenden.
Nach ihrer Flucht oder Vertreibung aus Palästina lebten Juden in allen Teilen der damals bekannten Welt: in den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens, in Nordafrika, in den Mittelmeerländern, in Deutschland und England. Überall in den römischen Provinzen entstanden jüdische Gemeinden. Im Rheintal wurden bereits im vierten Jahrhundert jüdische Gemeinden urkundlich erwähnt. „Mamentes“, die Bleibenden, wurden Juden hier genannt. Die Juden in Deutschland nannten sich „Aschkenasim“, was soviel wie Deutsche hieß, im Gegensatz zu den „Sephardim“, die in Spanien lebten. In Mainz, Speyer, Worms, Regensburg und anderen süd- und westdeutschen Städten entwickelten sich blühende jüdische Gemeinden, die zunächst friedlich mit ihren christlichen Nachbarn zusammenlebten.
Wenn ich im folgenden versuche, den historischen Judenhaß zu erklären, dann bezieht sich dies auf den Hass, der den Juden in den europäischen und christlichen Ländern entgegengebracht wurde.
Antijüdische Gesetze gab es schon im nichtchristlichen Rom. Hadrian hatte die Juden mit einschränkenden Gesetzen belegt, ihre Glaubensausübung „eingeschränkt“. In Rom waren die Judäer als Unruhestifter bekannt. Der Hass auf die Juden und den jüdischen Glauben steigerte sich in dem Maße, in dem die christlichen Kirchen in den Länder Europas an Einfluss und Macht gewannen. Der Judenhass erreichte in den christlichen Ländern im 10. Jhdt. mit den Kreuzzügen einen ersten Höhepunkt. Die blühenden jüdischen Gemeinden im Rheinland wurden zerschlagen, ausgeplündert, die Menschen erschlagen oder zur Taufe gezwungen. Zehntausende von Opfern gab es zu beklagen und so mancher Kreuzfahrer kehrte um und reich nach Hause zurück, bevor er das Heilige Land, das er befreien wollte, überhaupt erreicht hatte.
Der Judenhass im Mittelalter läßt sich auf wenige, deutlich erkennbare Wurzeln zurückführen:
1. Religiöse Motive für
den Judenhass
Für viele Christen waren
(und sind) die Juden am Kreuzestod Jesu Christi schuld.
Der Vorwurf des „Christusmordes“ zog sich
durch das gesamte Mittelalter und führte während
der Kreuzzüge trotz der Warnungen einiger weltlicher
Herrscher und geistlicher Würdenträger zu blutigen
Massakern in den jüdischen Gemeinden Mitteleuropas.
Viele Gesetze, die das Leben der jüdischen Menschen
im Mittelalter einengten, gingen auf die Initiative der
christlichen Kirchen zurück und wurden von den weltlichen
Herrschern aus Glaubensgründen durchgesetzt. Fanatische
Geistliche predigten während der Kreuzzüge
Judenhass. Die jüdische Gemeinde in Trier, einer
der ältesten in Deutschland, wurde unter der Losung
geplündert: „ Wer einen Juden erschlägt,
dem werden seine Sünden erlassen.“ Pierre
de Cluny, Abt eines Klosters, dem auch Papst Urban entstammte,
gab den frommen Männern das Leitwort mit auf dem
Weg: „ Es ist sinnlos, die Feinde unseres Christenglaubens
in der Fremde zu bekämpfen, wenn diese Juden, die
schlimmer als die Muslims sind, in unseren Städten
ungestraft unseren Herrn Jesus Christus beleidigen können.“ Wohin
die Kreuzfahrer kamen, stürmten sie die Synagogen,
zertrümmerten die Kultgeräte und erschlugen
alle Juden, die ihnen in den Weg kamen. In Speyer waren
es elf, in Worms schon 800 und in Mainz weit über
1.000 Männer, Frauen, Kinder, Greise, Kranke. Sie
raubten die Leichen aus, warfen sie nackt auf die Straße,
plünderten die Häuser und was sie nicht mitnehmen
konnten, zerschlugen oder verbrannten sie.
