Schimmerlingová, Vera
Vera Schimmerlingová (geb. Silbinerová) wurde 1924 in Olmouc/Olmütz geboren.
Am 4. Juli 1942 wurde sie nach Theresienstadt =>deportiert, wo sie bis Oktober 1944 blieb. Dann wurde sie nach Auschwitz-Birkenau =>deportiert, kam durch die Selektion und wurde weiterverschickt am 30. Oktober 1944 nach Flossenbürg, wo sie in dem Außenlager Oederan Zwangsarbeit leisten mußte. Hier blieb sie bis zum 15. April, wurde dann mit einem der Elendstransporte nach Theresienstadt zurück =>deportiert, wo sie am 8. Mai von der Roten Armee =>befreit wurde. Am 7. Juli 1945 konnte sie das Lager verlassen.
In einem Gespräch mit Hans Joachim Wolter berichtet Vera
Schimmerlingová im Herbst 1999:
„Ich kam als 17jähriges
Mädchen nach Theresienstadt.
Bis zu meinem 14. Lebensjahr lebte ich in Ölmütz. Die
Bevölkerung bestand aus Tschechen und Deutschen sowie einer
jüdischen Minderheit. Ich wuchs zweisprachig auf, pflegte intensive
Freundschaften mit tschechischen, deutschen, jüdischen und
nichtjüdischen Mädchen und besuchte ein tschechisches
Gymnasium.
Dann kam die deutsche Okkupation der
Resttschechoslowakei. Das letzte Schuljahr vor
meiner Deportation musste ich in einer Privatschule
verbringen. Gleichzeitig arbeitete ich von 1939
bis 1941 in landwirtschaftlichen Betrieben.
Die Besetzung der Tschechoslowakei durch die Deutsche
Wehrmacht brachte bald einschneidende Maßnahmen. Wir Juden
bekamen mit einem „J“ gekennzeichnete Lebensmittelkarten
mit geringeren Rationen und durften nur noch in
bestimmten Geschäften
kaufen. Da der Besuch eines Kinos für Juden verboten war, mussten
wir uns etwas einfallen lassen, damit wir uns
auch einen Film anschauen konnten. Da hatte ich
es leichter als manches andere Mädchen.
Ich war blond, sah „arisch“ aus und wurde deswegen von
den Nationalsozialisten oft nicht für eine Jüdin gehalten.
Doch hatten ich und meine Familie unter allen
Erniedrigungen zu leiden.
Nachdem alle jüdischen Kranken aus
den öffentlichen
Krankenhäusern ausgewiesen und in privaten Häusern untergebracht
wurden, wurde ich mit 16 Jahren Hilfsschwester.
Im Rahmen dieser Tätigkeit infizierte ich mich mit nicht offener
TBC und wurde von jüdischen Ärzten behandelt.
Als dann
die ersten 900 Juden aus Ölmütz und Umgebung
nach Theresienstadt =>deportiert wurden, musste
ich auf diesem =>Transport Irre begleiten und
auf sie aufpassen. Gemeinsam mit mir traten
auch meine Schwester, meine Mutter und meine
Großmutter
diese Fahrt an.
Nach unserer Ankunft verbrachten
wir mehrere Tage in der =>„Schleuse“ .
Danach wurde ich von meinen Familienmitgliedern
getrennt. Zunächst
erhielt ich in der =>Kavalierkaserne Arbeit: Ich
musste im Siechenhaus Sterbende betreuen und
war nur von Alten und Kranken umgeben. Fast
alle alten Menschen starben in Theresienstadt
oder wurden nach Auschwitz ins Gas geschickt.
Ein vereiterter Finger änderte mein Leben. Ich kam in die
Landwirtschaft, konnte draußen und mit jungen Menschen zusammen
arbeiten und gelegentlich auch Nahrungsmittel
stehlen, wenn die Wachmannschaften wegsahen.
Ich
wohnte nun in einem Privathaus in einer Straße des überfüllten
Ghettos in einem Raum mit mehrstöckigen Betten und vielen anderen
Frauen zusammen; die Anzahl weiß ich nicht mehr. Manchmal
gelang es mir, mich mit meinen Angehörigen zu treffen. Ich
lernte auch einen jungen Mann kennen und lieben.
Aber zu Intimitäten
ließ ich es nicht kommen; in dem allgemeinen Schmutz und der
ständigen Öffentlichkeit war ich dazu nicht bereit.
In
Theresienstadt herrschten viele Seuchen. Ich steckte
mich auch an, überstand
dabei Scharlach und Gelbsucht. Die Läuseplage
versuchten wir durch Haarschneiden und Einreiben
mit Petroleum einzudämmen.
Ein Kopftuch verhüllte dann den kahlen Kopf.
Als meine Mutter
und meine Schwester 1943 nach Auschwitz-Birkenau
=>deportiert wurden, war ich noch nicht wieder gesund.
Sechs Monate später kamen
sie in der Gaskammer um. Erst lange nach dem Tod
meiner Familienangehörigen
erhielt ich 1944 eine letzte Karte von ihnen aus
Birkenau.
Wie die meisten Frauen wurde ich 1944 ebenfalls
nach Auschwitz =>deportiert. Ich kam dort in eine
Baracke zu ungarischen Juden und teilte mit acht
Frauen eine Pritsche. Erst hier erfuhr ich vom
Tod meiner Angehörigen: „Mutter
und Schwester sind durch den Kamin geflogen“. Zu Tränen
war ich nicht mehr fähig.
Ich verschwieg auch meine Erkrankung
an TBC und rettete so mein Leben. Gemeinsam mit
anderen Frauen arbeitete ich in einer Munitionsfabrik.
Bei dieser schweren Arbeit wurde ich von deutschen
Facharbeitern oft unterstützt.
Eine Schwangere, die mit uns aus Theresienstadt
nach Auschwitz gekommen war, machte uns immer
wieder Mut. Wir versuchten, sie zu schützen.
Erst als sich die Schwangerschaft nicht mehr verheimlichen
ließ,
wurde sie entdeckt und vermutlich vergast.
An
Kleidungsstücken standen uns nur ein gestreiftes Kleid,
ein Mantel und Schuhe zur Verfügung. Unterwäsche und Strümpfe
gab es nicht (in Theresienstadt durften wir noch
unsere Zivilkleidung tragen).
Die allgemeinen
hygienischen Zustände und auch der Gesundheitszustand
veränderten auch viele Körperfunktionen. So blieb bei
den meisten Frauen die Menstruation aus. Dies
war für uns eine
enorme Erleichterung, denn uns standen weder Unterwäsche noch
Binden zur Verfügung; weder konnte die Kleidung gewaschen oder
gewechselt werden, noch konnten wir uns selbst
ausreichend waschen.
Im März 1945 wurde ich im offenen Bahnwaggon
evakuiert. Bei Fliegeralarm versteckten sich die
SS-Aufseherinnen unter uns Häftlingen.
Ich kam wieder nach Theresienstadt, wo ich aber
nur wenige Bekannte antraf.
Da ich einen Ausschlag
im Gesicht bekam, und auch wegen der =>Typhusepidemie im Ghetto, wurde ich erst im Juli 1945 entlassen.
Ich war allein und wusste nicht, wohin ich mich
wenden sollte. Bei einer arischen Tante in Ölmütz
fand ich zunächst Unterkunft. In
Brünn wurde eine Schulklasse eingerichtet, in der wir das Abitur
nachholen konnten. Dort lebte ich mit ehemaligen
Theresienstädtern
und tschechischen Soldaten zusammen; Kleidung
erhielt ich von humanitären
Organisationen.
Nach meinem Studium wollte ich
ursprünglich nach Palästina
auswandern, doch als ich im Kreis der Auswanderungswilligen
auch meinen Mann kennenlernte, blieben wir beide
in der Tschechoslowakei. Heute leben wir in Prag.
Meinen Jugendfreund
aus dem Ghetto Theresienstadt traf ich später
ebenfalls wieder. Auch er hatte inzwischen geheiratet
und war nach Israel ausgewandert. Unsere beiden
Familien verbindet eine sehr intensive Freundschaft.“
Quelle: 946)