Dies geschah um die Osterzeit des Jahres 1096 im Zeichen
des Kreuzes. Dabei wurde übersehen, daß das
Judentum mit der Heilslehre des Christentums untrennbar
verbunden ist. Das Neue Testament ist ohne das Alte Testament
nicht vorstellbar. Das Alte Testament aber ist die Geschichte
des Volkes Israel mit ihrem Gott, der auch der Gott der
Christen ist und dieser alte Bund zwischen Gott und seinem
Volk ist nie aufgekündigt worden.
Jesus selbst war Jude. Er lebte unter den Juden und im
Judentum. Immer wieder betonte er, daß er nicht
gekommen sei, um das (jüdische) Gesetz zu brechen,
sondern um es zu erfüllen. Den historischen Quellen
nach wurde Jesus als Aufrührer von der römischen
Besatzungsmacht verurteilt und hingerichtet. Aufrührer
wurden von den Römern gekreuzigt, vor und nach Jesus
starben Tausende.
Kirche und Papsttum haben es nie verwunden, daß das
Volk der Juden, das Volk des Alten Testamentes und auch
das Volk Jesu, nicht von ihrem althergebrachten Glauben
ließen und Christen wurden, sich taufen ließen.
Antijüdische Elemente finden wir deswegen auch schon
in den Evangelien, denn die Leute, die die Evangelien
schrieben, waren als „Missionare“ in ihrer
jüdischen Umwelt unterwegs und erbittert, daß sie
im Judentum so wenig Resonanz auf ihre neue Heilslehre
fanden.
Die Haltung des Papsttums und auch der weltlichen Obrigkeit
war nie einheitlich. Der Wunsch, die Juden „zum
rechten Glauben“ zu führen, stand oft genug
hinter der Billigung wilder Judenverfolgungen. Oftmals
waren es jedoch auch Hab- und Machtgier, die das Handeln
der kirchlichen und weltlichen Machthaber bestimmten.
Viele Juden mussten sich das Leben durch die Taufe oder
durch hohe Geldzahlungen erkaufen.
Teile der sogenannten „Deutschen Christen“ versuchten während des Dritten Reiches die Tabuisierung des Alten Testamentes durchzusetzen. Proteste vor allem von Menschen der Bekennenden Kirche verhinderten dies. Daß der Vorwurf des Christusmordes auch heute noch weit verbreitet ist, zeigt der von Mel Gibson produzierte Film „Passion“, der seit 2004 in den Kinos läuft.
2. Aberglaube
Der Aberglaube ist ein weiterer
Grund für den im
Mittelalter herrschenden Judenhass. Die Juden waren die
Fremden, Menschen, die seltsame Gebräuche pflegten,
geheimnisvoll, einfach anders waren.
Die für mystische Deutungen besonders aufnahmebereite
Welt des Mittelalters suchte immer nach Erklärungen
für Mißstände, für Seuchen (wie
die Pest), für Hungersnöte, Missernten, Feuersbrunst,
unerklärbare Naturereignisse (wie Sonnenfinsternisse),
geheimnisvolle Morde, Krieg, unheilbare Krankheiten usw.
und all dies wurde schnell den Fremden, den
nichtchristlichen, geheimnisvollen Personen zur Last
gelegt, eben den Juden. Hexenverbrennungen und blutige
Pogrome waren die Folge. Der mittelalterliche Jude wurde
zum Sündenbock für all das und grausam verfolgt.
Diese Pogrome entwickelten sich oftmals spontan und waren
nicht vorhersehbar. In Polen und in Rußland gab
es solche Pogrome noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts
und nicht selten wurden Juden der Volkswut preisgegeben,
um das Versagen der Politiker und Herrschenden zu verschleiern.
Die jüdische Religion bedingte eigene Lebensgewohnheiten,
einen eigenen Feiertag, den Schabbath (Samstag), eine
eigene Form des Gottesdienstes, besonders zubereitete
Speisen, eine eigene und besondere Haar- und Barttracht.
Sie hielten andere Feiertage. Im Bereich der Sitte und
des Glaubens, der ja gerade im Mittelalter von besonderer
Bedeutung war, isolierten sich die Juden von ihren christlichen
Mitbürgern, so sehr sie sich auch sonst in das Stadtleben
einfügten. Das erregte Misstrauen und schuf Raum
für Verleumdungen. Nur zu gerne war das abergläubische
Volk bereit, die jüdischen Mitbürger für
geheimnisvolle Riten der Ausgeburt des Bösen zu
verdächtigen. So wurden die Juden des Ritualmordes
beschuldigt und zu Tausenden umgebracht. Man warf ihnen
Hostienschändung vor, vertrieb sie, ermordete sie,
wie auf den Kirchenfenstern von Deggendorf aus dem vierzehnten
Jahrhundert noch bis 1968 zu sehen war.
3. Wirtschaftliche Motive
Den Christen
war es nach dem Evangelium verboten, für
verliehenes Geld Zinsen zu nehmen. Dies widersprach jedoch
im Mittelalter den wirtschaftlichen Erfordernissen, denn
auch zu dieser Zeit war das Geld für Investitionen
nicht immer bar vorhanden. Die Kaufleute, Handwerker,
Handelsleute und Bauherren mussten sich das Geld leihen,
mussten Kredite aufnehmen. Und wer verborgte schon Geld
umsonst? Die Kirche, Klöster aber auch weltliche
Herrscher verstießen immer wieder gegen das Verbot
und trieben insgeheim Zinswucher (Kanonisches Zinsverbot).
Das Leben der Juden im Mittelalter
war durch viele Einschränkungen
sehr beengt. Juden durften keinen Grundbesitz erwerben
oder besitzen, sie durften keiner Gilde oder Zunft angehören,
also kein Handwerk ausüben und die Zünfte achteten
streng darauf, daß dies auch eingehalten wurde.
Juden durften keine öffentlichen Ämter bekleiden,
keine Waffen tragen, vielerorts bestanden besondere Kleidervorschriften.
Juden mussten in abgegrenzten Wohngebieten, den sogenannten
Ghettos, leben und wurden unter eine immer größer
werdende Steuerlast gestellt. Aufgrund all dieser Einschränkungen
mussten sich die Juden, wollten sie wirtschaftlich überleben,
dem Handel und dem Geldverleih zuwenden.
Was den Christen nach Kanonischem Recht verboten war,
gestattete man den Juden, um einerseits dem bestehendem
Geldmangel abzuhelfen, andererseits die Juden erpressen
zu können. Die weltliche Obrigkeit setzte den Zinsfuß fest,
den Juden nehmen durften. So verbreitete sich bei den
in Geldnot befindlichen Bürgern immer wieder das
Gerücht, daß die Juden mit ihrem Wucher schuld
an ihrem Unglück seien. Oftmals hielten sich Fürsten
und Könige Juden als Kämmerer und als Finanzminister.
Sie mußten ihre zum Teil dubiosen und gewagten
Geldgeschäfte abwickeln und es kam durchaus vor,
daß diese Fürsten, waren sie in finanzielle
Abhängigkeit von ihren jüdischen Geldgebern
geraten, diese töten ließen, um so ihre Schulden
loszuwerden.
Trotz all dieser Anfeindungen und Unterdrückungen, trotz der Pogrome und der Verfolgung konnte sich das Judentum in den deutschen Ländern behaupten. Dies gelang auch, weil die Politik der Vertreibung und der Unterdrückung von den deutschen Fürsten unterschiedlich gehandhabt wurde. Quelle: 9)